Viel Arbeit führt zu mehr Arbeit. Da muss es irgendein Naturgesetz geben, das die Physik noch nicht entdeckt hat. Vielleicht hat es etwas mit Gravitation zu tun, vielleicht aber auch schlicht mit der menschlichen Psyche: Sind wir einmal überlastet, dann fällt es sehr schwer, zwischen Wichtigem und Dringendem zu unterscheiden – und zwischen Dingen, die eigentlich auch jemand anderes tun könnte. Oder niemand.
Wirklich viele Aufgaben könnten auch einfach gar nicht erledigt werden. Und zwar ohne Konsequenzen. Termine könnten ausfallen oder dauerhaft gestrichen werden – ohne, dass etwas passieren würde. Fake Work heißt das Phänomen: Wir alle – ja, du auch – tun Dinge, die aussehen wie Arbeit, klingen wie Arbeit, riechen wie Arbeit, aber nichts bewirken. Nichts. Und auch diese Aufgaben machen Stress. In den vergangenen Jahren stieg das gefühlte Stresslevel immer weiter an. Auch schon vor der Corona-Pandemie, seitdem aber natürlich weiter.
Dazu kommt die Tatsache, dass in so vielen Bereichen unseres Arbeitslebens gerade die Leute fehlen. Meine Freund:innen im Gesundheitssektor, in Tech, in der Datenanalyse, in Medienunternehmen berichten alle das Gleiche: Sie könnten so viel machen, wenn sie nur die Leute hätten. Und die Arbeit, die reinkommt, wird munter verteilt. Und zwar auf die Leute, die noch nicht wegen der harten Belastung gekündigt haben. Smart Move? Geht so.
Wem schuldest du etwas?
Wer Ja sagt, der verlagert erst einmal ein Problem. Und zwar von einer anderen Person zu sich selbst. Aber sagen wir nicht Problem, sagen wir Aufgabe. Das läuft in diesem Fall zwar auf das Gleiche hinaus, klingt aber viel netter. Der Gang einer Aufgabe funktioniert so:
- Jemand entscheidet, dass die Aufgabe entstehen soll. Zum Beispiel, indem ein Auftrag von außen angenommen wird.
- Dieser Auftrag ist nun erzeugt. Jemand muss die Aufgabe erledigen.
- Von einer Abteilung zur anderen, von einer höheren Ebene zur unteren, bewegt sich die Aufgabe durch die Firma. Und damit auch das Problem.
- Irgendwann kommt das Problem – äh: die Aufgabe – bei dir an.
- Du hast leider keine Zeit, beziehungsweise, die professionelle Version davon: keine Kapazität.
- Du hast aber auch keine Handlungsmacht, um die Aufgabe weiterzugeben, und gerade den Kopf zu voll, um das zu bemerken. Außerdem hast du Angst, dass es deiner Karriere schadet. Also nimmst du sie an.
- Alle Menschen, die vor dir mit der Aufgabe konfrontiert waren, sind erleichtert. Das Problem liegt bei dir. Alle anderen warten nur noch ab, bis sie endlich Erfolg vermelden dürfen. Oder zumindest Erfüllung. Für dich bleibt noch das Label der High Performance. Yay.
Und so führt viel Arbeit zu mehr Arbeit. Erstaunlich viele Menschen tun Dinge, die sie weder machen wollen noch machen müssten. Das liegt daran, dass wir manchmal zu gestresst sind, um das Problem an einer Bitte zu erkennen. Ja sagen ist kurzfristig die einfachste Option: Bevor ich jetzt rumdiskutiere – oder negative Gefühle erzeuge –, sage ich erst einmal Ja und stelle mich den Konsequenzen später. Nur: Dass die Konsequenzen erst verzögert eintreten, heißt ja nicht, dass dann für dich irgendwas leichter wäre.
Ein gutes Nein stärkt jede Beziehung
Normalerweise wird jetzt dazu geraten, sich geschickt herauszureden. Das fühle sich besser an, als knallhart Nein zu sagen. Doch wenn du weniger machen willst, dann musst du lernen, Nein zu sagen. Sprich mir nach: Nein!
So, das war ein guter Anfang. Wirklich Nein zu sagen, gibt uns Kraft. Es fühlt sich gut an, stark und selbstbestimmt. Im normalen Sozial- und Arbeitsleben braucht ein Nein trotzdem noch eine Begründung. Ich rate hierbei zu unbedingter Ehrlichkeit bei minimaler Offenheit. Du hast keinen Bock auf den Scheiß? Versuch es so: „Nein, das wird nichts. Vielen Dank, dass du an mich gedacht hast, aber mein Fokus liegt derzeit auf anderen Bereichen.“
Du müsstest es eigentlich machen, weil die andere Person dir vorgesetzt ist? Aber du willst wirklich nicht machen? Vielleicht so: „Nein, ich kann das nicht machen. Hast du Alternativen, kannst du jemand anderen beauftragen? Ich kann das in meinen Zeitplan gerade nicht so einbauen, dass es gut wird.“
Ein gutes Nein wird eine Beziehung nicht belasten und deiner Karriere nicht schaden, weil es Ehrlichkeit und Pragmatismus suggeriert. Gewöhn dir in stressigen Zeiten ein inneres Nein an. Kurz innehalten und laut Ja sagen kannst du dann immer noch. Oder: vielleicht. Wenn die Bedingungen an deine aktuellen Herausforderungen angepasst werden.
Ich habe neulich erst mit der Yale-Professorin Zoe Chance über dieses Thema gesprochen. Sie sagt: „Wir wissen Menschen zu schätzen, die uns mit Respekt behandeln. Dabei geht es gar nicht darum, ob sie nun Ja oder Nein zu unseren Anfragen gesagt haben.“ (Mehr darüber schreibt sie in ihrem Buch „Der Gute Einfluss“ (Mosaik Verlag).) In der Ehrlichkeit eines Neins liegt der Respekt, dass die Anfrage wichtig ist – und deshalb gut bearbeitet werden sollte. Und die Erkenntnis: aber eben nicht von dir.
Es gibt immer Spielraum
Wenn du es wirklich gern machen würdest, der Job aber zeitlich mehr als unangenehm wäre, frag nach einer Fristverlängerung: Nein, nicht so schnell. Aber vielleicht zwei Wochen später? Nicht alles, was als dringend dargestellt wird, ist wirklich dringend. Wirklich viele Menschen arbeiten mit fiktiven Deadlines, für die es keinen sachlichen Grund gibt. Diese Deadlines sind nützlich, weil manche Leute Dinge eben wirklich erst erledigen, wenn sie denken, dass sie müssen. Das bedeutet aber nicht, dass es hier keinen Verhandlungsspielraum gibt: Schlag in diesem Fall direkt einen Zeitrahmen vor, in dem du dich dem Projekt widmen kannst.
Wenn du etwas nicht machen willst und nicht machen musst, es nicht so gut kannst und es gerade eigentlich auch nicht schaffst – ja, dann lass es doch einfach. Es tut nicht weh, sag einfach Nein. Du kannst auch Nein sagen, wenn du vorher versehentlich Ja gesagt hat. Passiert ja mal. Erst dann könnt ihr reden. So könntest du mit deiner Absage auch etwas Gutes bewirken: endlich ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Zeit und Energie endlich sind.
Der Fachkräftemangel hat uns an einen Punkt gebracht, an dem für viele Teams nicht mehr die Auftragslage über den Erfolg entscheidet, sondern das Angebot, das die Menschen machen. „Mehr geht immer“ ist ausgereizt. Die Verantwortung der operativen Ebene ist es, Nein zu sagen. Die Verantwortung der strategischen Ebene ist es, eine Lösung zu finden. Und erst wenn dieses Bewusstsein sich durchgesetzt hat, ist eine gute Planung wieder möglich. Bis dahin: viel Glück!
Kein schlechter Artikel, aber ein entscheidender Punkt fehlt:
Wenn jede:r an zu vielen Themen gleichzeitig arbeitet, geht viel Zeit für „Rüstzeit“ verloren, die den Aufwand für das Wechseln von einer Tätigkeit zu einer anderen hin beschreibt. Also Dinge wie relevante Mails öffnen, Details lesen, Dokumente zusammensammeln…
Gleichzeitig werden die wenigsten Aufgaben ausschließlich von einer Person erledigt. Damit sich diese Personen nun treffen können, vergeht viel Zeit, weil jede:r für sich in vielen verschiedenen Aufgaben steckt. Dementsprechend wird die Rüstzeit noch länger, weil die Erinnerung an das Projekt schon wieder halb verblasst ist.
Beides führt dazu, dass viele Aufgaben vor sich hindümpeln ohne erledigt zu werden.
NEIN sagen, um sich auf wenige Aufgaben zu fokussieren und diese zeitnah abzuarbeiten geschieht also zu allererst zum Wohle des Individuums und unmittelbar dem des Unternehmens.