Supercomputer löst Mond-Rätsel: So kam das Magnetfeld ins Gestein

Der Mond hat kein globales Magnetfeld. Warum sind seine Felsen dann magnetisch? (Foto: arte.inteligente1/Shutterstock)
Wo jahrzehntelange Beobachtung an ihre Grenzen stieß, lieferte nun massive Rechenleistung die Antwort. Einem Team von Wissenschaftler:innen des Massachusetts Institute of Technology (MIT) im US-amerikanischen Cambridge ist es mithilfe komplexer Simulationen gelungen, eine überzeugende Erklärung für eines der hartnäckigsten Rätsel der Mondforschung zu finden. Ihre Erkenntnisse, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Science Advances, deuten darauf hin, dass ein katastrophaler Asteroideneinschlag für die mysteriösen magnetischen Signaturen im Gestein verantwortlich ist.
Die Apollo-Astronauten brachten einst Gestein mit zur Erde, das stark magnetisiert war – ein Paradox, da der Mond heute kein globales Magnetfeld besitzt. Dabei gehen Wissenschaftler:innen davon aus, dass der Mond früher einen eigenen Kerndynamo besaß: Die Zirkulation von flüssigem Eisen in seinem heißen Kern erzeugte für eine lange Zeit ein schwaches Magnetfeld. Die eigentliche Krux, die die neue Theorie adressiert, ist die, dass dieses schwache Feld allein niemals ausreichen konnte, um die starke Magnetisierung des Gesteins zu erklären.
Ein kosmischer Doppeleffekt als Erklärung
Der entscheidende Faktor war, so die Simulation, ein gewaltiger Asteroideneinschlag, wie jener, der vor rund 3,9 Milliarden Jahren das riesige Imbrium-Becken formte. Dieser Einschlag verdampfte Gestein und erzeugte eine riesige Plasmawolke – eine Hülle aus elektrisch geladenem Gas, die den Mond komplett umschloss.
Diese Plasmawolke wurde auf der exakt gegenüberliegenden Seite des Mondes, dem sogenannten Antipoden, gebündelt und komprimiert. Dadurch, so erklärt das MIT in einer Mitteilung, wurde das schwache Magnetfeld des Mondes für einen kurzen Zeitraum von nur etwa 40 Minuten massiv verstärkt – von etwa ein bis zwei Mikrotesla auf bis zu 43 Mikrotesla.
Doch die Verstärkung allein reichte nicht aus. Der Einschlag sandte zudem seismische Schockwellen durch den gesamten Mondkörper. Als diese Wellen am Antipoden ankamen, „rüttelten“ sie die atomare Struktur der Felsen genau in dem Moment durch, als das Magnetfeld am stärksten war.
Dieser Schock erlaubte es den Elektronen im Gestein, sich schlagartig nach dem starken, neuen Feld auszurichten und diese Ausrichtung dauerhaft zu speichern. Das ist die sogenannte Remanenzmagnetisierung – ein magnetisches Gedächtnis des Gesteins.
Ko-Autor Benjamin Weiss, Professor am MIT, vergleicht den Prozess mit einem in die Luft geworfenen Kartenspiel in einem Magnetfeld: „Wenn die Karten wieder zu Boden fallen, tun sie das in einer neuen Ausrichtung. Das ist im Wesentlichen der Magnetisierungsprozess“, sagte der Wissenschaftler laut Space.com.
Die Theorie ist mehr als nur ein Gedankenspiel, denn sie basiert auf Simulationen des „MIT SuperCloud“-Clusters: Dort bildeten komplexe magnetohydrodynamische (MHD) Codes mit der Rechenleistung von zehntausenden CPU-Kernen die physikalischen Vorgänge nach – eine Kopplung von Einschlag- und Plasmasimulation, die erst jetzt in dieser Detailtiefe möglich ist.
Artemis-Mission könnte den Beweis liefern
Die Region, in der die stärksten magnetischen Anomalien vermutet werden, liegt auf der Mondrückseite in der Nähe des Südpols. Auch dorthin plant die US-Raumfahrtbehörde Nasa ihre zukünftigen Artemis-Missionen. Sollten Astronaut:innen oder Rover dort Gesteinsproben finden, die sowohl Spuren von starkem Schock als auch eine hohe Remanenzmagnetisierung aufweisen, wäre das der entscheidende Beweis für die Theorie des Teams um Hauptautor Isaac Narrett.
Letzte Zweifel und die Rolle von Chang’e-6
Dennoch ist die wissenschaftliche Arbeit damit nicht abgeschlossen, denn eine entscheidende Frage betrifft die Beschaffenheit des Gesteins vor Ort. Die Simulationen der Forscher:innen zeigen zwar ein ausreichend starkes Magnetfeld, dieses lässt sich aber am besten in außergewöhnlich metallreichem Material speichern – eine Eigenschaft, die das Gestein durch frühere Einschläge erhalten haben könnte. Zukünftige Proben müssen also klären, wie magnetisierbar die Felsen dort wirklich sind, um den genauen Anteil von Feldstärke und Materialeigenschaft an dem Phänomen zu bestimmen.
Neben den Artemis-Missionen richten sich die Hoffnungen daher auch auf die Auswertung der Proben der chinesischen Sonde Chang’e-6, die ebenfalls Material von der Mondrückseite zur Erde bringt. Damit könnte eine der faszinierendsten Fragen über unseren kosmischen Nachbarn durch die Kombination aus brillanter Theorie, massiver Rechenleistung und zukünftiger Exploration endgültig beantwortet werden.