Tech-Plattformen vs. USA und EU: Wer bricht hier wen auf?
„Facebook überlegt, die US-Regierung aufzulösen, bevor sie zu mächtig wird“, schrieb die amerikanische Satire-Seite The Onion im Sommer. Der Witz zielte mit einem Augenzwinkern auf die Anhörungen der großen Tech-Bosse wie Mark Zuckerberg vor einem Ausschuss des Kongresses. Die Abgeordneten wollten wissen, ob Facebook, Google, Amazon und Apple zu mächtig geworden sind.
Im Oktober 2020, kurz vor der nächsten Präsidentschaftswahl in den USA, kann man sich nun wirklich fragen, wer gerade im Begriff ist, wen aufzulösen: Die USA die übermächtigen Tech-Plattformen – oder die Tech-Plattformen die USA.
Muss Big-Tech aufgebrochen werden?
Einerseits ist aus den Anhörungen im Kongress ein erstaunlich konkreter Bericht geworden, der die Macht der großen Tech-Konzerne scharf kritisiert: Facebook wird vorgeworfen, mit dem Kauf von Instagram gezielt die Konkurrenz geschluckt zu haben; Amazon wird vorgeworfen, die 2,3 Millionen Verkäufer auf der Plattform über die Maßen zu kontrollieren; Apple hat mit den 30 Prozent, die es auf alle Käufe im App-Store erhebt, eine Steuer auf den ganzen iOS-App-Markt erhoben; und Google wird vorgeworfen, ein Monopol auf dem weltweiten, digitalen, 162-Milliarden-Dollar schweren Werbemarkt aufgebaut zu haben. Das amerikanische Justizministerium prüft deshalb gerade, ob Google dazu gezwungen werden kann, den Chrome-Browser zu verkaufen – mit dem Google praktisch nebenbei noch den Browser-Markt dominiert (und Nutzer natürlich zu dem eigenen Suchangebot lenkt).
Vor allem Facebooks und Googles Macht aufzubrechen und zu regulieren, ist überfällig. So überfällig, dass sich jetzt ernsthaft die Frage stellt, was zuerst bricht: Facebooks und Googles Macht, oder die US-amerikanische Demokratie?
… oder bricht zuerst die Demokratie?
Auch wenn das alarmistisch klingt – die Frage stellt sich wirklich: Wie wir jetzt wissen, optimieren die Algorithmen von Facebook und Google ihre Inhalte so, dass Millionen Menschen immer nur empörende und wütend machende Posts und Videos angezeigt bekommen. Nicht aus Bosheit, nein Wut klickt einfach besser und sorgt für höheres „Engagement“, für längere „Watchtime“ und damit für höhere Werbeerlöse.
Donald Trump: „Ich bezweifle, dass ich hier wäre, wenn es Social Media nicht gäbe…“
Ohne die Wutmaschinen, die Facebook und Youtube und andere Social Media Plattformen damit geworden sind, hätte es das Phänomen Trump so nicht gegeben. Natürlich ist es unmöglich, herauszufinden, wie dieselbe Präsidentschaftswahl ohne Social Media ausgegangen wäre. Brad Parscale, der Direktor von Trumps digitale Kampagne 2016, aber sagte nach der Wahl: „Facebook und Twitter waren der Grund, warum wir das Ding gewonnen haben.“ Trump selbst sagte ein Jahr nach der Wahl in einem Interview: „Ich bezweifle, dass ich hier wäre, wenn es Social Media nicht gäbe, um ehrlich zu sein. (…) Wenn jemand etwas über mich sagt, dann mache ich bing, bing, bing und kümmere mich darum.“
Posts, die wütend machen, erreichen bei Weitem das höchste „Engagement“ bei Facebook. Seit 2018 fördert der Facebook-Algorithmus auch gezielt die Bildung von Interessengruppen auf dem Netzwerk. So gesehen eigentlich kein Wunder, dass sich auf der Plattform in den ganzen USA jetzt rechte, bewaffnete Gruppen von Männern („Boogaloo“, „Proud Boys“ etc.) organisieren.
Am 9. Oktober wurde bekannt, dass sich eine dieser Gruppen auf Facebook dazu verabredet hatte, Michigans Gouverneurin Gretchen Withmer zu kidnappen. Die Gruppe oberservierte sogar bereits ihr Haus. Außerdem deutet vieles darauf hin (beziehungsweise er sagt es selbst), dass Trump eine Wahlniederlage nicht akzeptieren und im Zweifel gegen den Willen der Wähler an der Macht bleiben will. Wenn Wahlen nicht mehr verloren werden können, sind die USA keine Demokratie mehr. Facebook und Co überlegen also jetzt schon, was sie mit Trumps Posts machen werden, wenn er die Wahl anzweifelt.
Ohne die Wutmaschinen Facebook und Youtube wäre die AfD schwer vorstellbar
In Deutschland ist die Lage noch nicht ganz so düster. Aber: Ohne die Wutmaschinen Facebook und Youtube wären auch die AfD in Deutschland, die Verschwörungserzähler von Qanon und Demonstranten, die mit Reichsflaggen den Bundestag stürmen wollten, in ihrer aktuellen Form schwer vorstellbar. (Mal ganz abgesehen davon, dass Google und Facebook mit ihrem digitalen Werbe-Oligopol die komplette europäische Presselandschaft wirtschaftlich verwüstet und damit sicher keinen Beitrag zur Demokratie geleistet haben.)
Welche Rolle Facebook-Posts und Youtube-Videos für das Brexit-Referendum gespielt haben, können mit Sicherheit nur Facebook und Youtube sagen – Wissenschaftlerinnen haben zu solchen Daten nur sehr begrenzten Zugang. Aber zumindest scheinen die Europäische Kommission und das Europäische Parlament die Gefahr und den Schaden, der von der Macht der Tech-Giganten ausgeht, mittlerweile erkannt zu haben.
Kann die EU die Tech-Plattformen noch regulieren?
Nach nationalen Alleingängen wie dem deutschen NetzDG und dem französischen „Avia“-Gesetzt arbeitet die EU-Kommission jetzt an einem großem Wurf: Dem Digital-Services-Act. Aktuell sieht es dabei auch gar nicht schlecht dafür aus, dass die EU damit ein Gesetz schafft, mit dem die Macht und Reichweite der großen Tech-Konzerne besser kontrolliert wird. Der Digital-Services-Act (Digitale-Dienste-Gesetz) könnte kleineren Wettbewerbern die Chance eröffnen, in Branchen wie digitaler Werbung, Messenger-Apps, sozialen Netzwerken oder E-Commerce wieder einen Fuß auf den Boden zu kriegen – und nicht nur von der Gnade von Facebook, Google und Co abhängig zu sein.
Immerhin: Zwei von drei EU-Parlamentsausschüssen, die zu dem Digital-Services-Act Berichte geschrieben haben, fordern eine Interoparabilität zwischen Messengern und Netzwerken. Interoparabilität bedeutet, Nutzerinnen könnten ihre Messenger so frei aussuchen, wie ihren E-Mail-Anbieter, und weiterhin mit allen kommunizieren – und zum Beispiel eine Nachricht von Signal zu Whatsapp oder einem Facebook-Account schicken. Das würde den Netzwerkeffekt aushebeln, also die Tatsache, dass alle zu großen Anbietern gehen, weil da die meisten ihrer Freunde sind.
Die EU fordert transparente Algorithmen
Darüber hinaus fordern die Ausschüsse, dass die Vorschlagsalgorithmen von Facebook, Youtube und Co – also genau die Algorithmen, die jetzt den Nutzern die Wut in die Timeline spülen – endlich transparenter werden und von Wissenschaftlerinnen untersucht werden können. Im Gesetz soll auch eine Ex-Ante-Regulierung für Marktmacht verankert werden: Man müsste Konzernen wie Google dann nicht mehr nachweisen, dass ihre Marktbeherrschung einen Schaden verursacht hat. (Das ist in der Regel schwierig, Google sagt dann: Alle unsere Services sind umsonst, was wollt ihr eigentlich?) Stattdessen könnte Google allein schon für die totale Marktdominanz abgestraft werden.
Aber natürlich sind die Plattformen auch gegen Gesetze in den USA und Europa alles andere als machtlos. Trumps Tiktok-„Deal“ zeigt, welch guten Draht das Silicon Valley schon ins Weiße Haus hat: Erst warnte Mark Zuckerberg in einem privaten Dinner mit Trump vor der Konkurrenz-App Tiktok, dann forcierte Trump einen „Deal“ – und gab seinem Kumpel Larry Ellison von Oracle den Zuschlag. (Larry Ellison ist ein Freund von Trump, seit er für dessen 2016er Kampagne Geld gesammelt hat.)
Mark Zuckerberg treibt derweil die Fusion von Whatsapp, Facebook und Instagram weiter voran. In den letzten Monaten wurden immer wieder Features getestet, die die Apps des Facebook-Imperiums weiter miteinander verschmelzen, wie zum Beispiel Nutzer Nachrichten von Instagram Accounts zu Facebook Accounts schicken zu lassen. Der Nebeneffekt: Je enger Facebook, Instagram und Whatsapp verzahnt sind, desto schwieriger wird es sein, sie aufzubrechen.
Auffällig ist auch, wie aktiv Google, Facebook und Co plötzlich in Brüssel sind: Allein Google gab 2019 mit 8 Millionen Euro mehr Geld für Lobbyarbeit aus als die sieben Autobauer Volkswagen, BMW, Daimler, Renault, Ford, Fiat Chrysler und Peugeot zusammen. Facebook waren die eigenen Interessen in Brüssel immerhin vier Millionen Euro wert.
Die bittere Ironie an der Sache: Ohne die Wutkampagnen auf Facebook wäre wahrscheinlich auch das Brexit-Referendum anders ausgegangen. Im Vereinigten Königreich war die digital angefachte Wut schneller als der Gesetzgeber. Selbst wenn der Digital-Services-Act in zwei bis drei Jahren in der EU gelten und hier tatsächlich die Macht der Tech-Konzerne beschränken sollte – das Vereinigte Königreich betrifft das dann nicht mehr.
Bei den US-Wahlen im November haben die Wutmaschinen Facebook und Youtube nochmal eine Chance, die Politik einzuholen und den Regulierungen des Kongresses zuvorzukommen. An einer Wiederwahl Trumps würden die USA zerbrechen. Es wäre auch schwer vorstellbar, dass er in der zweiten Amtszeit mit Facebook und Youtube seine wichtigsten Verbündeten aushebelt.