Technik-Trends 2025: Amazons CTO über Edge Computing, Digital Detox und grüne Energie
Werner Vogels, Amazons Chief Technology Officer, ist seit Jahren eine der prägendsten Stimmen, wenn es um Innovationen und Trends in der Technologiebranche geht. Der aus den Niederlanden stammende Informatiker, der schon 2004 zu Amazon kam und bereits ein Jahr später die Rolle des CTO übernahm, gilt nicht nur innerhalb des Unternehmens als Seismograf für wegweisende Technikthemen. Mit seiner Nähe zu den Entwicklungen im Silicon Valley und seiner tiefen Verwurzelung in Amazons technologischer Historie ist Vogels auf Technologiekonferenzen einer, dem man gerne zuhört. Oft liegt er richtig, manchmal braucht es noch einige Zeit, bis sich seine Prognosen bewahrheiten.
Auch in seinen Meinungsbeiträgen gibt er zukunftsweisende Ausblicke zu den Trends – ein Grund, warum seine Einschätzungen in der Branche so geschätzt werden. In diesem Jahr lesen sich seine Ausführungen allerdings auffällig anders als in den vergangenen Jahren. Es geht weniger um technische Trends und Neuerungen, sondern vielmehr um den Wandel der Rolle von Technologie und die Transformation der Arbeitswelt.
Meta-Themen wie Nachhaltigkeit stehen im Vordergrund
Werner Vogels führt aus, dass die Gesellschaft vor einem enormen Wandel im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Chancengleichheit steht. Er glaubt, dass saubere und CO2-freie Energieversorgung den Fortschritt vorantreiben und künstliche Intelligenz dazu beitragen kann, dass Arbeit sinnvoller und effizienter wird, ohne dass wir unsere Daseinsberechtigung im Job verlieren. Vogels sieht einen Wertewandel, da insbesondere Angestellte der Gen Z und der Millennials zunehmend die Sinnfrage stellen.
Eine aktuelle Studie der Harvard Business School belegt sogar, dass Hochschulabsolvent:innen dazu bereit sind, auf Gehalt zu verzichten, wenn ihre Jobs dafür eine positive soziale Wirkung haben. Dieser Trend beschränkt sich jedoch zunehmend nicht mehr nur auf junge Arbeitnehmer – Untersuchungen zeigen, dass auch Beschäftigte aller Altersgruppen zunehmend nach Tätigkeiten streben, die gesellschaftlich und ökologisch sinnstiftend sind.
Nachhaltigkeitsorientierte Aufgaben bekommen dadurch einen neuen Stellenwert und selbst traditionelle Jobs integrieren zunehmend soziale und nachhaltige Prinzipien. Das bedeutet, dass Unternehmen, die diesen Wandel erkennen und sinnvolle Arbeit bieten, die besten Talente anziehen und langfristig erfolgreich sein werden.
Neue Energieformen sollen die Cloud am Laufen halten
Zudem – und das ist wohl der technischste Teil seiner diesjährigen Vorhersagen, sieht er Wind und Solar als zentrale Bausteine der anstehenden Energiewende und schließt hier (aus deutscher Sicht spannenderweise) auch kleine modulare Kernreaktoren als flexible und zuverlässige Lösung ein. Auswirkungen dürfte das auch auf den Datenverbrauch der inzwischen nicht mehr wegzudenkenden Cloud-Angebote haben – zu denen ja auch Amazons AWS-Lösung zählt. Hyperscale-Rechenzentren und intelligente Lastmanagement-Systeme optimieren ihren Energieverbrauch und die Kombination aus innovativer Technologie und qualifizierter Arbeitskraft werde hierbei eine nachhaltige Energiezukunft ermöglichen, so der Amazon-CTO.
Erstaunlich optimistisch zeigt sich Vogels im Hinblick auf die Themen Fake News und Desinformation. Er ist sich zwar darüber bewusst, dass Desinformation eine der großen Herausforderungen für unsere Gesellschaft darstellt, glaubt aber zugleich, dass es hier vernünftige und schlagkräftige Lösungen geben wird.
Neben Open-Source Intelligence (OSINT), die bei der Verarbeitung und Klassifizierung von Informationen helfen könne, sieht er hier KI-gestützte Tools wie TrustNet oder GeoSpy als Lösungen für schnelle und zuverlässige Faktenprüfung und die Verbesserung des öffentlichen Diskurses. Vogels glaubt, dass der Zugang zu diesen Technologien eine informierte Gesellschaft fördern und Vertrauen in Medien und Institutionen wiederherstellen kann. Damit verbunden glaubt Vogels auch an einen Wandel sozialer Medien, wie wir sie heute nutzen.
Edge Computing für den Umgang mit Krisen
In zwei Punkten gibt sich Vogels dann aber doch wieder näher an der üblichen Technologieschiene und kommt weg von den Meta-Themen. So glaubt er, dass die Macht hyperlokaler, von der Gemeinschaft stammender Daten grundlegend verändern wird, wie wir als Gesellschaft im Krisen- oder Katastrophenfall vorgehen. Dieser Wandel werde das Katastrophenmanagement von einem reaktiven Top-Down-Modell zu einem proaktiven, dezentralen und gemeinschaftsgesteuerten Modell umdefinieren.
In diesem Zusammenhang wird Edge-Computing, also das Vorverarbeiten von Informationen, bevor diese in der Cloud aggregiert werden, eine größere Rolle spielen als bisher. Das Gute daran: Die dezentrale Datenverarbeitung am jeweiligen Touchpoint könnte dazu beitragen, die Resilienz von IT-Systemen zu erhöhen und damit im Ernstfall Krisen besser bewältigbar zu machen und Leben zu retten.
Intention-driven Technology trägt zu einer neuen Fokussierung bei
Um Resilienz und digitales Detox geht’s auch im letzten Punkt – eigentlich einem für Vogels untypischen Spielfeld. Der Amazon-CTO glaubt, dass Menschen in Zukunft vor allem darauf achten müssen, das Gleichgewicht zwischen Digitalem und Analogem nicht aus den Augen zu verlieren. Vogels sieht einen Wandel, „der unsere Beziehung zur Verbrauchertechnologie neu definiert. Immer mehr Menschen suchen eine Zuflucht vor ständiger Ablenkung, und es entstehen Geräte, die Achtsamkeit, Absicht und tiefes Nachdenken gegenüber einer Flut flüchtiger Reize in den Vordergrund stellen.“
Im kommenden Jahr und darüber hinaus könnte die Technologie den Menschen also eher darin unterstützen als ablenken. Dabei setzen etwa Schulen und Organisationen auf digitale Entschleunigung in Form von Handyverboten oder Fokus-Zeiten, eine Haltung, der sich auch in Deutschland viele Pädagog:innen anschließen könnten.
Als beispielhaft benennt Vogels dabei den Dokumentenerstellungsprozess bei Amazon. Unabhängig von der Position oder dem Rang wird erwartet, dass gute Ideen zu Papier gebracht und in eine überzeugende Erzählung verwandelt werden. Sobald das Dokument fertig ist, treffen sich alle, lesen es still und machen sich Notizen, bevor es diskutiert wird. Dieser Prozess zwinge alle dazu, präsent zu sein – sich auf die Aufgabe zu konzentrieren.
Es geht auch bei der Gerätenutzung und dem Produktmanagement zunehmend darum, ablenkungsfrei bei einer Aufgabe zu bleiben, anstatt Aufmerksamkeit zu zerstreuen, man sehe diesen Trend inzwischen in einem größeren Maßstab, glaubt Vogels und nennt als Beispiele minimalistische Handys, die kaum mehr als Telefon- und Textfunktionen bieten; Kameras, die das Handwerk des Fotografierens in den Mittelpunkt stellen, statt das Teilen; und eigenständige Musikplayer, die erlauben, Musik ohne die ständige Flut von Nachrichten und Benachrichtigungen zu genießen.
Zuletzt spricht Vogels noch davon, dass viele erfolgreiche Führungskräfte in der ersten Stunde ihres Tages bewusst auf ihr Telefon verzichten, um ihre kognitiven Fähigkeiten zu stärken – eine Praxis, die von Experten der Stanford Lifestyle Medicine unterstützt wird.
Technischen Fortschritt mit Menschlichkeit verbinden
Unterm Strich gehe es darum, Fortschritt mit mehr Menschlichkeit zu verbinden und Technologie als Werkzeug für eine bessere Welt zu nutzen. Unternehmen, die diesen Wandel annehmen, werden nicht nur erfolgreich sein, sondern auch einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft ausüben. Wer Vogels’ Ausführungen der letzten Jahre kennt, sieht hier schon eine Veränderung hin zu bewussterem Technologieeinsatz und einem Abkommen vom üblichen „höher, schneller, weiter“. Lesenswert ist sein Trendreport auch in diesem Jahr wieder (hier im englischsprachigen Volltext).