Was so ein Lunch-Date manchmal bringt: Erst gestern saß ich mit einem Agenturgründer zusammen. Wir haben uns unterhalten über veränderte Arbeitswelten, darüber, wie wir von der Industrie- zur Wissensgesellschaft transformieren und was anspruchsvolle Arbeitnehmer wie ich und ehrgeizige Arbeitgeber wie er vom jeweils anderen erwarten können. Da ist mir ziemlich bewusst geworden, dass dieser besagte Chef nicht nur sehr erfolgreich am Markt ist, sondern auch einen Traumarbeitsplatz für Arbeitnehmer bietet. Und umso länger ich darüber nachdenke, wie das geht, desto mehr glaube ich, dass beides aufeinander aufbaut. Denn dieser Unternehmer hat nicht nur einen treuen Kundenstamm hinter sich, sondern auch ein Team, das sein Talent motiviert und gewinnbringend einbringt. Und zwar bereitwillig. Nicht zuletzt, weil es von ihm Respekt erfährt.
Unbezahlte Überstunden sind traurige Realität
Respekt. Das ist heute keine Normalität mehr in der Arbeitswelt. Oft genug hört man von erzeugtem Druck, der in keinem Verhältnis zur Tätigkeit steht. Von Flexibilität, die keineswegs mehr als ehrenhaft angesehen, sondern schlichtweg vorausgesetzt wird. Für mich ist eines der deutlichsten Merkmale, ob ein Arbeitgeber sein Team respektiert, sein Umgang mit Überstunden. Damit meine ich gar nicht einmal, ob sie geleistet werden, sondern viel mehr, ob der Arbeitgeber sich bei dem Kollegen erkenntlich zeigt oder die Mehrarbeit einfach weggenickt wird. Dass „Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind“, gehört inzwischen zum Standardsatz in Arbeitsverträgen. Wie unfair diese Klausel jedoch häufig ist, zeigen die Zahlen: Unbezahlte Mehrarbeit gehört zur tagtäglichen bitteren Realität in deutschen Büros. Und sie nimmt alarmierende Formen an.
„Nur die Hälfte der Arbeitgeber gleicht Überstunden überhaupt aus!“
Anfang dieser Woche hat beispielsweise Xing eine Gehaltsumfrage unter 12.000 Mitgliedern veröffentlicht. Eines der Ergebnisse bezieht sich auch auf die Überstunden: 82 Prozent der Befragten geben demnach an, im vergangenen Jahr mehr gearbeitet zu haben als im Arbeitsvertrag festgehalten. Ganze 19 Prozent der Befragten machten nach eigener Aussage sogar mehr als zehn Überstunden pro Woche. Besonders heftig in dem Zusammenhang: Nur die Hälfte der Arbeitgeber gleicht die Überstunden auch aus. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Da zaubern Mitarbeiter eine zusätzliche Woche im Monat aus dem Ärmel und der Chef tut – nichts! Liebe Leser, solltet ihr in so einem Unternehmen arbeiten, tretet bitte die Flucht nach vorne an und sucht nach einem neuen Job. Denn das ist nicht normal. Ihr habt etwas Besseres verdient!
Ich frage mich überhaupt ganz oft: Wie hält ein Arbeitgeber seine Talente mit so einer Attitüde? Die Antwort muss wohl sein: entweder gar nicht oder nur durch Panik. Entweder gehen die Leute nämlich nach einigen Monaten wieder oder sie bleiben in der Position, weil ihre Existenzängste sie bewegungsunfähig machen. So oder so lässt sich jedoch sagen: Diese Menschen besitzen schlussendlich weniger Loyalität zu ihrem Arbeitgeber als zur eigenen Turnschuhmarke. Sie würden das Team vermutlich sofort stehen lassen, sobald sich irgendwo eine andere Tür für sie öffnet. Und klar ist wohl auch, dass weder eine hohe Fluktuation im Team, noch Menschen, die es im Zweifel hassen, bei der Arbeit zu sein, für ein höchstmögliches Potential sorgen dürften, so richtig an Fahrt aufzunehmen. Teamgeist steht heute hoch im Kurs!
Überstunden: Gar nichts machen geht gar nicht
Natürlich bin ich nicht von gestern. Das Arbeiten in einem Startup oder einer Agentur ist hart, weil der Wettbewerb hart ist. Und natürlich kann nicht jeder Chef jede weitere Arbeitsstunde vergüten, die so anfällt in Stoßzeiten. Wer sich in dieser Unternehmenswelt anstellen lässt, muss zu einem gewissen Teil auch bereit sein, sich den Herausforderungen zu stellen. Wer das nicht kann, sollte lieber in einem Konzern arbeiten, wo ein Betriebsrat bereits eine bequeme Komfortzone eingerichtet hat. Und doch, um es mal mit den Worten meines gestrigen Gesprächspartners zu sagen: „Gar nichts zu machen geht gar nicht!“. Was mindestens sein muss, ist ein freizeitlicher Ausgleich, der auch aus der Reihe von selbst gewährt wird – also ohne dass ein Kollege darum bettelt. Der Mai ist voller Brückentage. Die Tage werden sonniger. Zeit also, die Leute mal rauszulassen!
Für viele Unternehmer ist jedoch auch das vermutlich undenkbar. Dass man doch rund um die Uhr für den Kunden da sein müsse, ist die oft vorherrschende Geisteshaltung. Ich sage ganz klar: Nein, das müsst ihr nicht. Natürlich zahlt der Kunde die Rechnung. Aber die Mitarbeiter bringen die Leistung, damit überhaupt eine Rechnung gestellt werden kann. Was es braucht ist ein Umdenken: weg vom Shareholder- und hin zum Stakeholder-Ansatz, in dem die Ziele und Ansprüche aller Interessensgruppen und nicht nur die einiger Weniger im Fokus stehen. Dieser Ansatz ist schlicht nachhaltiger. Und dieser Ansatz ist es auch, der Unternehmer wie den befreundeten Agenturgründer langfristig erfolgreich macht. Denn in Zeiten des sogenannten „War for Talents“ ist es auch der gelebte Respekt im Team, der gute Leute zu einem Wechsel bewegt.
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Arbeitszeitgesetz § 3: Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Verstößt ein Arbeitgeber gegen das Arbeitszeitgesetz, so kann dieses Fehlverhalten nach § 22 ArbZG als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld von bis zu 15.000 Euro pro Verstoß bestraft werden. Somit sind gewisse Paragrafen in Arbeitsverträgen auch ungültig.
Ich habe das zum Glück noch nicht erlebt und war jetzt auch schon oft genug überrascht, das mir Kollegen aus anderen Unternehmen noch Abends um 10:00 Anfragen beantworten. Ich habe das Gefühl, dass hier oft genug aber auch die Mitarbeiter selbst Schuld sind.
Im Unternehmen eines Bekannten, lästern die Mitarbeiter über einen Kollegen der immer pünktlich Feierabend macht.
Vielleicht gibt’s auch einfach Leute denen es Spaß macht. Ich würde das für mich reklamieren. Ich habe auch schon in einem Unternehmen gearbeitet, bei dem ich im Monat eine Woche verschenkt habe. Ich hab selbst Nachts, wenn ich von ner Party kam die Aktionen auf der Website gecheckt und nachgebessert, falls was falsch war. Das war nach Partys ne ziemlich Herausforderung. ;-)
Das hat keiner verlangt, das wurde nicht bezahlt. Ja und. Wir waren ein richtig cooles Team und mir hat (fast) jeder Tag in der Firma richtig Freude gemacht. Was wär das ätzend gewesen abends früher zu gehen.