Walmarts Kultur ist im Kampf gegen Amazon hinderlich
Walmart arbeitet in den USA hart daran, sowohl als Gegengewicht zu Amazon wahr genommen zu werden als auch tatsächlich zu einem Gegengewicht zu werden. Zu einem dringend benötigten Gegengewicht, denn Amazon dominiert auch in den USA den Markt. Einer der führenden US-E-Commerce-Journalisten, Jason del Rey, der seit Jahren Amazon und Walmart in der Berichterstattung begleitet, hat auf Recode eine Analyse veröffentlicht, die den Kampf von E-Commerce-Wunderkind Marc Lore, Gründer von Jet.com, mit Walmarts interner Kultur beschreibt. Lore verantwortet den E-Commerce-Bereich bei Walmart seit der 3,3 Milliarden US-Dollar schweren Jet-Übernahme. Obwohl Walmart sich entwickelt, scheint die Kultur des Unternehmens hinderlich für den Fortschritt zu sein.
Walmart macht Fortschritte, aber auch 1 Milliarde Verluste
Walmart hat seinen Online-Umsatz um 40 Prozent gesteigert, angetrieben durch eine erfolgreiche Expansion seines Online-Lebensmittelgeschäfts. Bis Ende 2019 sollen 3.100 Walmart-Filialen die Abholung und 1.600 Filialen die Lieferung von online bestellten Lebensmitteln ermöglichen, so der Bericht. Laut Emarketer ist Walmart aktuell für 4,7 Prozent des US-Onlinemarktes verantwortlich, vor drei Jahren waren es noch 2,6 Prozent. Amazon beherrscht 36 Prozent des Onlinemarktes.
Lore hat das Portfolio um einige Digital-Native-Brands erweitert und einige Digital-Talente an Bord geholt. Del Rey zählt im Bericht Bonobos (310 Millionen Dollar Kaufpreis), die Vintagemarke Modcloth (50 Millionen Dollar) und die Plussize-Marke Eloquii (100 Millionen Dollar). Außerdem hat Lore einen Inkubator namens Store No. 8 gestartet, der beispielsweise das Curated-Shopping-Startup Jetblack hervorgebracht hat, das laut Lore Warenkörbe von durchschnittlich 1.500 Dollar erzeugen soll (es ist unklar, ob vor oder nach Retouren).
Das alles, so del Rey, hat in den USA dazu beigetragen, dass Walmart das Image des Digital-Dinosauriers etwas abstreifen konnte und jetzt besser dasteht als vor dem Kauf von Jet.com und Lores Eintritt. Das Problem: Aus mehreren Quellen will Recode erfahren haben, dass der E-Commerce-Bereich von Walmart zwar 21 bis 22 Milliarden Dollar Umsatz in diesem Jahr machen soll – aber auch eine Milliarde Dollar Verluste einfährt. Walmart kommentierte gegenüber Recode die Zahlen nicht.
Walmarts Kultur und Manager setzen Lore unter Druck
Jetzt erhöhen laut der Analyse Walmart-CEO Doug McMillon und US-CEO Foran den Druck auf Lore, den Verlust zu reduzieren. Besonders zu Foran soll das Verhältnis angespannt sein, berichten Recodes Quellen bei Walmart. Lore scheint anzuecken, auch die Kommunikation mit seinen digitalen Startups wird nicht gerne gesehen, Erfolgsmeldungen schon fast unterdrückt. Walmarts Kommunikation sei „bescheiden“.
Lore soll also defizitäre Zukäufe aus dem digitalen Portfolio verkaufen. Drei Unternehmen waren im Gespräch, zumindest Modcloth scheint zum Verkauf freigegeben zu sein. Lores ambitionierte Pläne, die eigene Infrastruktur an Logistikzentren (Amazon hat über 100, Walmart gerade einmal 20) stark aufzustocken, ist abgeschmettert worden. Es wird zwar investiert, aber nicht expandiert. Verluste würde nicht zu Walmarts Kultur passen, schreibt del Rey. Es war dann wohl auch die Angst davor, das E-Commerce-Business auf Jahre tiefer in die roten Zahlen zu schicken, die weitere Logistikzentren verhindert hat.
Das ist ein Problem.
Walmarts Kultur wird zum Problem für das Unternehmen
So sympathisch es einem bodenständigen Unternehmer aus Deutschland erscheinen mag, dass Walmart nicht prahlen will und auf das Verhältnis zwischen Umsatz und Ertrag achtet, so fatal ist das für den Handelsgiganten in den USA und im E-Commerce-Sektor.
Diese Kultur der Bescheidenheit ist gefährlich. Wenn Walmart seine digitalen Erfolge nicht darstellt, schadet das dem Unternehmen. Investoren achten auf Wachstum und ganz besonders auf die Entwicklung des digitalen Portfolios, die Börse ebenso. Walmarts ganzes Image hängt davon ab, sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Branche. Es ist als Arbeitgeber für die immens wichtigen Digitalkräfte nicht attraktiv. In erfolgreichen, wachsenden Unternehmen zu arbeiten, ist heute ein wichtiger Faktor für viele kreative Köpfe.
Walmart hat im vergangenen Jahr 2.000 Marken – auch durch den Zukauf von Onlinehändlern – auf die eigene Plattform gebracht. Trotzdem sind es gerade einmal 220.000 Produkte, die das Unternehmen in den USA der Next-Day-Lieferung von Amazon entgegensetzen kann. CEO McMillon kokettierte öffentlich damit, dass ihm gar nicht bewusst war, dass man so viel Marken bräuchte. Vielleicht sollte ihm jemand sagen, dass Amazon mit dieser Anzahl an Marken vermutlich eine einzelne Kategorie füllen könnte.
Walmart hat immer noch viel aufzuholen. Dazu wären immense Investitionen nötig, die ebenfalls nicht zu Walmarts Kultur passen. Eine dramatische Fehleinschätzung, denn Amazon hat gefühlt 20 Jahre Vorsprung. Dass Lore ausgebremst wird und Portfolio-Unternehmen abstoßen soll, um die Verluste zu reduzieren, spricht eine deutliche Sprache.
Die Spannungen zwischen Foran und Lore sind ebenfalls ein extremes Ärgernis. Lore will in E-Commerce-Infrastruktur investieren und Loran versteht nicht, warum das Geld nicht in Preiskürzungen oder ähnliches im stationären Unternehmensbereich gesteckt wird. Schließlich erzeugt sein Bereich ja Milliardengewinne. Nahezu ewiggestriges Denken.
Das deutet daraufhin, dass hier immer noch zu getrennt gedacht und agiert wird. Während Bezos den stationären Handel mit digitalen Konzepten erobern und transformieren will und somit Walmarts angestammten Bereich in den nächsten Jahren energisch attackieren wird, erreicht Walmart nicht die notwendige Innovations- und Expansionsgeschwindigkeit, um sich stärker zu positionieren. Weil Marc Lore ausgebremst wird. Wenn sich das nicht ändert, wird Lore am Ende seines Fünfjahresvertrages den Krempel hinwerfen und gehen. Und dann gute Nacht, Walmart. Und gute Nacht, US-E-Commerce-Markt, der dann von Amazon dominiert wird.
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