Was die Deutsche Bahn von der italienischen Bahn lernen kann
Mit der italienischen Bahn verbinde ich traumatische Erinnerungen. In den achtziger Jahren bin ich mal mit dem Zug an die Adria gefahren. Es war ein Desaster. Wir haben Koffer und Kinder quer durch Venedig geschleppt, haben eine halbe Nacht im damals noch ziemlich abgerockten Mailänder Hauptbahnhof verbracht, mussten zwischendurch Straßenbahn und Taxis nehmen, weil irgendetwas mal wieder nicht geklappt hat. Auf der Rückfahrt sind wir satte zwölf Stunden verspätet zu Hause angekommen.
In den letzten Jahren war ich wieder regelmäßig mit der Bahn in Italien. Auch dies waren sehr eindrückliche Erlebnisse. Von München nach Bologna hatte ich beispielsweise nicht nur keine Verspätung – ich kam sogar einige Minuten zu früh an. Wer hier nicht Bahn fährt, ist selber schuld.
Schnellzug zwischen Mailand und München geplant
Eine der Ursachen: In Italien konkurrieren seit 2012 zwei Fernzug-Gesellschaften – die staatliche Trenitalia und die private NTV. Nun kündigte Trenitalia an, einen Frecciarossa-Schnellzug zwischen Mailand und München verkehren zu lassen – also die Deutsche Bahn auf ihrem eigenen Gebiet auch im Fernverkehr anzugreifen.
Für mich klang das erst einmal wie eine Verheißung. Verkehrsaktivist Jon Worth, der seit Jahren das europäische Bahnnetz erkundet, ist skeptischer: „Es ist nicht klar, ob Trenitalia diese Fernzüge in Kooperation mit DB oder als Konkurrenz gegen DB machen will. In Frankreich und Spanien ist es klar: man macht da Konkurrenz. Aber Trenitalia ist flexibel – ich halte es für wahrscheinlicher, dass es in Deutschland auf Kooperationsbasis laufen wird.“
Selbst wenn Trenitalia ihre Züge unter eigener Flagge betreiben sollte: Ein Zug ist immer nur so gut wie das Gleis, auf dem er fährt. Und neben den vielen Baustellen bremst hierzulande auch der hohe Trassenpreis den Fernverkehr aus. Er wird nach Vollkosten berechnet und nicht, wie in den anderen europäischen Ländern, nach Grenzkosten. Es wird also die gesamte Finanzierung des Schienennetzes auf den Kilometerpreis umgelegt und nicht nur der Verschleiß und Verwaltungsaufwand. Das betrifft zwar gleichermaßen alle Bahnbetreiber, schadet ihnen aber im Wettbewerb mit Bus, Auto oder Flugzeug. Zudem ist der Bahnnetzbetreiber InfraGo zwar formal eigenständig und gemeinwohlorientiert, muss etwaige Gewinne aber trotzdem an die Muttergesellschaft Deutsche Bahn AG abführen. Eine schlechte Voraussetzung also für einen fairen Wettbewerb.
Politische Entschlossenheit gefragt
Ob eine strikte Trennung von Bahnbetrieb und Netz wirklich so entscheidend ist für eine gute funktionierende Bahn, ist allerdings offen. „Im europäischen Vergleich gibt es keine eindeutige Antwort“, sagte mir Jon Worth 2023 in einem Interview. „Es gibt zum Beispiel eine sehr klare Trennung in Spanien. Hat das wirklich geholfen? Ich weiß nicht. In Österreich gibt es keine besonders strikte Trennung, aber da verkehren andere Betreiber ohne große Probleme auf den Hauptachsen. Ich bin eher für eine Trennung, aber nicht komplett überzeugt.“
Was man auf jeden Fall von Italien lernen kann, ist politische Entschlossenheit. Es war 2007 eine sehr mutige Entscheidung, dem Staatskonzern Beine zu machen. Das muss man wirklich wollen. Aber auf diese Weise kann man eines der heruntergekommensten Bahnsysteme Europas zu einem der führenden machen. Deutschland führt gerade den gegenteiligen Prozess vor.