Wie wollen wir arbeiten? Die Antwort auf diese Frage betrifft unser ganzes Lebensgefühl. Cubicle oder Großraum, Stechuhren, Gleitzeit, Vertrauensarbeitszeit, Teilzeit, Vollzeit, Viertagewoche, 16-Stunden-Tag – diese Begriffe machen etwas mit uns. Sie lösen Stolz aus oder einen Drang, sich zu rechtfertigen. Augenrollen, Schulterzucken, Fluchtreflexe, Verschwörungsgrinsen.
Die Rahmenbedingungen unserer Arbeit gehören zu jenen Faktoren, an Hand derer Menschen sich selbst definieren. Sie entscheiden, wie wir unsere Arbeit machen. Sie prägen das Ergebnis. Schreibe ich diesen Text in einem Coworking-Space, im Zweierbüro, mit Decke auf dem Sofa oder mit meinem Redakteur im Nacken? Wer mich ein wenig kennt, der wird diese Frage nach ein paar Absätzen beantworten können. Weil sich Arbeitsbedingungen auf das auswirken, was rauskommt – und dieser Zusammenhang ist für jeden Menschen unterschiedlich.
Wer erfolgreich einen Arbeitstrend ausruft, der prägt deshalb eine ganze Gesellschaft – und die Leistung gleich mit. Dazu gehört ein gewisses Selbstbewusstsein, wie das halt immer so ist, wenn sich jemand etwas ausdenkt und es für wahr erklärt. Wir gehen davon aus, dass Weiterentwicklung gleichzusetzen ist mit Fortschritt. Und diese Annahme ist falsch.
Arbeitstrends sind ein Irrweg
Ich war in den 1990ern und Nullerjahren ein Teenager. Und wenn ich von meinen karierten Grunge-Hemden, Tanga-Blitzern, Schlaghosen und Fischerhüten eines gelernt habe, dann das: Egal, für wie fortschrittlich wir einen Trend halten – fünf Jahre später lassen wir alle Beweise verschwinden. Also bis auf die Grunge-Hemden natürlich.
Das Gleiche sollten wir mit der Idee geteilter Schreibtische vielleicht auch tun. Unternehmen sind keine Coworking-Spaces. Oder mit Großraumbüros – Bahnhofshallen sind sie schließlich auch nicht. Nicht jede:r teilt diese Meinung – und genau darauf will ich hinaus. Was ich gern als Errungenschaften feiere, stellt andere vor Herausforderungen: flexible Arbeitszeiten zum Beispiel.
Für viele Menschen sind sie sicherlich prima, weil sie Vereinbarkeit erlauben. Andere würden sich wohler fühlen, wenn ihnen jemand sagt, wann sie zu arbeiten haben und wann sie ihre Kolleginnen und Kollegen erreichen. Es gibt ihnen ein Gefühl von Sicherheit: eine Sache weniger, über die sie nachdenken müssen.
Und in einer Studie des Beratungsunternehmens EY gaben 81 Prozent der Menschen an, auch in Zukunft regelmäßig im Homeoffice arbeiten zu wollen. Nur: Die anderen 19 Prozent gibt’s halt auch noch. Außerdem: Einige wollen Sinn im Job – andere einfach einen zufriedenen Feierabend.
Wir müssen uns der Wahrheit stellen, dass des einen Arbeitsutopie des anderen persönliche Hölle ist.
Arbeitstrends sind eine sehr gute Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Beraterinnen und Berater, die lieber nicht zu viel nachdenken wollen. Und sie sind eine gute Lösung für Führungskräfte, die nicht zuhören können. Darüber hinaus haben sie nur geringen Nutzen. Klar, sie stoßen Debatten an. Und je irrer der Trend, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass wir über ihn reden – und reden ist wichtig.
Freiheit sieht schlimmer aus, als sie ist
Doch wenn ich meine Texte schreibe und Consulting-Firmen ihre Report-Präsentationen halten und wenn Führungskräfte ihre Organisationsinnovationen verkünden, dann ist das Entscheidende noch immer nicht passiert: Niemand hat den Arbeitnehmenden die Freiheitsgrade gegeben, die sie brauchen, um gut zu arbeiten. Heißt: Ne Menge Leute wurden bezahlt und nichts Vernünftiges ist passiert.
Wir lösen dieses Problem nur auf die unbequemste aller Arten: Wir müssen alle mehr zuhören. Führungskräfte: Lest nicht nur die Überschrift, lest nicht nur den Artikel einer Idee zur Arbeitsorganisation, die euch reizvoll erscheint. Lest auch die Kommentare darunter. Fragt eure Mitarbeitenden, was sie von geplanten Veränderungen halten. Nehmt Bedenken ernst und haltet Widersprüche aus. Und fragt die Menschen – regelmäßig! –, was sie an ihren Arbeitsbedingungen gern anpassen würden, wenn sie bei der Gestaltung vollkommen frei wären.
Es müssen nicht alle gleich arbeiten. Und es gibt keinen Idealweg. So funktionieren Menschen einfach nicht.
Rigide Arbeitsmodelle, Hierarchien, sogar Gleichheit der Rahmenbedingungen – sie stammen aus einer Zeit, als die wirtschaftsbeherrschende Klasse davon ausging, dass eigentlich niemand arbeiten möchte. Es ist der spätpubertäre Gedanke von: Alle sind gegen mich, Federmäppchen aufgestellt, Schutzmauer gebaut. Inzwischen ist diese Angst ausführlich und immer wieder widerlegt worden.
Vertrauen wir darauf, dass Menschen etwas bewirken wollen, dann können wir ihnen auch erlauben, ihre Arbeitsbedingungen selbst zu gestalten. Und davon profitieren letztlich alle.