Kunstwerke per Wisch: Wydr will das „Tinder für Kunst“ werden
Die Gründung von Wydr war kein Zufall. Als sich Matthias Dörner und Timo Hahn 2015 zusammensetzten, um im Rahmen ihres Ingenieurstudiums nach Geschäftsideen zu suchen, kamen sie auf mehr als 300 Einfälle. Die Frage, die sie sich stellen: Welcher davon könnte tatsächlich eines Tages von Erfolg gekrönt sein? Die beiden setzten sich zusammen, testeten die Geschäftsmodelle, bauten Prototypen, führten Interviews. Am Ende verfestigte eine Idee: eine App, mit der man sich durch Kunst wischen kann. Es sei die „aussichtsreichste Idee“ gewesen, sagt Hahn rückblickend.
Die Gründer selbst beschreiben ihr Startup als „Tinder für Kunst“: Ursprünglich steht der Name Wydr für eine Mischung aus den Begriffen White Wall und Tinder. Dem Nutzer wird ein Kunstwerk und dessen Name angezeigt, mehr nicht. Wenn das Gemälde, die Skulptur oder das Foto gefällt, wischt er wie bei Tinder nach rechts. Wenn ihm mehrere Werke gefallen, kann er sie sich schließlich nach Größe oder Preis sortieren lassen und sie über Wydr erwerben. Die Mission: „Wydr soll die erste Anlaufstelle für Leute sein, die Kunst für Zuhause suchen“, sagt Matthias Dörner.
Wydr: Von Hobbymaler bis professioneller Künstler
Den Künstlern soll die Plattform einen Weg bieten, um ihre Werke zu verkaufen. Die Gründer fokussieren sich dabei auf mittelpreisige Kunst – vom Hobbymaler, der seine ersten Bilder in der Freizeit erstellt, bis hin zum Fotografen, der kurz vor dem Durchbruch steht, sollen sich alle angesprochen fühlen. „Wir haben uns bewusst gegen das Kuratieren entschieden, um mit bestehenden Konventionen zu brechen“, sagt Hahn. Nur die Crowd entscheidet mittels Algorithmus, was häufiger angezeigt und was nicht: Wenn ein Bild besonders viele Klicks bekommt, wird es auch anderen häufiger angezeigt.
Das erste Jahr verbrachten die beiden Gründer damit, Künstler auf die Plattform zu bekommen. Das sei ein „Henne-Ei-Problem“, sagt Hahn: Womit fange man an – mit Käufern oder Verkäufern? Sie entschieden sich für Letzteres. Derzeit verkaufen rund 5.000 Künstler mehr als 10.000 Werke auf Wydr. Seit Anfang 2017 kümmern sich Dörner und Hahn auch verstärkt darum, mehr Nutzer für sich zu gewinnen. Kam ihre App vor einem halben Jahr noch 55.000 Downloads, so ist es mittlerweile das Doppelte. Täglich besuchen mehr als 1.000 User die Plattform.
Finanziert haben die Gründer alles aus eigener Tasche. Ihre Jobs haben sie für das Startup aufgegeben. „Allerdings gibt es nach zwei Jahren auch gewisse Engpässe und Verpflichtungen, sodass wir zwischendurch Nebenjobs annehmen mussten, um unsere Idee weiter vorantreiben zu können“, erzählt Hahn. Für Investoren – oder wie der Gründer sagt: „für jegliche Hilfe von Überzeugungstätern“ – sei man aber offen.
In der „Höhle der Löwen“ versuchten sie Anfang des Jahres, einen bekannten Investor von ihrem Geschäftsmodell zu überzeugen. Angesprochen wurden sie von der Produktionsfirma: Erst nach der zweiten oder dritten Mail haben sich die Gründer nach eigener Aussage bei der Vox-Sendung beworben. Die Zusage kam dann vier Tage vor der Aufzeichnung – an dem Tag, an dem Hahn nach einem Unfall aus dem Krankenhaus kam. Am Dienstagabend wurde die Sendung ausgestrahlt.
Für 249.999 Euro wollten die Züricher 20 Prozent ihrer Anteile abgeben. Doch die Investoren zeigten sich alles andere als überzeugt – besonders wegen des damals noch niedrigen Umsatzes von 6.000 Euro für das Gesamtjahr 2016. „Ihre Bewertung ist anmaßend, Ihr Arbeitsnachweis ist im Kunstbereich ein Nichts“, schimpfte Carsten Maschmeyer. Ralf Dümmel betonte, dass sich die Gründer mit ihrer Bewertung selbst ins Aus geschossen hätten. Und Frank Thelen hielt den Wydr-Machern vor, dass das Kopieren von Tinder „eine fixe Idee“ sei. Die beiden verabschiedeten sich ohne Deal.
Geknickt sind die Gründer aber deshalb nicht. „Bewertungen bei Startups ist ein Thema für sich“, sagt Hahn. Es gebe gewisse Daumenregeln, an die sich die meisten Investoren hielten. Da sie vorher gewusst hätten, wie Deals in der „Höhle der Löwen“ zustande kämen, hätten sie schon vorher erwartet, kein Investment zu erhalten. Den Auftritt bereuen sie nicht. „Etwas Neues auszuprobieren, lohnt sich fast immer“, sagt Hahn. „Nur wer nichts macht, hat bereits verloren.“
Warum Wydr Amazon und Airbnb nacheifert
Ihre Ambitionen haben sich nicht geändert: Für das Gesamtjahr 2017 peilt Wydr weiter einen Außenumsatz von 400.000 Euro an. Sie seien auf einem guten Weg, dieses Ziel auch zu erreichen, so die Unternehmer. Wie viele Startups auch wollen sie lieber wachsen statt schwarze Zahlen schreiben. Aktuell liegt die Warenkorbgröße bei Wydr bei 230 Euro, das Startup erhält 30 Prozent Kommission pro verkauftem Werk.
„Viele Künstler sind überrascht, wenn sie eine Mail von uns bekommen.“
Ihre Vision: Was Airbnb für die Zimmervermittlung und Amazon Self Publishing für die Hobbyautoren sei, das solle Wydr für echte Kunstwerke werden. „Viele Künstler haben vor Wydr noch nie etwas verkauft und sind jedes Mal aufs Neue überrascht, wenn sie diesbezüglich eine Mail von uns bekommen“, sagt Hahn. Mit Wydr soll der Verdienst zur Normalität werden.
Aktualisiert am 17. Oktober 2017, 21.01 Uhr.