Wenn ein Youtube-Star eine Leiche filmt: Wie viel Verantwortung haben Influencer?
Youtuber Logan Paul hat sich mit seinem Video aus dem japanischen „Suizidwald” einen Shitstorm eingehandelt. Youtube selbst reagierte erst spät. Welche Verantwortung tragen Influencer und in welchem Maße müssen Techplattformen regulieren? Wir sprachen mit Influencer-Experte Simon Staib, Gründer der Influencer- und Blogmartketing-Plattform Blogfoster.
t3n.de: Influencer haben durch ihre große Gefolgschaft auch eine große Verantwortung. Dabei sind die wenigsten Influencer Medienprofis. Können sie der Verantwortung überhaupt gerecht werden oder erwarten wir zu viel?
Simon Staib: Viele Influencer unterschätzen einfach, was für eine Position sie wirklich haben. Wahrscheinlich agieren sie in ganz vielen Fällen unbewusst richtig und manchmal hauen sie auch daneben. Ein erster Schritt, die Verantwortung wahrzunehmen, ist also, sich dieser erstmal bewusst zu werden. Das ist ein Schritt, den Influencer machen müssen. Meistens sind Influencer ja nicht von heute auf morgen geboren, sondern sie gehen einen langen Weg. Sie fangen bei wenigen Followern an und arbeiten sich dann hoch. Irgendwann kommt dann natürlich der Punkt, wo sie nicht nur Freunde und Bekannte erreichen, bei denen sie wissen, wie Inhalte ankommen. Sondern irgendwann haben sie es mit Leuten zu tun, die den Influencer zwar gut kennen, aber er kennt seine Follower nicht. An diesem Punkt muss man sich überlegen: Was sendet man? Wie kommt es an? Das ist für Influencer oft ein sehr schmaler Grat. Es werden im Internet gerade die Persönlichkeiten wahrgenommen, die zu Themen eine starke Meinung haben. Das Problem ist, dass manche Influencer nicht realisieren, wie viele Leute sie wirklich mit einer Botschaft erreichen und welche Verantwortung das mit sich bringt. Das ist jedoch keine Ausrede. Ich denke: jeder sollte wissen, dass er eine gewisse Followerschaft hat, die er durch seine Postings beeinflusst.
t3n.de: Sollten sie schon vor solch einem Post checken, wie sinnvoll der jetzt ist? Oder was würdest du Influencern konkret raten, damit sie sich nicht in die Nesseln setzen?
Ich glaube, in den meisten Fällen weiß ein Influencer, wo er gerade eine Grenze übertritt und wo nicht. Manchmal ist dieser Grenzübertritt ganz klar gewollt, um einfach mal die Reaktionen darauf zu testen. Jeder Influencer sollte sich selbst eine Leitlinie setzen und sich fragen, ob etwas über die eigene Komfortzone oder die von Freunden und Bekannten hinausgeht. Es gibt ganz viele Themen, die Influencer behandeln und die ganz und gar unproblematisch sind. Da tritt man so schnell niemandem auf die Füße. Aber wenn es um Themen geht, die in der Gesellschaft auch fernab von Influencer-Kanälen besonders bedacht werden müssen, wie Politik oder Tod, muss man einfach vorsichtiger sein. Da hilft es, mit jemandem zu sprechen, dem man vertraut und der etwas außerhalb der eigenen Peergroup steht. Wenn man sich einfach an den gesunden Menschenverstand hält und vor einem Posting noch einmal mit jemandem spricht und evaluiert, können schon viele Fehltritte verhindert werden. Wir versuchen für die Influencer, die bei uns registriert sind, genau dieser Sparringspartner zu sein und helfen bei diesen Fragen. Wir finden schon, dass dies auch in den Aufgabenbereich einer verantwortungsbewussten Influencer-Marketing-Plattform fällt.
t3n.de: Bei welchen Themen sollten sie generell vorsichtig sein?
Es kommt immer auf die Machart an. Influencer müssen verstehen, welche Reaktionen sie hervorrufen. Gerade das Thema Suizid ist beispielsweise ein extrem sensibles. Influencern hilft es da, in den Dialog mit ihren Followern zu gehen. Viele tun das bereits und fragen, zum Beispiel in Instagram Stories, nach Feedback zu ihren Themen, oder lesen sich durch, was ihre Follower zu ihren Themen zu sagen haben.
t3n.de: Eigentlich sollten sich Influencer der Hausregeln der einzelnen Plattformen bewusst sein. Warum kommt es dann trotzdem zu solchen Fehltritten? Ist das bloße Kurzsichtigkeit oder berechneter Skandal?
Im Fall von Logan Paul glaube ich, dass er den Skandal, den er jetzt ausgelöst hat, in dieser Massivität nicht berechnet und gewollt hat – aber bewusst in Kauf genommen. Außerdem hat er ja auf dieser Japanreise noch andere Videos gedreht. Er hat beispielsweise mit toten Fischen an die Scheiben von einem Sushi-Restaurant gehämmert. Da waren schon extreme Geschmacklosigkeiten und in meinen Augen auch etwas kindische Sachen dabei, die aber für seine Zielgruppe, die ja eher minderjährige Jugendliche und junge Erwachsene umfasst, wahrscheinlich sehr gut funktionieren. Und auch das Video aus dem Suizidwald enthält alle Charakteristika von einem guten Clickbait-Video. Bei der dramatischen und höchst pervertierten Form aber, wie das alles produziert und veröffentlich wurde, kann man jedoch von keinem Versehen sprechen. Es wurde bewusst der Ort gewählt; es wurde sich bewusst auf die Suche nach einem Opfer begeben; es wurde bewusst gefilmt und kommentiert; es wurde bewusst veröffentlicht.
t3n.de: Sollten nicht eigentlich auch die jeweiligen Techplattformen stärker reagieren? Oder geraten sie dann nicht unter Zensurverdacht?
Das ist natürlich ein zweischneidiges Thema. Wir hatten das Problem ja jetzt auch gerade erst auf Twitter, dass durch das starke Eingreifen einer Plattform in die Tweets nicht nur die rassistischen Profile gesperrt wurden, sondern auch das Profil des Satiremagazins Titanic, das diesen rassistischen Beitrag aufgegriffen hat. Da zeigt sich, dass Plattformen einfach massive Schwierigkeiten haben, qualifiziert und differenziert zu sperren. Und es stellt sich die Frage nach dem Ablauf: Gibt es erst eine Bewertung, die darüber entscheidet, ob ein bestimmter Content gesperrt werden muss – mit der Gefahr, dass dieser Content erst einmal eine Weile online und konsumbierbar ist, gedownloadet und vervielfältigt wird, sodass man irgendwann überhaupt keine Kontrolle mehr hat? Oder dass man erstmal alles sperrt, was auch nur in eine sensible Richtung tendiert und dann erst evaluiert? Die Plattformen haben auf jeden Fall eine Verantwortung in solchen Fällen schneller zu reagieren. Im Falle von Videos gibt es ja auch ganz andere Wege, diese zu kontrollieren – zum Beispiel durch Altersfreigabe – bevor diese komplett gelöscht werden. Denn wenn man die Plattformen in die Rolle drängt, schneller zu reagieren, besteht die Gefahr, dass auch Inhalte gelöscht werden, die gar nicht gegen Gesetze oder Plattformrichtlinien verstoßen.
t3n.de: Wie können Unternehmen, die mit Influencern zusammenarbeiten, verhindern, dass die negative Publicity auf sie zurückfällt?
Einen hundertprozentigen Schutz gibt es natürlich nicht. Wenn man sich jetzt aber beispielsweise die Videos von Logan Paul anschaut, dann weiß man, wessen Geistes Kind er ist. Das muss man als Unternehmen berücksichtigen und für sich bewerten. Und auch, wenn man sich nur auf einen Influencer als Testimonial versteift, dann ist es ein Risiko, das man bewusst eingeht. Und gerade dann sollten Unternehmen sehr grundlegende und weitgehende Analysen durchführen. Wenn man sich an einen Influencer hält, der bisher überhaupt nicht negativ aufgefallen ist, dann fährt man zwar sicherer, aber man kann nie ausschließen, dass es da mal Ausfälle gibt. Influencer sind ja schließlich alle auch nur Menschen.
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