Wie Organisation und Automatisierung zu mehr Effizienz führen: Das perfekte Lager
Die Kernkompetenz eines Händlers ist eigentlich der Verkauf, trotzdem wenden viele Onlinehändler einen großen Teil ihrer Zeit für Lager und Versand auf. Zu aufwendige oder zu viele manuelle Prozesse im Versand kosten Zeit, genauso die Lagerorganisation.
Mit einigen strukturellen Änderungen im Lager und der softwaregestützten Automatisierung manueller Prozesse können Händler mit weniger Stress, weniger Zeitaufwand und weniger Kosten mehr Pakete im Versand verarbeiten.
In einer Studie von ibi Research haben 62 Prozent der befragten Onlinehändler angegeben, ihr Warenwirtschaftssystem zur Prozessautomatisierung beziehungsweise zur Reduktion der manuellen Prozesse einzusetzen. 49 Prozent ging es zusätzlich um transparentere Prozesse, 66 Prozent haben auch aufgrund des einheitlichen Datenbestands ein Warenwirtschaftssystem eingeführt. In der Regel lohnt sich der Schritt zur softwaregestützten Automatisierung schon bei wenigen Paketen pro Tag. Ein konkreter Schwellenwert lässt sich zwar seriös nicht festlegen – aber jeder Händler, der weniger Zeit mit dem Versand verbringen möchte, kann von einer Lageroptimierung profitieren.
Zu Beginn der Optimierung ist eine Bestandsaufnahme hilfreich, bei der die Arbeitszeit der Versand-Mitarbeiter – die möglichst mit normaler Geschwindigkeit arbeiten sollten – einige Tage lang erfasst wird. Das Protokoll ergibt, wie viel Aufwand auf die einzelnen Arbeitsschritte im Lager entfällt. So liefert es eine Entscheidungsgrundlage für die Erfolgsmessung nach der Lageroptimierung. Der erste Schritt auf dem Weg ins perfekte Lager führt anschließend direkt in die Lagerhalle des Händlers und zur Organisation und räumlichen Aufteilung seines Lagers.
Chaotisches oder statisches Lager
Viele Händler führen das, was Experten ein Picklager nennen: Mitarbeiter laufen im „Person-zu-Ware-Modus“ durch breite Gänge an Regalen, an sogenannten Fachbodenlegern, vorbei. In den Gängen ist genug Platz für zwei Mitarbeiter mit Rollwägen.
In den Regalen stehen Kisten, die fein säuberlich beschriftet sind: Spielekonsolen, Eisenbahnen, Kuscheltiere, ferngesteuertes Spielzeug, Puppen, um ein paar Beispiele zu nennen. Jede Kategorie nimmt ein Regal ein, so dass die Mitarbeiter wissen, in welchem Regal welches Produkt zu finden ist. Dabei wird eine so genannte „statische Lagerführung“ betrieben: Jedes Produkt hat einen angestammten Platz im Lager. Ein Nebeneffekt: leere Lagerplätze, halbvolle oder völlig überfüllte Lagerplätze – und entnervte Mitarbeiter, die einen freien Platz für neue Ware suchen.
Eine bessere Alternative stellt oft die modernere, so genannte „chaotische Lagerführung“ dar: Dabei wird eintreffende Ware einfach auf dem nächsten freien Lagerplatz abgelegt, nichts hat mehr einen festen Platz. So wird zum einen der vorhandene Raum im Lager optimal ausgenutzt, ohne leere oder halbgefüllte Lagerplätze zu produzieren, zum anderen werden die Laufwege der Mitarbeiter durch die entstehende Verteilung statistisch betrachtet kürzer – so ist schnell der erste Beschleunigungsfaktor erreicht.
Ein positiver Nebeneffekt der chaotischen Lagerführung: sie erspart die Inventur. Die gesetzlichen Anforderungen an die Inventur sind erfüllt, wenn der Lagerplatz einmal umgeschlagen wurde – also ein Artikel auf dem Platz neu eingelagert oder entnommen wurde. Liegt im Warenwirtschaftssystem das Einlagerungsdatum eines Artikels im Steuerjahr, dann wurde einmal umgeschlagen.
Langsamdreher und Schnelldreher
Ein weiterer Beschleunigungsfaktor neben der optimalen Lagerauslastung ist die räumliche Aufteilung des Lagers. Dazu wird zuerst ein Plan des Lagers angefertigt, jedes Regal und jedes Regalfach wird eingezeichnet.
Diese Einteilung ist aus zwei Gründen nötig: Zum einen braucht die Warenwirtschaftssoftware eine Nummerierung beziehungsweise eine konkrete Identifizierung der Lagerplätze, um später Packlisten zu erstellen, zum anderen können Händler so ihr Lager gleich mit der Hilfe einer ABC-Analyse neu anordnen.
Dazu wird das Sortiment in drei Klassen eingeteilt: A) Artikel, die besonders oft gepickt, also vom Mitarbeiter gegriffen werden, bis hin zu C) Artikel, die recht selten gegriffen werden. Das sogenannte Pareto-Prinzip, auch 80/20-Regel genannt, gilt auch im Versand: Rund 20 Prozent des Sortiments sorgen für 80 Prozent der Pickvorgänge. Deshalb ist es wichtig, die A-Artikel prominent in der Nähe des Packplatzes und gegebenenfalls auch noch gut greifbar auf mittlerer Regalhöhe zu platzieren. Dann folgen die weiteren Abstufungen: B- und C-Artikel. Errechnen lässt sich das entweder in einer Exceltabelle, in der das Sortiment anhand des Ertrags sortiert wird – oder anhand einer Langsamdreher- und Schnelldreher-Liste aus der Warenwirtschaft, auch Renner- und Penner-Liste genannt.
Die Mitarbeiter haben so kürzere Laufwege und können schnell und bequem auf die am meisten verkauften Artikel zugreifen. Aber trotzdem ist die Kommissionierung noch zeitaufwendig.
Die Kommissionierung
Bis zu einer gewissen Sortimentsbreite- oder -tiefe kann oft noch mit einer einstufigen Kommissionierung gearbeitet werden: Ein Mitarbeiter packt zehn Plastikboxen auf einen Wagen und fährt damit durch das Lager, um die Bestellungen gleich vor dem Regal zu kommissionieren. Jede Box ist eine Bestellung. Probleme bereitet diese Methode vor allem bei unförmigen Artikeln, die nicht auf den Kommissionierungswagen passen. Bei einer anderen Methode läuft der Mitarbeiter mit einem Packschein und einer Kiste durchs Lager und kommissioniert jede Bestellung einzeln. Die einstufige Kommissionierung kann im Lager mit einer Zoneneinteilung kombiniert werden, die Zonen werden dabei nach der in der ABC-Analyse ermittelten Umschlagshäufigkeit eingeteilt.
Bei einem größeren Versandvolumen und einem breiten, tiefen Sortiment ist sowohl die Zoneneinteilung als auch die einstufige Kommissionierung zu umständlich, langsam und anstrengend.
Hier stellt die zweistufige Kommissionierung eine bessere Variante dar. Bei dieser gilt Arbeitsteilung: Ein Mitarbeiter arbeitet als Picker, geht mit einem umfunktionierten Einkaufswagen los und sammelt ohne Ansehen der Bestellung anhand einer Packliste alle Artikel ein, das ergibt einen sogenannte „Batch“. Den Einkaufswagen stellt der „Picker“ beim zweiten Mitarbeiter ab, dem „Kommissionierer“, der nun die Artikel wieder auf die einzelnen Bestellungen verteilt.
Der Wareneingang als Nadelöhr
Nach der Optimierung des Kommissionierungsvorgangs ist der nächste Schritt die Integration des täglichen Wareneingangs in die laufende Kommissionierung.
Den Wareneingang nur morgens zu erfassen, kann bei kleinen Händlern noch gut funktionieren – aber auch darin enden, dass oft genug auf fehlende Ware gewartet wird, die noch schnell in den Versand muss. Erfolgen mehrmals täglich Wareneingänge, sollte optimiert werden und es sollten mehrmals täglich Wareneingänge eingebucht werden. Dadurch werden Bestände sofort im Onlineshop sichtbar und bestellbar. Ein Mitarbeiter teilt dabei gleich auf zwischen offenen Ein-Artikel-Bestellungen, „gemischten“ Bestellungen, die zur Kommissionierung müssen, sowie Lagerartikeln. So ist der Händler bei einer serienorientierten Kommissionierung angelangt und beginnt, die in „Serie“ erfolgenden Kommissionierungen zu ordnen: Die erste Serie am frühen Morgen sind Expresslieferungen. Dann folgen Bestellungen mit gleichförmigen Artikeln in kleiner, handlicher Größe, dann Bestellungen mit großem Volumen, das erhöht die Geschwindigkeit beim Picken noch weiter. Dann erfolgen weitere Serien mit Ein-Artikel-Bestellungen, sobald der letzte Wareneingang verzeichnet ist, und eine abschließende Serie mit spät eingetroffenen Bestellungen.
Retouren integrieren
Im Laufe des Tages kommen bei Onlinehändlern auch Retouren der Kunden an. Oft sind einige der zurückgesandten Artikel reif für den erneuten Versand; die Verarbeitung der Retoureneingänge unmittelbar mit dem letzten Wareneingang zusammen kann deshalb sinnvoll sein. So können zumindest die Artikel, die mit wenig Aufwand wieder dem Bestand zugeführt werden können, direkt in eine Kommissionierungs-Serie integriert werden.
Sinnvoll ist hier auch die Erfassung von Retourengründen, um Artikeldaten zu verbessern und eine automatisierte Benachrichtigung und gegebenenfalls Rückerstattung an den Kunden zu veranlassen, sobald der Bearbeiter den Auftrag im ERP als erledigt markiert hat.
Barcodes und digitale Helfer im Lager
Je mehr Prozesse im Lager automatisiert sind, desto effizienter erfolgen Vorbereitung und Versand der Ware. Manuell durchgeführt werden müssen dann nur noch das Scannen von Barcodes auf Belegen, Listen, Artikeln, Kommissionierungsplätzen und Lagerplätzen sowie das Picken, die Kommissionierung und das Packen.
Um diesen Automatisierungsgrad zu erreichen, werden Barcodes auf den verschiedenen Logistik-Dokumenten wie Packliste, Lieferschein und Rechnung sowie Barcodes an Lagerplätzen und Artikeln genutzt. Beispielsweise setzt ein abschließender Scan eines Barcodes auf der Rechnung automatisch den Auftrag auf erledigt, aktualisiert den Versandstatus im Onlineshop und benachrichtigt den Kunden. Für diesen Automatisierungsgrad ist eine speziell für den Onlinehandel geeignete ERP- oder Warenwirtschaftslösung notwendig. Dabei stehen viele Anbieter wie Pixi, Cludes, Softengine, plentymarkets oder eine der vielen anderen Lösungen aus unserer t3n-Artikelserie ERP, Branchenlösungen und Middleware für den Versandhandel zur Verfügung.
Packplatz organisieren
Der Packplatz sollte unter Berücksichtigung ergonomischer Gesichtpunkte gestaltet werden, damit weder die Gesundheit noch die Arbeitsgeschwindigkeit des Mitarbeiters leidet. Kleinere Lager können ein Sortierregal direkt als Aufsatz an den Packtisch anbringen: So können zehn nummerierte Fächer direkt für das Kommissionieren von zehn Bestellungen genutzt werden.
Arbeitsmaterialien wie verschiedene Kartonagen, nach Größe geordnet, Füllmaterial und eventuelle Paketbeilagen sollten in Griffbereitschaft liegen. Beilagen können über Versanddokumente gesteuert werden: So kann eine Markierung auf dem Lieferschein anzeigen, welcher Artikel oder Flyer beigelegt werden soll.
Der Dokumentenausdruck sollte am Packplatz automatisiert und in Bestell-Batches stapelweise zusammengefasst erfolgen. Ein Kontrollmonitor kann den erfolgten Scan von Artikeln und die Zuweisung zu einer Bestellung sowie den Abschluss eines Vorgangs begleiten und mit optischen oder akustischen Warnmeldungen auf „falsche“ Scans, fehlende Artikel oder Prozessschritte hinweisen.
Fazit: Organisation und Automatisierung sind Pflicht
Das oberste Ziel sollte eine weitgehende Automatisierung aller im Hintergrund ablaufenden Prozesse sein. Händler, die eine gewisse Größe überschreiten, können es nicht mehr verantworten, dass Belege manuell erstellt, Bestellungen ohne Systemkontrolle erfüllt oder Rückerstattungen noch von Hand verarbeitet werden. Diese Schritte übernimmt in einem effizienten Unternehmen eine leistungsfähige Softwarelösung.
Die Automatisierung der Abläufe beim Picken und Packen durch Barcodes bei jedem Prozessschritt beschleunigt den Versand um ein Vielfaches und legt den Grundstein für die weitere Skalierung des Onlinehandels.
Händler, die aus dieser Konfiguration „herauswachsen“, brauchen mehr: Förderbänder für Pakete, Kommissionierungsanlagen mit Schächten, intelligente LED-Systeme zur Steuerung der Kommissionierer wie sie Pixi mit „Pick-by-Light“ bietet oder vielleicht irgendwann den intelligenten Logistik-Roboter Toru des Startups Magazino aus München, der schon heute in manchen Unternehmen den Picker komplett ersetzen könnte.
Falls dieser Aufwand abschreckend wirken sollte: Das Lager lässt sich auch an Experten auslagern. Die Otto-Tochter Hermes Fulfilment etwa bietet mit ihrem Produkt „Smartful“ ein Fullservice-Angebot vom Lagern bis zu Versand, Retourenbearbeitung und Kundendienst an. Weitere Fulfilment-Anbieter wie die DHL-Tochter Allyouneed, eSeller’s Friend oder Amazon Fulfilment können ebenfalls Abhilfe schaffen.