5 Tipps, wie wir unsere Selbstständigkeit im KI-Zeitalter behalten
Wer erinnert sich noch an Minerva, die römische Göttin der Weisheit, die nach der römischen Mythologie der Menschheit die Webkunst oder den Wagenbau beibrachte? In unserem digitalen Zeitaltalter ist es nicht mehr Minerva, die uns solche Weisheiten beibringt. Vielmehr sind es die hinter den KI-Anwendung stehen Algorithmen, wobei aktuell besonders generative KI-Systeme wie ChatGPT zu nennen sind.
Gerade ChatGPT und seine Artverwandten wie GPT4 oder Midjourney haben in den letzten Monaten für viel Aufsehen gesorgt und uns eindrucksvoll gezeigt, dass sich die Rolle künstlicher Intelligenz von einem reinen Informationslieferanten hin zu einem passgenauen Informationsfilter gewandelt hat, der uns in abnehmender Zeitspanne genau die Informationen liefert oder generiert, die wir gesucht haben.
In einer Welt, in der unsere eigene Aufmerksamkeitsspanne immer geringer wird, ist das ein großer Zugewinn. Umso besser erscheint es daher auch, dass wir teilweise schon Informationen erhalten, bevor wir nach diesen gesucht haben. Kein Wunder also, dass Alphabet, das Unternehmen hinter Google, beispielsweise bereits vor über einem Jahrzehnt angekündigt hat, uns Antworten auf Fragen zu geben, bevor wir überhaupt eine Frage gestellt haben.
Für Unternehmen wie Alphabet ist das der nächste logische Schritt in der Entwicklung hin zum vollumfänglichen Informationsdienst. Für uns als Nutzer:innen hingegen ist damit eine noch größere Entlastung geistiger Denkprozesse, Bequemlichkeit und dem Outsourcing unseres Denkens an Maschinen verbunden.
Warum der Mensch für das Outsourcen des Denkens empfänglich ist
Warum wir ein mentales Outsourcing auch dankend annehmen, begründet der Philosoph Immanuel Kant in seinem Werk „Was ist Aufklärung“ mit unserer Faulheit und Feigheit, selbst zu denken.
Der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Google, Eric Schmidt, wusste schon im Jahr 2010 genau aus dieser Faulheit und Feigheit einen zentralen Anspruch für Google zu formulieren: „Wir sollten Nutzern nur einmal die richtige Antwort geben können. Wir sollten wissen, was Sie gemeint haben.“ […] „Ich denke, die meisten Leute möchten nicht, dass Google ihre Fragen beantwortet. Sie möchten, dass Google ihnen sagt, was sie als Nächstes tun sollen.“
Wenn die von Schmidt formulierten Ziele erreicht werden, werden wir aber möglicherweise nicht nur fauler. Es kann auch der Anfang vom Ende unserer Fähigkeit sein, selbstkritisch zu denken. Es ist schließlich das Stellen von Fragen, das uns ermöglicht, kausale Ursache-Wirkung-Beziehungen zu verstehen.
Fragen sind der Schleifstein unseres Verstandes und für die Entwicklung und Aufrechterhaltung unseres Anfängergeistes entscheidend. Also genau der geistigen Einstellung, neuen Themen mit Offenheit und einer grundsätzlichen Neugier zu begegnen. Müssen wir nun in Zukunft immer weniger Fragen stellen, berauben wir uns genau dieses Schleifsteins.
Es erscheint daher fast wie Ironie, dass diejenigen Unternehmen, die sich damit rühmen, einen eigenen Anfängergeist zu haben, an vorderster Front stehen, nun unseren eigenen Anfängergeist zu einem „Arbeitslosengeist“ zu entwickeln.
Doch Arbeitslosigkeit ist weder gut für uns noch für unseren Verstand. Was unser Verstand braucht, sind Herausforderungen, knifflige Fragen und Debatten. Unser Verstand benötigt Informationen aus verschiedenen Quellen, muss Informationen reflektieren, sich kritisch mit ihnen auseinandersetzen und eigene Lösungsweg entwickeln dürfen.
Fragen sind wichtiger als Antworten
Um unsere Selbstständigkeit im KI-Zeitalter nicht zu verlieren, können gerade die so oft kritisierten sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter und Co eine wichtige Rolle spielen. Dafür aber müssen sie zunächst ihre Geschäftslogik verändern. Sie dürfen ihre Netzwerkmacht nicht mehr für den viel praktizierten und von der Wissenschaftlerin Shoshana Zuboff bezeichneten Überwachungskapitalismus nutzen und uns auch nicht nur Informationen anzeigen, die eine Bestätigungstendenz in uns auslösen.
Auch dürfen sie uns nicht mehr in einen Kaninchenbau führen, in dem die Algorithmen uns nur mit den Informationen füttern, die sie als „relevant“ für uns erachten.
Vielmehr müssen sie als offene Informationsbibliotheken geschaffen werden. Der neue Optimierungsparameter der Algorithmen ist dann auch nicht mehr die Maximierung des Aufmerksamkeitseinsatzes der Nutzer:innen. In Zukunft werden es dann Informationen sein, die uns dazu bringen, uns bedeutungsvolle Fragen stellen zu lassen.
Hierfür können sich soziale Netzwerke und andere digitale Dienste an physischen Bibliotheken orientieren. Genau wie eine Bibliothek sollen sie uns einladen, in Kontakt mit verschiedenen Quellen und Autor:innen zu kommen. Sie müssen offengehalten werden, uns befähigen, den kritischen Diskurs zu suchen und uns auch unvorhergesehene Kontakte zu Mitmenschen und Informationen ermöglichen.
Das schließt besonders auch generative KI-Systeme wie ChatGPT ein, die zwar mit einem vermeintlich großen Wissensschatz aufwarten und auf jede Frage eine Antwort haben, nicht aber in der Lage sind, uns selbstständig auf falsche Angaben in den Antworten hinzuweisen.
5 Empfehlungen, um im KI-Zeitalter nicht an Selbstständigkeit zu verlieren
Damit wir unsere Selbstständigkeit auch im KI-Zeitalter behalten, zeigt die nachfolgende Grafik fünf Empfehlungen, die wir alle beherzigen können:
Anbieter digitaler Dienste wie Google oder Facebook müssen uns daher erlauben, auch mit Informationen in Kontakt zu kommen, die unsere Überzeugungen infrage stellen. Sie sollen Denkprozesse in uns auslösen und uns neue Erkenntnisse liefern, für die wir auch die Verantwortung übernehmen.
Dann werden sie uns eine Welt voll mit neuen Perspektiven eröffnen und dazu beitragen, eine zu starke Abhängigkeit von KI erst gar nicht aufkommen zu lassen. Algorithmen sollten dann auch ganz dem von Immanuel Kant geprägten Leitsatz der Aufklärung verpflichtet sein und es uns erlauben, unseren Verstand ohne Leitung eines anderen zu nutzen.
Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen
Digitale Dienste sollten unseren Verstand nicht leiten. Tun sie es doch, werden die Unternehmen hinter diesen Diensten eines Tages möglicherweise feststellen, dass sie nicht das sind, was sie glauben zu sein: eine moderne Version von Minerva. Vielmehr werden sie feststellen, dass sie Arachne sind, die Minvera einst zu einem Wettkampf im Weben herausgefordert hat. Als Minverva diesen Wettkampf jedoch verlor, verwandelte sie die hochmütige Arachne in eine Spinne und verurteilte sie so, bis in alle Ewigkeit zu weben.
Das Ergebnis heute wird dann nicht Arachnophobie sein, aber Algorithmusphobie, die Angst vor den von Algorithmen angebotenen Diensten. Was KI und die dahinterliegenden Algorithmen jedoch tun sollten, ist, uns auf unterschiedliche Informationen hinzuweisen und uns ermutigen, bedeutungsvolle Fragen zu stellen. Dann wagen es die Algorithmen hinter den KI-Anwendungen, uns weise sein zu lassen, und folgen dem Leitspruch der Aufklärung: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.
Kluger und durchdachter Artikel. Auch die 5 Tipps sind sehr gut. Als offene Bibliothek betrachtet, könnte KI tatsächlich Spaß machen.