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MIT Technology Review Analyse

50 Jahre Impfprogramm der WHO: Warum der Piks gegen Polio und Masern eine Erfolgsgeschichte ist

Vakzine sind nicht perfekt, aber sie retten immer noch Millionen von Leben. Doch die Zahl der Erstgeimpften gegen Masern sinkt in den USA. Die Besetzungswünsche für US-Gesundheitsbehörden unter Trump machen wenig Hoffnung, den Umstand zu ändern.

Von MIT Technology Review Online
7 Min.
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Das vor 50 Jahren gestartete erweiterte Impfprogramm der Weltgesundheitsorganisation hat geschätzt 154 Millionen Todesfälle verhindert und die Kindersterblichkeit um 40 Prozent gesenkt. (Foto: Shutterstock.com)

Ende Dezember hielt ich meine vierjährige Tochter im Arm, als sie ihre Auffrischungsdosis des MMR-Impfstoffs erhielt. Diese soll sie vor einer Reihe schlimmer Infektionen schützen, nämlich Masern, Mumps und Röteln, die zu Meningitis, Blindheit und Hörverlust führen können. Wir können uns glücklich schätzen, dass uns diese Impfung angeboten wird.

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2024 markierte das 50-jährige Bestehen eines ehrgeizigen globalen Impfprogramms für Kinder. 1974 hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das erweiterte Impfprogramm (Expanded Programme on Immunization, EPI) ins Leben gerufen, um allen Kindern auf der Welt lebensrettende Impfstoffe zur Verfügung zu stellen.

Erweitertes Impfprogramm: Senkte Kindersterblichkeit und erhöhte gesunde Lebensjahre

Schätzungen zufolge konnten dadurch 154 Millionen Todesfälle verhindert werden. Diese Zahl schließt 146 Millionen Kinder unter fünf Jahren ein. Das Programm half auch, die Kindersterblichkeit durch Impfungen um 40 Prozent zu senken. Nicht zuletzt hat die Weltbevölkerung rund zehn Milliarden zusätzliche gesunde Lebensjahre gewonnen.

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Impfungen im Kindesalter sind eine Erfolgsgeschichte, dennoch halten die Bedenken über Impfstoffe weiterhin an. Vor allem, so scheint es, bei den Personen, die Donald Trump für die Leitung der US-Gesundheitsbehörden ab Januar ausgewählt hat. Wie sehen diese Behauptungen aus und wie ist die tatsächliche Beweislage?

Wie sehen die Impfempfehlungen der WHO aus?

Die WHO empfiehlt zusammen mit Gesundheitsbehörden auf der ganzen Welt eine Reihe von Impfungen für Säuglinge und Kleinkinder. Einige, wie der BCG-Impfstoff, der einen gewissen Schutz gegen Tuberkulose bietet, werden von Geburt an empfohlen. Andere Impfstoffe, wie die gegen Keuchhusten, Diphtherie und Tetanus, werden oft als kombinierte Impfung und ab einem Alter von acht Wochen verabreicht. Darauf folgen weitere Impfungen und Auffrischungsimpfungen. Die Idee ist, Babys so früh wie möglich zu schützen, sagt Kaja Abbas von der London School of Hygiene & Tropical Medicine im Vereinigten Königreich und der Nagasaki University in Japan.

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Das vollständige Impfschema hängt davon ab, welche Infektionen das größte Risiko darstellen, und ist von Land zu Land unterschiedlich. In den USA wird der empfohlene Impfplan von den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) festgelegt, und die einzelnen Bundesstaaten können Impfungen vorschreiben oder verschiedene Ausnahmen zulassen.

Impfskeptiker in US-Gesundheitsbehörden unter Trump

Einige Wissenschaftler sind besorgt darüber, wie sich diese Regeln im Januar ändern könnten, wenn Donald Trump wieder ins Weiße Haus einzieht. Trump hat bereits seine Kandidaten für Spitzenbeamtenjobs der Regierung aufgelistet, darunter auch diejenigen, die die Gesundheitsbehörden des Landes leiten sollen. Diese Personen müssen vom Senat bestätigt werden, bevor sie diese Ämter übernehmen können. Aber es scheint, dass Trump beabsichtigt, sich mit Impfskeptikern zu umgeben.

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Zunächst einmal hat Trump Robert F. Kennedy Jr. als Leiter des Ministeriums für Gesundheit und Soziales ausgewählt. Kennedy gehört seit langem zu den prominenten Impfgegnern und hat bereits eine Reihe von Falschinformationen über Impfstoffe verbreitet. 2005 veröffentlichte er in den Zeitschriften Salon und Rolling Stone einen fehlerhaften Artikel, in dem er Thimerosal – ein antimykotisches Konservierungsmittel, das früher in Impfstoffen verwendet wurde, aber in den USA bis 2001 aus dem Verkehr gezogen wurde – mit neurologischen Störungen bei Kindern mit Autismus in Verbindung brachte. Dieser Artikel wurde 2011 schließlich gelöscht. „Ich bedaure, dass wir nicht schneller gehandelt haben, da immer mehr Beweise auftauchten, die den Zusammenhang zwischen Impfstoffen und Autismus widerlegten“, schrieb Joan Walsh, die damalige Chefredakteurin von Salon.

Kennedy hat trotzdem nicht lockergelassen. 2015 machte er bei einer Filmvorführung, in der Thimerosal mit Autismus in Verbindung gebracht wurde, ungeheuerliche Bemerkungen über Kinderimpfungen. „Sie bekommen die Spritze, haben in der Nacht 103 Grad Fahrenheit Fieber [39,4 Grad Celsius, Anm. d. Red.], gehen schlafen und drei Monate später ist ihr Gehirn weg“, sagte Kennedy, wie die Zeitung Sacramento Bee berichtete. „Das ist ein Holocaust, was das mit unserem Land macht.“

Alte Verschwörungstheorien über Polio- und MMR-Impfstoffe

Der Anwalt Aaron Siri, der Kennedy bei der Auswahl von Gesundheitsbeamten für die künftige Trump-Administration unterstützt hat, hat die Regierung aufgefordert, die Verteilung mehrerer Impfstoffe zu stoppen und die Zulassung des Impfstoffs gegen Kinderlähmung (Polio) ganz zu widerrufen. Auch Dave Weldon, Trumps Wunschkandidat für die Leitung der CDC, hat eine Vergangenheit als Impfstoff und hat den unbewiesenen Zusammenhang zwischen Thimerosal und Autismus verfochten.

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All diese Argumente sind nicht neu. Insbesondere der MMR-Impfstoff ist seit Jahrzehnten Gegenstand von Debatten, Kontroversen und Verschwörungstheorien. Bereits 1998 veröffentlichte der britische Arzt Andrew Wakefield eine Arbeit, in der er einen Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und Autismus bei Kindern behauptete.

Die Studie wurde inzwischen wiederholt widerlegt, und Wakefield wurde beschuldigt, Kinder auf unethische Weise invasiven und unnötigen Verfahren unterzogen zu haben. Die Studie wurde zwölf Jahre nach ihrer Veröffentlichung zurückgezogen, und die britische Ärztekammer (General Medical Council) befand Wakefield des schweren beruflichen Fehlverhaltens für schuldig. Er wurde aus dem Ärzteverzeichnis gestrichen und darf im Vereinigten Königreich nicht mehr als Arzt praktizieren. (Er geht allerdings weiterhin mit falschen Informationen hausieren und führte 2016 Regie bei dem Film „Vaxxed“, in dem Weldon mitspielte).

Impfstoffe: Einige Amerikaner:innen besorgt über Nebenwirkungen

Daher ist es bemerkenswert, dass seine „Studie“ immer noch die öffentliche Meinung zu beeinflussen scheint. Eine aktuelle Umfrage des Pew Research Center zeigt, dass vier von zehn Erwachsenen in den USA befürchten, dass „nicht alle Impfstoffe notwendig sind“, und während die meisten Amerikaner:innen der Meinung sind, dass der Nutzen die Risiken überwiegt, sind einige immer noch besorgt über die Nebenwirkungen. Vor allem bei den Republikaner:innen scheinen sich die Ansichten im Laufe der Jahre geändert zu haben. 2019 sprachen sich 82 Prozent für schulische Impfvorschriften aus. Diese Zahl sank bis 2023 auf 70 Prozent.

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Das Problem ist, dass mehr als 70 Prozent der Kinder geimpft sein müssen, um eine „Herdenimmunität“ zu erreichen. Das ist das für den Schutz von Gemeinschaften erforderliche Niveau, in denen etwa aus gesundheitlichen Gründen nicht alle geimpft werden können. Bei einer hochansteckenden Infektion wie Masern müssen laut WHO 95 Prozent der Bevölkerung geimpft sein. „Wenn [die Durchimpfungsrate] auf 80 Prozent sinkt, müssen wir mit Ausbrüchen rechnen“, sagt Abbas.

Genau das ist auch der Fall. 2023 hatten nur 83 Prozent der Kinder ihre erste Dosis eines Masernimpfstoffs im Rahmen der routinemäßigen Gesundheitsversorgung erhalten. Man geht davon aus, dass fast 35 Millionen Kinder entweder nur teilweise oder gar nicht gegen die Krankheit geschützt sind. Wenig verwunderlich kam es in den letzten fünf Jahren in 103 Ländern zu Masernausbrüchen.

So kam es zum Polio-Impfstoff

Polio-Impfstoffe, deren Zulassung der Kennedy-Anwalt Siri widerrufen wollte, haben ebenfalls eine wichtige Rolle beim Schutz von Kindern gespielt. Kinderlähmung ist eine verheerende Infektion, die durch den Befall von Motorneuronen zu Muskellähmungen inklusive der für die Atmung wichtigen Muskeln führen kann. „In den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren hatten die Menschen hier in den Vereinigten Staaten große Angst vor Polio“, sagt William Moss, Epidemiologe an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore, Maryland. „Als die Studienergebnisse des [ersten] Impfstoffs in den Vereinigten Staaten bekannt gegeben wurden, tanzten die Menschen auf den Straßen“.

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Dieser Impfstoff wurde 1955 in den USA zugelassen. Bis 1994 galt Polio in Nord- und Südamerika als ausgerottet. Heute sind die Wildformen des Virus in allen Ländern bis auf zwei ausgerottet. Doch die Geschichte der Polioimpfung ist nicht ganz einfach. Es gibt zwei Arten von Polioimpfstoffen: einen injizierten Typ, der eine „tote“ Form des Virus enthält, und eine orale Version, die ein „lebendes“ Virus enthält. Dieses Virus kann mit dem Kot ausgeschieden werden und sich an Orten mit schlechten sanitären Verhältnissen ausbreiten. Es kann sich auch genetisch so verändern, dass eine Form des Virus entsteht, die Lähmungen verursachen kann. Das ist zwar selten, kommt aber dennoch vor, und heute gibt es mehr Fälle von Polio durch Impfung als von Polio vom Wildtyp.

Es ist erwähnenswert, dass seit 2000 mehr als zehn Milliarden Dosen des oralen Polioimpfstoffs an fast drei Milliarden Kinder verabreicht worden sind. Schätzungen zufolge konnten mehr als 13 Millionen Poliofälle verhindert werden. Demgegenüber gab es knapp 760 Fälle von impfbedingter Polio.

Diese Fälle ließen sich verhindern, wenn auch die USA auf den injizierten Impfstoff umsteigen würden, was viele wohlhabende Länder bereits getan haben. In Ländern mit weniger Ressourcen und in Ländern, die versuchen, Kinder in abgelegenen ländlichen Gebieten oder Kriegsgebieten zu erreichen, ist das Umsteigen jedoch nicht einfach.

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Millionen gerettete Menschenleben wiegen kleine Risiken auf

Auch der MMR-Impfstoff ist nicht völlig risikofrei. Bei manchen Menschen treten leichte Nebenwirkungen auf, und schwere allergische Reaktionen sind zwar selten, können aber dennoch auftreten. Keiner der beiden Impfstoffe bietet einen hundertprozentigen Schutz vor Krankheiten. Das kann kein Impfstoff. „Selbst wenn man 100 Prozent [der Bevölkerung] impft, glaube ich nicht, dass wir eine Herdenimmunität gegen Polio erreichen können“, sagt Abbas. Es ist wichtig, diese Einschränkungen anzuerkennen. Auch wenn es einige kleine Risiken gibt, werden diese durch die Millionen von geretteten Leben bei weitem aufgewogen.

„Die Menschen unterschätzen oft das Risiko der Krankheit und überschätzen das Risiko des Impfstoffs“, sagt Moss. In gewisser Weise sind die Impfstoffe ein Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden. „Die meisten Eltern von heute haben glücklicherweise nie die Tragödie gesehen, die durch impfpräventable Krankheiten wie Masern-Enzephalitis, angeborenes Rötelnsyndrom und durch Polio verkrüppelte Menschen verursacht wurde“, sagt Kimberly Thompson, Präsidentin von Kid Risk, einer gemeinnützigen Organisation, die Gesundheitsrisiken für Kinder erforscht.

„Angesichts der Tatsache, dass einige Menschen von der Verbreitung von Schreckensbotschaften über Impfstoffe profitieren und die Verbreitung sozialer Medien diese verstärkt, ist es nicht verwunderlich, dass die Ängste weiter bestehen. Die meisten Amerikaner aber erkennen die Vorteile von Impfstoffen und lassen ihre Kinder impfen“, fügt sie hinzu.

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Dieser Artikel stammt von Jessica Hamzelou. Sie ist Senior Reporter bei der US-amerikanischen Ausgabe von MIT Technology Review und schreibt über Biomedizin und Biotechnologie.

 

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