9-Euro-Ticket zum Selbermachen? Diese Initiative verfolgt einen riskanten Plan
Die Tage des Neun-Euro-Tickets waren von Anfang an gezählt – drei Monate volle Bahnen und finanzielle Entlastung der Bürger:innen, so der Plan. Seit dem ersten September gehört die Möglichkeit, deutschlandweit einheitlich günstig mit dem öffentlichen Personennahverkehr zu reisen, der Vergangenheit an. Eine Initiative aus Berlin will das nicht hinnehmen – und greift zu ungewöhnlichen Mitteln.
9-Euro-Fonds: 9-Euro-Ticket zum Selbermachen?
„Wir zahlen weiterhin 9 Euro pro Monat. Aber nicht an die Verkehrsunternehmen, sondern in einen Fonds, der zur kollektiven Ticketversicherung für Alle wird, die bei unserer Aktion mitmachen“, heißt es in den Onlineauftritten der Initiative „9-Euro-Fonds“.
Die Idee: Die Mitglieder der Initiative zahlen neun Euro oder mehr in einen Fördertopf. Wer dann beim Fahren im Nahverkehr – also nicht in Fernzügen – ein Bußgeld (für gewöhnlich 60 Euro) fürs Fahren ohne Fahrschein aufgebrummt bekommt, kann die Rechnung aus dem Fonds bezahlen lassen.
Dabei gibt es zwei Ziele: Zum einen wolle man „Menschen unterstützen, die sich ein normales Ticket nicht leisten können“, so Mit-Initiator Leo Maurer gegenüber der taz. Zum anderen ist die Aktion ein politischer Protest gegen das Auslaufen des Neun-Euro-Tickets – und damit auch nicht langfristig angelegt, sondern eben nur als Lückenfüller gedacht, bis eine Anschlusslösung für das Neun-Euro-Ticket beschlossen wird.
Für so eine Nachfolgelösung gibt es derzeit verschiedene Vorschläge. Die sollen beispielsweise 29, 49 oder 69 Euro kosten, teils regional begrenzt sein – und wann es eine Einigung geben wird, ist unklar. Gleichzeitig ist die Inflationsrate im August wieder gestiegen, der Bedarf einer finanziellen Entlastung dürfte für viele Menschen also keinesfalls geringer geworden sein.
Das Problem am 9-Euro-Fonds: Es bleibt nicht immer beim Bußgeld
Der Idee eines zivilen Protests durch den 9-Euro-Fonds folgen auf Twitter immerhin mehr als 18.000 Menschen (Stand 2. September), allein vom ersten auf den zweiten September ist die Followerzahl um rund 3.000 gestiegen. Aber wie viele davon zahlen tatsächlich in den Fonds ein?
Laut der Initiative sind an Tag eins, also am ersten September, 4.000 Euro zusammengekommen, von denen Geldstrafen bezahlt werden könnten. Genauere Einblicke, wie viel tatsächlich im Fonds liegt, oder gar einen Echtzeitstand gibt es aber nicht – also auch keine Garantie, dass die Initiative am Ende tatsächlich alle Strafen bezahlen kann.
Und es gibt einen Aspekt, bei dem die Initiative ganz bewusst kommuniziert, dass sie Betroffenen definitiv nicht helfen kann: Wer in der Bahn ohne gültigen Fahrschein erwischt wird, muss nicht nur mit einer Geldstrafe rechnen, sondern begeht auch eine Straftat – und kann dafür von den Verkehrsbetrieben angezeigt werden.
9-Euro-Fonds: Kein Aufruf zum Fahren ohne Fahrschein
Das Fahren ohne Fahrschein wird nach Paragraph 265a des Strafgesetzbuchs als „Erschleichen von Leistungen“ gewertet. Dafür kann neben einer Geldstrafe sogar eine Freiheitsstrafe drohen.
Auf dem Instagram-Profil der Initiative heißt es dementsprechend auch: „Wir machen transparent, dass das Fahren ohne Fahrschein eine Straftat bedeutet – auch, wenn das erhöhte Beförderungsentgelt im Anschluss bezahlt wird“. Wer also nicht aus finanziellen Gründen ohne Fahrschein fährt, sondern aus Protestgründen, begibt sich mit voller Absicht in eine Situation, die vor Gericht enden kann.
Eine Recherche der Tagesschau aus dem Mai 2022 zeigt: „2019 wurden mehr als 46.000 Menschen verurteilt, im Corona-Jahr 2020, als weniger Bahn gefahren wurde, waren es fast 40.000 Menschen“. Zwar wird der Paragraph derzeit vom Bundesjustizministerium geprüft – Fahren ohne gültigen Fahrschein könnte beispielsweise zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden –, nach aktuellem Stand ist Fahren ohne gültiges Ticket aber eben eine Straftat.
Auch die Sticker der Initiative, auf denen unter anderem steht „Ich fahre ohne Fahrschein“ dürften da wenig nützen. Die Argumentation hinter den Aufklebern wird von manchen Menschen, die regelmäßig ohne Fahrschein fahren, schon länger angewendet: Durch das offensive Mitteilen, zum Beispiel über ein Schild oder ein T-Shirt, werde die Leistung nicht wie im Strafgesetzbuch beschrieben „erschlichen“. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gericht das anders sieht, ist allerdings hoch.