Verena Pausder ist Vorständin beim Startup-Verband und kennt die Sorgen der Digitalwirtschaft: „Die Hälfte aller Startups hat Probleme, weil ihnen die Leute fehlen und sie nicht wachsen können“, sagt sie gegenüber t3n. Umso skeptischer blickt sie auf die Landtagswahlen im Osten: „Die AfD vergiftet die Stimmung für High Potentials aus dem Ausland. Bei der demografischen Entwicklung sind wir auf ausländische Fachkräfte angewiesen.“
Für die Branche ist das Thema eklatant: In der kürzlich veröffentlichten Innovationsagenda 2030 steht die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte sogar auf Platz eins der Top-10-Empfehlungen an die Politik. Der Verband fordert darin unter anderem, die Visaverfahren zu digitalisieren, sodass der Zuzug in den Heimatländern organisiert werden kann. Für sie gilt: mehr Fachkräfte sind gut und weniger Bürokratie dringend notwendig.
AfD-Positionen stoßen auf IT-Fachkräftemangel
Martin Böhringer spürt das am eigenen Leib. Als Gründer des ostdeutschen HR-Startups Staffbase sucht er nach Personal – auch im Ausland. Im chemnitzer Hauptsitz arbeiten Beschäftigte aus 15 Nationen, darunter Frankreich, Pakistan, Tschechien, die USA und der Ukraine. „Ein großer Teil des Teams kommt von außerhalb und wir profitieren von dem Mix aus Perspektiven, Fähigkeiten und Erfahrungen“, sagt er gegenüber t3n.
Doch ausländische Fachkräfte nach Chemnitz zu locken, ist nicht einfach. Die sächsische Großstadt gilt als AfD-Hochburg. Bei der Stadtratswahl 2024 holte sie 24,3 Prozent der Stimmen und war damit stärkste Partei noch vor der CDU. Während der Landtagswahlen in Sachsen sah das ähnlich aus: Die AfD konnte dort mit 30,6 Prozent als zweitstärkste Partei hervorgehen. Das Problem: Sie gilt hier als gesichert rechtsextrem.
Derartige Wahlergebnisse sind für die als liberal geltende Digitalwirtschaft desaströs, denn sie schrecken Arbeitskräfte ab: „Die Rechten laufen mit ihren plumpen Parolen an der wirtschaftlichen Realität vorbei“, so Pausder vom Startup-Verband. In Berlin, wo er seinen Hauptsitz hat, kommen schon jetzt 40 Prozent der Startup-Beschäftigten aus dem Ausland. „Wir reden hier von exzellent ausgebildeten jungen Leuten.“
Auch in Jena blickt die Branche auf den politischen Rechtsruck mit Sorge. In Thüringen hat die AfD in den Landtagswahlen das höchste Ergebnis eingefahren. Auf 32,8 Prozent kommt die Partei unter Führung des Rechtsextremisten Björn Höcke. Der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag fällt immer wieder mit Aussagen wie der SA-Losung „Alles für Deutschland“ auf, die im Nationalsozialismus omnipräsent war.
Hans Elstner ist Gründer der Rooom AG, einem Softwareunternehmen in Jena, das sich auf die Programmierung virtueller Räume spezialisiert hat. Mit Hinblick auf die AfD befürchtet er, dass sich bürokratische Hürden zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte verschlimmern. „Viele Unternehmen, einschließlich meines eigenen, sehen sich gezwungen, auf Outsourcing und Freelancer aus dem Ausland zurückzugreifen, um Engpässe zu überbrücken.“
Die Rooom AG zählt ein gutes Dutzend ausländische Fachkräfte sowie Menschen mit Migrationshintergrund. Elstner spricht von einem Anteil von 19 Prozent der Belegschaft. Bezüglich der Landtagswahl sagt er: „Die Stimmung ist nicht besonders gut.“ Sogar gebürtige Thüringer, die sich mit dem Ergebnis nicht wohlfühlen, erwägen einen Wegzug. „Ich denke, dass es sich in Zukunft bei der Fachkräftegewinnung negativ auswirken wird.“
Bundesweit 149.000 IT-Stellen unbesetzt
Sehr deutlich hat sich auch der Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche, kurz Bitkom, gegenüber der AfD im März dieses Jahres geäußert. In einem Positionspapier heißt es: Die AfD verhalte sich „in ihrer politischen Grundhaltung wie auch in ihren einzelnen Vorschlägen und Forderungen scharf gegen die Interessen der digitalen Wirtschaft und zum Schaden der digitalen Gesellschaft.“
Bitkom-Präsident Bernhard Rohleder sagt gegenüber t3n: „Wir erleben in Deutschland einen Rekord-Fachkräftemangel. Ende 2023 waren 149.000 IT-Jobs unbesetzt. Die meisten Unternehmen erwarten eine Verschärfung des Problems. Ohne qualifizierte Zuwanderung werden wir die Fachkräftelücke nicht schließen können.“ Dafür stehe die AfD in Ostdeutschland jedoch nicht. „Sie zieht Mauern hoch, wo wir Offenheit brauchen.“
Dass es um die Offenheit nicht gut bestellt ist, zeigen Umfragen. Viele ausländische Fachkräfte nehmen den Standort Deutschland jetzt schon als unattraktiv wahr. Im jährlichen Expat-Insider-Bericht von Internations landete die Bundesrepublik bei der Beliebtheit auf Platz 49 von 53. Ein Ghanaer sagt: „Ich finde die Kultur super isolierend […]. Es ist fast unmöglich, Freunde zu finden, und ich habe immer Angst, gegen eine Regel zu verstoßen.“
Bernhard Rohleder stimmt das nachdenklich: „Es ist doch so: Internationale Spitzenkräfte können sich aussuchen, wo sie arbeiten. Wir bewerben uns bei ihnen, nicht umgekehrt. Das heißt: Deutschland muss nicht nur als Wirtschaftsstandort, es muss auch als Lebensmittelpunkt hochattraktiv sein. Wir müssen Willkommenskultur und Vielfalt leben und fördern.“ Er habe Sorge, dass die Wahlerfolge der AfD dem stark entgegenstehen.
Auch Großunternehmen betroffen
Neben Fachkräften benötigen Startups aber vor allem auch Geld. Inwieweit das aufgrund der Wahlergebnisse in den Regionen abfließen wird, dazu äußert sich Philipp Klöckner gegenüber t3n. „Ich glaube, das ist ein marginaler Prozess. Das ändert sich nicht mit einem Ergebnis. Aber es hilft der Region sicher nicht.“ Klöckner ist Angel Investor und begleitet IT-Firmen in der Frühfinanzierung. Den Rechtsruck sieht auch er kritisch.
„Wie ich in der Presse heraushören konnte, betrachtet man die Ereignisse in Sachsen und Thüringen nicht nur hier, sondern auch im Ausland sehr argwöhnisch. Allen ist klar, dass Nazis seit dem 2. Weltkrieg erstmals wieder Rekordergebnisse erzielen. Das und die alltägliche Fremdenfeindlichkeit sollte es für alle Unternehmen, insbesondere Startups, schwerer machen, nicht nur Fachkräfte, sondern auch Geld in die Region zu holen.“
Auch in Brandenburg wird am 22. September der Landtag gewählt. Experten erwarten dort ebenfalls ein hohes Wahlergebnis der AfD. Für Ostdeutschland kann das zur Schicksalsfrage werden. Bernhard Rohleder gibt zu verstehen, es betreffe nicht nur Startups, auch die Halbleiterindustrie rundum Intel und TSMC oder das Tesla-Werk in Grünheide wären betroffen. Arbeitgeber, die die ostdeutsche Wirtschaftsleistung deutlich mitprägen.
Anders als die AfD in Thüringen und Sachsen gilt sie in Brandenburg nicht als gesichert rechtsextrem, sondern als rechtsextremer Verdachtsfall. Auch hier irritieren Aussagen von Parteimitgliedern die Öffentlichkeit. So fordert die AfD in dem ostdeutschen Bundesland ein Betretungsverbot öffentlicher Veranstaltungen für Asylbewerber, Asylberechtigte und ukrainische Kriegsflüchtlinge. Das betrifft auch Wochenmärkte.
Wie viel politischen Einfluss hat die AfD im Osten?
Ursula Münch ist Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Sie glaubt, dass die Digitalwirtschaft sich derzeit weniger um die konkrete Politik der AfD sorgen muss, sondern primär um das öffentliche Auftreten von Rechtsextremisten vor potenziellen Zuwanderinnen und Zuwanderer. Aus der Opposition in den Landtagen heraus sei es der Partei nicht möglich, Maßnahmen gegen Einwanderung zu ergreifen. Das ist Bundessache.
Aus den Ergebnissen der Landtagswahlen ließe sich jedoch schließen, dass es nach den nächsten Kommunalwahlen immer mehr Landräte oder Bürgermeister der AfD geben wird. „In diesen Positionen hat sie direkten Einfluss darauf, wie schnell oder langsam insbesondere Ausländerbehörden arbeiten und Arbeitserlaubnisse entsprechend erteilt werden“, so die promovierte Politikwissenschaftlerin gegenüber t3n.
Ähnlich wäre das, wenn die AfD in diesen Ländern im Falle einer Regierungsverantwortung den Ministerpräsidenten oder den Innenminister stellen würde: „Dann lässt sich das Verhalten hauptsächlich mit Blick auf Arbeitserlaubnisse oder auch Integrationskurse flächendeckend durchsetzen.“ Bis dahin bleibt die Einwanderungspolitik der Länder-AfD nur Säbelrasseln und der populistische Versuch, mehr Wähler zu gewinnen.