Deutsche Klimaziele weiter entfernt als zu Koalitionsbeginn, laut Verkehrswende-Experten
Das unabhängige Denk- und Politiklabor Agora Energiewende hat die Arbeit der Ampelkoalition im Bereich Klimapolitik im Verkehr unter die Lupe genommen. Das 36-seitige Zwischenfazit nennt die Organisation „ernüchternd“. Die Regierung habe kaum etwas erreicht, was die Verkehrswende unterstütze – und zwar weder im Klimaschutz noch in den Bereichen sozialer Gerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit. Neun Punkte haben die Verfasser:innen dabei in den Fokus genommen.
Zeitenwende: Klimasituation weiter verschärft
Der Klima-Thinktank hatte vor der Bundestagswahl Vorschläge gemacht, wie das von Deutschland gesetzte Klimaziel für 2030 noch erreichbar sein könnte. In den zwölf Monaten seit der Regierungsübernahme türmten sich die negativen Auswirkungen der Verkehrspolitik der letzten Jahre jedoch immer weiter auf. Die Lage sei schlechter als zu Beginn der Koalition.
„Ungebremst“ steigen Klimakiller-Emissionen und die Erhitzung der Erdatmosphäre. Schon im Koalitionsvertrag sei „viel Schatten“ zu sehen gewesen, die Regierungshandlungen machten es nun noch schlechter.
Anreize für Klimakiller, Steuerung über Steuern verschoben
Die Studie hat neun Bereiche festgemacht, die jeweils in die Absätze „Status“, „Beurteilung“ und „Empfehlung“ eingeteilt sind. So kritisiert sie etwa, dass zur Abwendung der Energiepreiskrise die Abgaben für fossile Energieträger gesenkt worden seien. Das hält sie für sozial-, umwelt- und geopolitisch falsch.
Hohe Einkommen seien begünstigt und Sparanreize geschwächt worden. Es fehle weiterhin an einer wirksamen Besteuerung CO2-intensiver Pkw und dem Abbau klimaschädlicher Subventionen wie der Dienstwagensteuer. Auch die Reform des Straßenverkehrsrechts bleibe intransparent und rechtsunsicher.
Kritik erhält die Regierung auch im Bereich ÖPNV. Das 49-Euro-Ticket verpasse die Chance sozialer Integration, die das 9-Euro-Ticket bot. Stattdessen verschärft es vermutlich die Finanzierungsprobleme des Nahverkehrs durch die Deckelung.
Zudem unterlasse die Regierung es, für Fairness im Wettbewerb zwischen Straße und Schiene zu sorgen. Das Dokument gibt dafür Beispiele. Insgesamt bescheinigt es zu wenig Investitionsmittel, um den öffentlichen Verkehr sinnvoll auszubauen. Auch die geplante Verkehrswende auf dem Land sei bisher noch nicht sinnvoll angegangen worden.
Kein Tempolimit, aber E-Fluels in EU-Ziel
Das Papier sieht das von Deutschland ausgegebene Ziel, 15 Millionen Elektroautos bis 2030 auf die Straße zu bringen, in Gefahr. Dafür brauche es ambitioniertere Grenzwerte, denen sich Deutschland jedoch verschlossen habe. Stattdessen versuche es, E-Fuels in das EU-Gesetz hineinzuschreiben.
Beim Masterplan Ladeinfrastruktur II fehle es weiterhin an Abstimmungen. „Dass trotz der Energiepreiskrise kein generelles Tempolimit auf Autobahnen beschlossen wird, ist zum Symbol für die verfahrene Lage der Bundesregierung in der Verkehrswende geworden“, so das Papier.
Ein wiederholtes Mal zitieren die Autor:innen das Koalitionspapier. Im Güterverkehr strebe man 25 Prozent Schienenanteil an. Doch Ausbaugeschwindigkeit und Mitteleinsatz sind nicht im Ansatz ausreichend, um dieses Ziel zu erreichen. Die Förderprogramme für Güterverkehr auf der Straße habe die Regierung von den Vorgängern jedoch beibehalten.
Das Ladenetz für Lkw im Masterplan habe zudem kein Zieldatum. Die Ausschreibung für das initiale Ladenetz sei erst für Ende 2023 geplant und könne so nicht rechtzeitig zur CO2-Abgabe über die Lkw-Maut fertig werden.
Trotz Koalitionsvertrag: Straßen- statt Schienenausbau
„Nicht zukunftstauglich“ sei die aktuelle Planung der Verkehrswege. Im Gegensatz zum Text im Koalitionsvertrag erhalte der Schienenausbau weiterhin viel weniger Mittel als der Straßenverkehr. Auch gebe es keinen Plan für das Absichern der Investitionen, wenn durch den Hochlauf der Elektroautos die Energiesteuer-Einnahmen wegbrechen.
Bei der Unterstützung der Autoindustrie in Richtung Klimaneutralität nimmt das Papier ebenfalls den Koalitionsvertrag zur Hand: Hier werde viel versprochen, selbst Grundsatzfragen seien jedoch weiterhin unklar. Auch beim angedachten KfW-Fond für kleine und mittlere Zulieferer scheint es keine Fortschritte zu geben.
Insgesamt beschwert sich Agora Energiewende darüber, dass es an einem schlüssigen Gesamtkonzept für die Verkehrswende fehle. Wenn die Regierung das ändere, könne sie sich breiter Mehrheiten sicher sein. Die Organisation mahnt: „Eine Politik, die abwartet, vereinzelt auf Fördermittel setzt und ansonsten auf unvollkommene Marktkräfte hofft, wird scheitern.“ Zuletzt hatte sich der Expertenrat der Bundesregierung ähnlich zur Erreichung der Klimaziele Deutschlands geäußert. Nun hoffen die Klima-Expert:innen, dass das geplante Klimaschutzprogramm mehr Entschlossenheit und sinnvolle Maßnahmen auf den Weg bringt.