Anzeigenhauptmeister, Drachenlord und Co.: Die große Gefahr für Internetphänomene

Betroffene von Cybermobbing brauchen mehr Schutz. (Foto: fizkes/ Shutterstock)
Viele Menschen träumen davon, berühmt zu werden. Denn mit dem Ruhm gehen oft Anerkennung und Reichtum einher. Der schnellste Weg zum Erfolg liegt dabei wohl im Internet. Innerhalb von wenigen Sekunden können Clips theoretisch einen Großteil der Welt erreichen.
Doch in einigen Fällen kann der Bekanntheitsgrad von Internetphänomenen auch zum Problem werden. Nämlich dann, wenn die Fans ausbleiben und Cybermobbing an deren Stelle tritt.
Was sind Internetphänomene?
Internetphänomene können viele Gestalten annehmen. Oft sind es Videoclips, GIFs oder Meme-Bilder, die sich über das Internet rasant verbreiten. Die darin gezeigten Personen werden innerhalb kürzester Zeit zu Berühmtheiten des Internets.
Ein positives Beispiel für Internetphänomene ist der 78-jährige Arató András István aus Budapest. Eigentlich ist er Elektriker. Doch durch einen Nebenverdienst als Stock-Footage-Modell wurde er als „Hide the Pain Harold“-Meme im Netz berühmt. Seither erfreut er sich vieler Nachrichten von Fans und einiger Werbe-Deals.
Die Gefahren für Internetphänomene
Der schnell anwachsende Bekanntheitsgrad birgt aber auch einige Gefahren für die Betroffenen. Im Februar 2023 veröffentlichte der Spiegel eine Reportage über einen selbst ernannten „Anzeigenhauptmeister“. Der 18-Jährige hat es sich zur Aufgabe gemacht, in den Gemeinden Deutschlands Falschparker:innen und andere Verkehrssünder:innen zu protokollieren und anzuzeigen.
Allein 2022 hat er so in 84 Gemeinden und Städten rund 150.000 Euro Bußgelder für die Staatskassen „erwirtschaftet“, wie er selbst sagt. Dabei trifft der junge Anzeigenhauptmeister mit seiner selbstauferlegten Aufgabe auf viel Widerstand und Hass – im Netz und im echten Leben.
So wurde der 18-Jährige erst kürzlich von einem Unbekannten angegriffen. Während einer S-Bahnfahrt entriss ihm der Täter gewaltsam sein Handy, wie Express berichtet. Ob er vorab eine Anzeige protokollieren wollte, ist nicht bekannt. Aufgrund der Verletzungen musste der Anzeigenhauptmeister ins Krankenhaus. Dort wurde eine Schädelprellung festgestellt. Glücklicherweise konnte er die Notaufnahme trotzdem schnell wieder verlassen.
Allerdings berichtete er davon, dass der Hass gegen ihn immer weiter zunimmt. So gab es wohl bereits Anrufer:innen bei der Polizei, die damit drohten, ihn zu lynchen. Die Polizei ermittelt gegen die Täter:innen.
Hass im Netz ist kein Einzelfall
Im Netz bezeichnen einige den Anzeigenhauptmeister als neuen Drachenlord. Gemeint ist der deutsche Video-Creator und Livestreamer, der unter diesem Pseudonym im Netz unterwegs ist. Für seine extremen Ansichten und beleidigenden Aussagen kassierte der mittlerweile 34-Jährige viel Kritik. Im Laufe der Jahre entstand eine Community, die den Drachenlord rein aus Hass gegen dessen Person schauten und verfolgten.
2014 bekam etwa der Radiosender Radio Z über 1.000 E-Mails und Drohanrufe, weil Drachenlord dort ein Interview gegeben hatte. Und das, obwohl es nie gesendet wurde. Im selben Jahr wurden die Adresse sowie Kontaktdaten von Drachenlords Schwester bekannt. Nach einem Drohanruf postete der Content-Creator ein Video, in dem er wutentbrannt seine eigene Adresse preisgab und die Verantwortlichen dazu aufforderte, sich ihm persönlich zu stellen.
Dieser Aktion folgten zahlreiche Besuche von hasserfüllten Zuschauer:innen, die vor Ort randalierten und mehrere Polizeieinsätze nötig machten. 2015 wurde Drachenlord zum ersten deutschen Opfer von Swatting, also einem gefälschten Notruf bei der Polizei, um einen Großeinsatz bei ihm auszulösen.
Bei diversen Besuchen von Zuschauer:innen kam es auch zu Ausschreitungen durch den Drachenlord. Er wurde angezeigt und stand wegen gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung vor Gericht. 2022 wurde aufgrund der besonderen Umstände eine Strafmilderung beschlossen. Der Streamer wurde zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt, wie die SZ berichtet.
Selbst nach seinem Auszug im Jahr 2022 kam es immer wieder zu Ausschreitungen in seinem Heimatort. Mittlerweile hat Drachenlord keine offizielle Anschrift mehr und ist mit einem Auto in Deutschland unterwegs. Aber selbst jetzt wird er noch von Personen verfolgt, die versuchen, seinen Aufenthaltsort ausfindig zu machen.
Bei Weitem kein neues Phänomen
Eines der größten Negativbeispiele für deutsche Internetphänomene ist das sogenannte „Angry German Kid“ aus dem Jahr 2005. Mit kurzen Clips, die Ausraster beim Zocken zeigten, wurde der Junge innerhalb kürzester Zeit im Internet und außerhalb berühmt. Was viele nicht wussten: Die Clips waren allesamt gestellt, wie Zapp berichtet.
Nach dem Amoklauf von Emsdetten im November 2006, bei dem 37 Menschen teils schwer verletzt wurden, zeigte FocusTV den Clip von Angry German Kid im Rahmen eines Killerspiel-Beitrags. Angeblich – so hieß es im Beitrag – würde es sich um reale Aufnahmen handeln, die ein Vater heimlich gemacht hätte. Der gezeigte Jugendliche sei bereits wegen Internetsucht in einer Klinik.
Durch die Verbreitung und falschen Behauptungen wurde Angry German Kid und damit auch die Person hinter der Kunstfigur zu einem Symbol für Killerspiele. Mobbing und der Rückzug aus der Öffentlichkeit waren die Folge.
Die ungewollte Aufmerksamkeit führte bei Angry German Kid schließlich zu Aggressivität und Gewalt gegenüber seinen Mitschüler:innen sowie einem angedrohten Amoklauf an der eigenen Schule. Die Folge: eine Jugendstrafe und Sozialstunden.
Müssen Internetphänomene besser geschützt werden?
Ob man mit den Handlungen von Internetphänomen wie dem Anzeigenhauptmeister, Drachenlord und Co. einverstanden ist oder nicht: Drohanrufe, Angriffe und Doxing gehen nicht nur moralisch zu weit, sie sind strafbar.
Internetphänomene müssten eigentlich Schutz erfahren, wenn sie in- und außerhalb des Internets bedroht werden. Zwar gibt es Strafen für Beleidigungen, üble Nachrede und Verleumdung auch im Netz, doch den Tatbestand des Cybermobbings existiert nicht.
Den Entwurf für ein Gesetz gegen digitale Gewalt gibt es bereits, doch schlägt dieser laut Expert:innen über das Ziel hinaus. So warnt etwa der Chaos Computer Club, dass der Entwurf „weitgehende Speicher- und Identifikationspflichten für Online-Dienstanbieter und Chat-Dienste“ verlangen würde. Stattdessen sollte der Gesetzentwurf aber die „personelle Stärkung und bessere Ausbildung der Ermittlungsbehörden“ in den Fokus rücken. Denn bei den Ermittlungen würden laut CCC viele Möglichkeiten ungenutzt bleiben.
Dass sich etwas ändern muss, ist fast schon unausweichlich. Denn nicht nur Internetphänomene sind von Cybermobbing betroffen. Laut einer Studie des Sinus-Instituts im Auftrag der Barmer-Krankenkasse haben bereits 61 Prozent der 14- bis 17-Jährigen im Jahr 2023 in Deutschland Cybermobbing erfahren. Die Zahl steigt immer weiter an. Zum Vergleich: 2021 lag der Anteil bereits bei 51 Prozent.
Betroffene sollten immer Halt bei Angehörigen und Hilfe bei der Polizei suchen. Auf der Website von Bündnis gegen Cybermobbing findet ihr viele Anlaufstellen und Tipps, um gegen die Anfeindungen im Netz vorzugehen. Auch die Nummer gegen Kummer hilft anonym und kostenlos dabei, die Erfahrungen durch Gespräche zu verarbeiten und weitere Hilfe zu bekommen.