Studie: Wie sich die Autobranche bis 2030 verändern wird
Natürlich ist es längst kein Geheimnis mehr, dass die globale Automobilindustrie derzeit einen fundamentalen Wandel durchläuft. Eine beschleunigte Internationalisierung, neue Fertigungsmethoden im Zuge von Industrie 4.0 und vielfältige technische Innovationen insbesondere für E-Mobilität und autonomes Fahren stellen die Unternehmen vor das, was man gemeinhin als „Herausforderungen“ bezeichnet. Andere sprechen von „Problemen“.
Die Transformation meistern müssen allerdings nicht nur die Hersteller, sondern vor allem auch die Zulieferer. Experten warnen schon seit Längerem, dass diese in vielen Fällen ihr bisheriges Geschäftsmodell überprüfen und oftmals umsteuern müssten, um zukunftsfähig zu werden.
Wie sich der Fahrzeugbau bis zum Jahr 2030 verändern wird und wie Unternehmen der Branche darauf reagieren können – damit hat sich die Studie „Future Automotive Industry Structure – FAST 2030“ beschäftigt, die die Unternehmensberatung Oliver Wyman gemeinsam mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA) zum dritten Mal erstellt hat und die t3n.de vorliegt. Anders als zuvor sei diesmal die deutsche Perspektive durch die Sichtweise von internationalen Spielern ergänzt worden, heißt es im Vorwort.
Insgesamt nehmen die Studienautoren für sich in Anspruch, die „wichtigsten Techniktrends“ und deren Implikationen für die Wertschöpfung der Industrie zu analysieren und aufzuzeigen, „wie sich Automobilzulieferer weiterhin behaupten können“. „Hunderte Verantwortliche“ bei Herstellern und Zulieferern weltweit sowie unabhängige Technologieexperten habe man dazu zwischen August 2017 und Januar 2018 befragt.
Einfluss von E-Mobilität und Digitalisierung
Grundsätzlich, heißt es in der Analyse, seien Elektromobilität, Digitalisierung und neue Formen der urbanen Mobilität neben immer strengeren CO2-Vorgaben die Treiber der Entwicklung. Darauf würden sich Hersteller und Zulieferer „bereits einrichten“. Die vernetzte Fertigung in Zeiten von Industrie 4.0 biete „neue Chancen und Effizienzgewinne“, gerade auch in der Produktion.
Neue Technologien wie Elektroantriebe, das autonome Fahren und neuartige Formen der Interaktion mit dem Auto würden von manchen Zulieferern einen Umbau und eine Erweiterung der bisherigen Produktpalette fordern. Zukünftig werden laut der Studienergebnisse „immer mehr softwaregetriebene, dynamische Fahrzeug- und Powerkontrollsysteme gebraucht“.
Der Wandel im Automobilbau sei „fundamentaler als je zuvor“, denn er vollziehe sich auf Kunden-, Prozess- und Produktebene zugleich, sagt Jörn Buss, Partner bei Oliver Wyman. Immerhin: Mit ihrer „hohen Innovationsgeschwindigkeit“ seien die deutschen Hersteller und Zulieferer auf die neuen Herausforderungen vorbereitet.
„Konsequente Internationalisierung“ im Gang
Sie würden „massiv in neue Technologien investieren“, heißt es, und zwar auf der Antriebsseite ebenso wie bei der Digitalisierung. Insbesondere die deutsche Automobilzulieferindustrie befinde sich aufgrund ihrer „konsequenten Internationalisierung“ in den vergangenen zehn Jahren in einer „Position der Stärke“, ist in der Studie zu lesen.
„Die Produktivitätsanforderungen an die Unternehmen werden entsprechend anspruchsvoller.“
Die Zeichen stünden also „weiter auf Wachstum“: Weltweit seien im Jahr 2017 95 Millionen Pkw und leichte Nutzfahrzeuge gebaut worden. Für das Jahr 2030 prognostiziert die Studie ein Volumen von 123 Millionen Fahrzeugen, was ein Plus von 30 Prozent bedeuten würde. Die automobile Wertschöpfung soll im gleichen Zeitraum inflationsbereinigt auf über 1,1 Billionen Euro steigen – auch dies wäre ein Zuwachs von rund 30 Prozent, schreiben die Studienautoren.
Allerdings sei dieses Wachstum verknüpft mit „erheblichen strukturellen Veränderungen“, und zwar regional, technologisch und wirtschaftlich. Die Neuwagenkäufer würden weltweit anspruchsvoller, auch würden sich ihre Mobilitätswünsche in Richtung Nutzerorientierung verändern. Die Nachfrage nach hochwertig ausgestatteten Fahrzeugen steige weiter, gleichzeitig nehme aber auch die Preiselastizität der Nachfrage zu.
Druck zur Senkung der Produktkosten
„Die Produktivitätsanforderungen an die Unternehmen werden entsprechend anspruchsvoller, Hersteller und Zulieferer werden darauf in ihrer Produkt- und Wertschöpfungsstrategie reagieren. Der Druck zur weiteren Senkung der Produktkosten wird in der gesamten Wertschöpfungskette erkennbar sein, also auch bei den Zulieferern“, sagt Johannes Berking, Principal bei Oliver Wyman. Den Takt, heißt es, würden die Hersteller vorgeben.
Sie werden Entwicklung, Produktion und auch die Lieferantenbasis in Zukunft vermutlich noch stärker in den wachsenden Absatzmärkten, also etwa in Asien, positionieren. Von Zulieferern wird erwartet, dass sie diesen Weg mitgehen. „Dies setzt vor allem kleine und mittelständische Zulieferer bis 50 Millionen Euro Jahresumsatz unter Zugzwang, die eigene Internationalisierung voranzutreiben“, sagt Berking.
Rund 90 Prozent der deutschen Zulieferindustrie sind solche kleinen und mittleren Unternehmen. Doch auch die größeren Supplier richteten sich auf die Veränderung ein, schreiben die Studienautoren. Der Hochlauf der Elektromobilität mache die „Spielräume für das traditionelle Geschäft enger“.
Im Jahr 2030 werden laut der Studie Elektroautos (BEV) rund ein Viertel des Pkw-Weltmarkts ausmachen. Der Anteil der Hybrid-Fahrzeuge steige auf 37 Prozent. Nicht nur der technische Wandel sorge für Druck: „Lokale Beschaffungsquoten bis zu 80 oder 90 Prozent je nach Hersteller sowie globale Plattformen erfordern von den deutschen Automobilzulieferern ein noch stärkeres Engagement im Ausland, damit sie auch weiterhin im Geschäft sind“, sagt Berking.
Wertschöpfung: Schwellenländer holen auf
Die Autoren gehen davon aus, dass sich die Wertschöpfung der globalen Automobilindustrie erheblich zugunsten der Schwellenländer verschieben könnte. Bis 2030 werden laut Studie Nordamerika, Europa, Japan und Korea zusammen zehn Prozentpunkte Wertschöpfungsanteil an Schwellenländer verlieren.
Schon in den Jahren 2012 bis 2016 konnte beispielsweise China die Zahl der OEM-Werke im Land um rund ein Drittel von 32 auf 42 steigern. „China wird in der Produktion bald Europa von der Spitzenposition verdrängen“, prognostiziert Buss.
Der Studie zufolge wird Europa im Jahr 2030 mit immer noch 50 Prozent der gesamten Wertschöpfung zwar weiter das Premiumsegment dominieren (2017: 56 Prozent), der Anteil Chinas werde allerdings von 13 Prozent auf 20 Prozent steigen. Die sogenannte Glokalisierung der eigenen Wertschöpfung, also die globale Gestaltung der eigenen Produkte und Prozesse, werde für die Zulieferer mehr und mehr wettbewerbsentscheidend, sagt Berking.
Hinzu komme, dass sich die Fahrzeuge und damit ihre Komponenten inhaltlich stark verändern, ergänzt er: „Bereits heute entwickeln Automobilzulieferer ein neues Produktverständnis, weil sie am Markt für vernetzte Fahrzeuge teilhaben wollen. Immer wichtiger werden digitale Dienste und Anwendungen für das Fahrzeug, die auf Softwarelösungen basieren.“
Rolle des digitalen Integrators
Gute Aussichten auf margenstarkes Wachstum etwa bietet laut Studie in Zukunft die Rolle des digitalen Integrators. Dieser werde dank hoher Fähigkeiten etwa bei der Integration von Software und der Digitalisierung von Produkten sowie eines globalen Produktions- und Entwicklungsnetzwerks für Hersteller unverzichtbar.
Sogenannte Tier-0,5-Zulieferer dagegen könnten sich zwischen OEM und Premiumlieferanten (Tier 1) schieben. Sie bieten noch komplexere Systeme an, etwa komplette Fahrgestell-„Skateboards“ für E-Autos oder Gesamtsysteme für autonomes Fahren. Am anderen Ende der Wertschöpfungskette werden sich Online- und direkte Aftermarket-Geschäfte stark entwickeln und Zulieferer herausfordern.
Viele Unternehmen würden sich schon auf die „stürmischen Zeiten“ vorbereiten, schreiben die Studienautoren. Die Handlungsfelder seien vielfältig und reichten von schnellerem Launch-Management über Wachstums- und Investitionsfinanzierung in einem anspruchsvolleren Zinsumfeld bis hin zur Gewinnung neuer Talente.
Ein wichtiges Erfolgskriterium gerade für kleine und mittlere Zulieferer bestehe darin, ob es ihnen gelinge, hoch qualifizierte und motivierte junge Mitarbeiter im globalen Talentwettbewerb an sich zu binden, sagt Buss: Re-Innovation in einer Zeit der Disruption werde in einer durch Konsolidierung und Neuordnung bestimmten Zuliefererlandschaft zur Überlebensstrategie, an die sich auch die Hersteller anpassen müssten.