Darum gefährden autonome Autos deutsche Zulieferer
Vielleicht beschreibt eine Meldung von vergangener Woche am besten, welch tiefgreifenden Wandel die Automobil-Zulieferbranche derzeit erfährt. Shanghai Shenda, einer der größten Automobil-Interieur-Zulieferer Chinas, hieß es da, würde ein Joint Venture mit der International Automotive Components (IAC) Group eingehen, die unter anderem Instrumententafeln, Konsolensysteme, Türfüllungen und Dachverkleidungen für Fahrzeuge herstellt.
Aus der Zusammenarbeit ist nun ein Unternehmen mit dem Namen Auria Solutions entstanden. Dieses wird als „neuer, weltweit aktiver Zulieferer von Verkleidungs- und Akustikprodukten für die Automobilindustrie“ angekündigt.
Gerade solche neue Konkurrenz aus China sorgt dafür, dass viele deutsche Zulieferer derzeit ihr Geschäftsmodell prüfen und es auf Zukunftsfähigkeit abklopfen müssen. Die Unternehmensberatung Bain & Company riet den Unternehmen in ihrer Studie „An Autonomes Car Roadmap for Suppliers“ neulich etwa, ihre Kompetenzen zu erweitern, insbesondere in der Software-Entwicklung. Das sei schon deshalb nötig, weil die Konkurrenz sich verändere: Quereinsteiger aus der Technologiebranche würden ebenso auf den Plan treten wie eben neue Zulieferer aus Schwellenländern wie China.
Um diesen Entwicklungen zu begegnen, sagt die Beratungsgesellschaft, würden Akquisitionen und Partnerschaften immer wichtiger. Ziel: an Know-how, Technologie und Mitarbeiter gelangen. Zulieferer müssten eine Szenarioplanung einführen, mit deren Hilfe sie mögliche Entwicklungen identifizieren und Anpassungen rechtzeitig durchführen können“, sagt Hans Joachim Heider, Partner bei Bain & Company. Für die Unternehmen bedeute das, sich technologisch und organisatorisch ständig weiterzuentwickeln.
Das mag für Branchengrößen wie ZF, wo man zum Beispiel Automatikgetriebe entwickelt, oder Bosch, die weltweite Nummer eins der Branche, kein Problem sein. Doch wie reell ist die Chance, dass ein kleiner Mittelständler sein Geschäftsmodell überdenkt?
Situation der kleinen Automobilzulieferer
„Die Situation der kleinen Automobilzulieferer ist wesentlich kritischer als die der großen, die eine stärkere Finanzkraft im Rücken haben und die Möglichkeit, Risiken zu streuen, indem sie unterschiedliche Wege einschlagen“, sagt Johannes Berking, Principal der Automotive Practice bei der Unternehmensberatung Oliver Wyman, im Gespräch mit t3n.
Hier müssten die Verantwortlichen „sehr genau überlegen“ was sie tun. Auf das falsche Pferd zu setzen, wie Berking es ausdrückt, könne fatale Folgen haben. Das wiederum führe dazu, dass die Zurückhaltung, etwas zu tun, sehr hoch sei – „denn es könnte ja falsch sein“, sagt der Experte aus Erfahrung.
Grundsätzlich, das lasse sich beobachten, gewinne die Notwendigkeit, mit anderen Unternehmen zusammenzuarbeiten, „sehr an Bedeutung“. Denn durch eine solche Maßnahme könne auch ein kleines Unternehmen effektiv deutlich an Größe, Finanzkraft und Stabilität gewinnen. Ebensolche Kooperationen könne man bereits „über alle Ebenen“ beobachten, sagt Berking, also sowohl im Bereich der Branchenriesen als auch bei den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Bekannt sind vor allem die Joint Ventures von Automobilherstellern und Batterieherstellern oder solche im Leichtbau-Segment.
Stark spezialisierte Mittelständler vor Herausforderungen
Natürlich, sagt der Experte, würden sich die Großen der Branche in Sachen Zusammenarbeit besonders leicht tun, weil sie über ihre Zulieferlandschaft gut vernetzt seien. Bei den Kleinen sei das häufig ungleich schwieriger. Besonders all jene Mittelständler, die relativ stark spezialisiert seien und ihre strategische Ausrichtung plötzlich ändern wollten, stünden vor einer großen Herausforderung.
„Sie müssen jemanden finden, der etwas hat, mit dem sie gemeinsam angreifen können“ sagt Berking. Darüber hinaus müsse man sich der Tatsache bewusst sein, dass viele kleine Unternehmen im Gegensatz zu den Branchengrößten schlicht nicht gewohnt seien, zu kooperieren und Partnerschaften einzugehen.
Viele, insbesondere ganz kleine Firmen hingegen würden sich durch die Technik in ihrem Produkt differenzieren, seien hier möglicherweise sogar spezialisiert und hätten hierdurch einen Wettbewerbsvorteil. Ebendieser Fakt habe in vielen Fällen dazu geführt, dass man Kooperationen bisher nie gewollt habe.
Für solche Unternehmen, sagt Berking, sei ein Strategiewechsel als Reaktion auf Veränderungen am Markt natürlich besonders schwierig. Logischerweise könne sich ein hochspezialisiertes Unternehmen nicht über Nacht neu erfinden. Nicht selten müsse hier die Geschäftsführung ihr komplettes Mindset zum Thema Geschäftemachen umstellen, weiß der Experte aus Erfahrung.
Experte: Thema Kooperationen „unterentwickelt“
Thomas Schlick, Automobilexperte bei Roland Berger, ist der Auffassung, dass das Thema Kooperationen bei den Autozulieferern im Vergleich zu den Fahrzeugherstellern noch sehr unterentwickelt sei. Die Frage, die sich Zulieferer stellen müssten, laute: „Inwieweit bin ich offen für Kooperationen und somit offen, neue Wege zu gehen?“ Hier gebe es zurzeit „viele Diskussionen“, aber aus Schlicks Blickwinkel, wie er sagt, noch keine, die „wirklich gut geklappt hat“: „Da tut sich die Branche sehr schwer.“
Das Thema Kooperationen müsse allerdings dringend aufs Tapet, denn viele der einzelnen Betriebe könnten nicht weiterhin alles alleine machen. Sie könnten nicht alleine von Hardware auf Software umsteigen und weder einen weitreichenden Strategiewechsel alleine finanzieren, noch in der Kürze der Zeit einen solchen umsetzen.
Neben operativen Herausforderungen dürfte auch das Thema Unternehmenskultur eine tragende Rolle spielen. Allerdings seien, sagt Thomas Schlick, viele Firmen es nicht gewohnt, mit kulturellen Unterschieden umzugehen. Sie hätten über die Jahre lediglich gelernt, mit ihrer eigenen Unternehmenskultur erfolgreich zu sein.
„Viele, gerade kleinere Unternehmenden werden einen massiven Kulturwandel vollziehen müssen“, prognostiziert auch Johannes Berking von Oliver Wyman. Es gehe also darum, etwas anders zu tun als in der Vergangenheit. Das Problem: Gerade bei kleineren, familiengeführten Unternehmen, die lange Zeit sehr erfolgreich waren, sei die Erfahrung und die Bereitschaft, jemand anderen mit ins Boot zu holen, „erst einmal nicht besonders hoch“, wie der Experte sich ausdrückt. Und wenn es dann so weit sei, müsse man „erst noch lernen, erfolgreich zusammenzuarbeiten“.
Branche noch stark in Deutschland verwurzelt
Trotz vieler Unwägbarkeiten und Herausforderungen scheint die Branche in Deutschland allerdings recht stabil. Eine Befragung von 161 leitenden Managern der deutschen Automobilzulieferunternehmen durch das Center of Automotive Management (CAM) vom März dieses Jahres diagnostizierte ein „sehr erfolgreich abgeschlossenes Geschäftsjahr“ und „große Zuversicht“ im Hinblick auf die im aktuellen und folgenden Jahr anstehenden Entwicklungen.
Große Zulieferunternehmen, hieß es, würden ihre Zukunftsaussichten allerdings „noch deutlich besser“ einschätzen als kleinere Betriebe. Betriebe aus den Sektoren Metallverarbeitung und insbesondere Elektro beurteilten die Geschäftslage für 2017 und 2018 weit überdurchschnittlich als „sehr gut“ oder „gut“, während in den Feldern Maschinenbau, Gummi/Kunststoff beziehungsweise Dienstleistungen die Geschäftssituation „verhaltener“ eingeschätzt wurde.
Die deutsche Automobilzulieferbranche, heißt es, sei mit ihren Kernfunktionen und Stammbelegschaften in Deutschland „noch stark verwurzelt“, weise jedoch gleichzeitig auch einen hohen Grad an Internationalisierung auf. So seien 74 Prozent der Zulieferer auch in anderen westeuropäischen Ländern aktiv, 49 Prozent in Osteuropa und 51 Prozent in China. 46 Prozent der befragten Zulieferer seien in den USA präsent und immerhin 33 Prozent bereits in Mexiko. Weitere zehn beziehungsweise zwölf Prozent würden ein Engagement in diesen Ländern zumindest planen, wie es heißt.
Allerdings gibt es nicht nur gute Nachrichten: Im steigenden Kostendruck würden viele Unternehmen der Branche zunehmend eine Existenzgefährdung für ihr Geschäft sehen, will die Studie des CAM erhoben haben. Demnach hätten 46 Prozent der Automobilzulieferer der Aussage zugestimmt, dass ein weiter steigender Kostendruck durch die Automobilhersteller die Existenz des eigenen Unternehmens „nachhaltig gefährde (Vorjahr: 43 Prozent).
Kostendruck macht kleinen Unternehmen zu schaffen
Wenig überraschend könnten größere Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitern dem Kostendruck dabei besser standhalten als kleinere Zulieferer – und würden sich demzufolge auch weniger gefährdet sehen, legt die Studie nahe. Bei den KMU hingegen sei der Leidensdruck dagegen „deutlich stärker ausgeprägt“.
Besonders betroffen vom Kostendruck, heißt es, seien Elektro- und Metallunternehmen, während die häufig mit komplexeren Produkten zuliefernden Maschinenbauer und Dienstleister offenbar „weniger betroffen“ sind. Auch im Bereich Einkauf würden die Zulieferer Gefahrenpotenzial sehen. So hätten knapp zwei Drittel der Unternehmen angegeben, dass der Einkauf ihres Hauptkunden „rein preisgetrieben“ sei und langfristig betrachtet „zwangsläufig zu Qualitätsproblemen führen“ werde.
Bedenklich stimme zudem, dass viele Zulieferunternehmen offenbar „Zweifel hegen“ an der Vertrauensbasis zu ihren Kunden. Immerhin fast jedes zweite befragte Zulieferunternehmen, nämlich volle 47 Prozent, glaube nicht, dass die eigenen Kunden ein Interesse daran haben, dass ihr Unternehmen nachhaltig wirtschaften könne und die eigene Existenz somit gesichert sei.Sorge bereite gerade den kleineren Unternehmen der Branche auch die rasante Entwicklung neuer Technologien, die „massive Auswirkungen auf das Geschäft der Automobilzulieferer“ hätten, wie die CAM-Studie bemerkt. Mit 26 Prozent gebe immerhin mehr als jeder vierte befragte Zulieferer an, dass ein schneller und umfassender Umstieg auf die Elektromobilität eine Bedrohung für sein Unternehmen darstelle.
Mit dieser Thematik befasste sich jüngst auch eine detaillierte Analyse der Strategieberatung Oliver Wyman, die im August erschien. Sie prognostizierte, dass Anbieter, die noch stark auf den klassischen Verbrennungsmotor setzen, Gefahr laufen, Marktanteile zu verlieren und Wachstumschancen auszulassen.
Autonomes Fahren als disruptives Element
Allerdings: Dieser Trend hin zu elektrifizierten Fahrzeugen werde wohl noch lange dauern, lautet die Einschätzung von Thomas Schlick von Roland Berger. Zunächst würden, quasi als Zwischenschritt, Plug-in-Hybride den Markt dominieren. Ein „großes disruptives Element“ sei auch die vernetzte Mobilität und autonom fahrende Fahrzeuge, wie etwa Robocabs. Ebendiese Fahrzeuge würden auch die Zuliefererlandschaft „nachhaltig verändern“, prognostiziert Schlick: „Schon die E-Mobilität hat einen gewissen Wandel zur Folge, aber das große Thema sind die autonom fahrenden Fahrzeuge.“
Ist die Zulieferbranche also in Panik? „Die ganzen Jahre über war man sehr gelassen und hatte allenfalls operative Probleme zu lösen. Mittlerweile fällt mir auf, dass viele Unternehmen genauer hinschauen, wie sich ihre Branche verändert, und etwas nervöser werden. Sie merken, dass man sich auf die neuen Technologien einstellen und versuchen muss, auch in den zukünftigen Märkten zu partizipieren“, sagt Schlick.
Einige kleinere Unternehmen, die ein sehr begrenztes Produktportfolio haben, würden in den kommenden Jahren wohl verschwinden, schätzt der Experte. Solche, die sehr prozessorientiert seien und schlicht Teile fertigten, würden vielleicht übernommen oder mit anderen Firmen kooperieren. Das allerdings werde ein langfristiger Prozess sein.
Konnektivitätsdienste bieten „großes Potenzial“
Die Wachstumsmärkte der Branche seien nicht mehr in Europa, sondern mittlerweile hauptsächlich in Asien. Und deshalb, sagt Schlick, sei es wichtig, ebendort präsent zu sein. Doch die Politik in Ländern wie China ist natürlich längst dabei, ihren eigenen, inländischen Markt zu schützen. Man sei wenig überraschend daran interessiert, dass Komponenten für den Fahrzeugbau nicht nur importiert werden, sagt der Experte.
Neben der Expansion gibt es freilich auch noch die Möglichkeit, sich als Zulieferbetrieb neuen Geschäftsfeldern zuzuwenden. Und weil das Thema Service für den Autofahrer als Endkunden zunehmend an Bedeutung gewinne, wie Johannes Berking sagt, gebe es zum Beispiel im Bereich der Konnektivitätsdienste „noch extrem viel Potenzial“ für neue, innovative Produkte: „Das ist nicht der klassische Endmarkt der Zulieferindustrie, aber auch hier wird es Lösungen geben.“