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Die berechenbare Katastrophe – braucht die Forschung noch bessere Modelle?

Der Wunsch des Menschen, die Zukunft zu kennen und beherrschbar zu machen, fängt bei der Wettervorhersage an und hört bei der Bewohnbarkeit unseres Planeten auf. Von technischen Grenzen und der Kraft der Daten.

Von Celia Borm
5 Min.
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Forscher im Labor. (Foto: Mongkolchon Akesin / shutterstock)

Die Erde bebt. Gebäude fallen. Köln in Staub und Rauch. Menschen schreien, zwischen Trümmern liegen Tausende Tote und Verletzte, der Strom ist ausgefallen. Sirenen heulen durch das Chaos, von den Türmen des Doms krachen Bruchstücke auf den Vorplatz. Es wird Tage dauern, bis die Millionenstadt nach dem großen Schock einen ersten Atemzug tun kann. Die Erde bebt dann immer noch, immer mal wieder.

So in etwa zeichnet das Szenario im „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz“ das Bild einer Katastrophe, wie sie grob einmal in 1.000 Jahren eintreten könnte: ein (für Mitteleuropa) sehr starkes Erdbeben in der Niederrheinischen Bucht. Unwahrscheinlich, aber auch weit weg von unmöglich ist dieser sogenannte „reasonable worst case“ (denkbarer schlimmster Fall), der hier als Grundannahme dient. Für derartige Hochrechnungen und Aussagen darüber, was eventuell sein wird, braucht es Messinstrumente, Rechner und Daten. Die Forschung füttert damit Modelle, die dabei helfen können, besser auf die Zukunft vorbereitet zu sein. Sie kann Anhaltspunkt für politische und private Konsequenzen sein. Die wiederum haben Einfluss darauf, welche berechnete Zukunft sich tatsächlich in welcher Weise entwickelt. Doch jede Modellierung hat ihre Grenzen. Wie können die Modelle besser werden und wo liegen ihre technischen Grenzen?

Vom Rechnen mit der möglichen Zukunft

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Dass wissenschaftliche Aussagen über die Zukunft sich ändern, sehen wir nicht nur im täglichen Wetterbericht. Es liegt in der Natur der Forschung, bestehende Erkenntnisse immer wieder zu überprüfen. Ein Beispiel größeren Maßstabs war zuletzt der Bericht des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC). 1,5 Grad Erderwärmung schon etwa 2030 – zehn Jahre früher als zuvor angenommen.

Bei Klimaszenarien handelt es sich nicht um eine Vorhersage dessen, was wirklich passiert, sondern eine mögliche Zukunft. Das System Erde erfordert Modellierungen mit sehr, sehr vielen Variablen. Hochleistungsrechner, verbesserte Algorithmen und Speicherkapazitäten – all das hat das Klima für Forschende berechenbarer gemacht. Betrachteten die ersten vereinfachten Modelle vorwiegend Atmosphäre und Ozeane, gelingt es heute auch, Eismassen, Hydrosphäre und Biosphäre mit einzubeziehen. Die Aufgabe aber bleibt komplex. Eine Kerngröße ist die Klimasensitivität, kurz gesagt: Wie verändert sich die Temperatur auf der Erde, wenn doppelt so viel CO2 in der Atmosphäre ist wie vor der Industrialisierung? Seit 1979 wird eine Spannweite von etwa 1,5 bis 4,5 Grad Celsius angenommen.

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Im aktuellen IPCC-Bericht weichen die errechneten Gradzahlen der einzelnen Modelle vor allem über den längeren Zeitraum bis 2100 im Vergleich zu vorherigen Berichten stärker voneinander ab. Gleichzeitig konnten die Forschenden die Klimasensitivität auf 2,5 bis 4 Grad eingrenzen. Die extremeren Ergebnisse einiger Modelle passten mit den in vergangenen Jahrzehnten beobachteten Veränderungen nicht zusammen.

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Sky is the limit – die Unberechenbarkeit von Wolken

Im Groben gibt es zwei Herausforderungen, erklärt Johann Jungclaus von der Abteilung „Ozean im Erdsystem“ am Max-Planck-Institut für Meteorologie. Man müsse sich bei der Nutzung der technischen Ressourcen für eine Richtung entscheiden: Mehr Komplexität oder höhere Auflösung. Wie komplex ein Modell ist, hängt auch von der Anzahl der beobachteten Größen ab. So könne man beispielsweise neben den Treibhausgasen CO2 und Methan zusätzlich Aerosole betrachten. Es müssten dann etwa 50 verschiedene chemische Substanzen berücksichtigt werden, die sich ständig verändern.

Die zweite Herausforderung ist die Auflösung: Wie grob- oder engmaschig ist das Rechengitter? Je enger die Maschen, desto höher die Auflösung. Oder: Je kleiner die Häppchen sind, in die das Erdsystem aufgeteilt wird, desto genauer wird das Modell. Und je höher die Auflösung, desto weniger Annahmen muss der Mensch treffen, um Unbekanntes abzudecken. Ein Objekt, bei dem die Auflösung wichtig ist, sind Wolken. Sie sind ein großer Unsicherheitsfaktor in der Klimamodellierung. Wolken spielen sowohl als potentiell kühlend als auch den Treibhauseffekt verstärkend eine Rolle im Klimasystem. Das Max-Planck-Institut arbeitet laut Jungclaus derzeit an einer Fünf-Kilometer-Masche, bislang liegt die Maschenweite bei etwa 100 Kilometern. Die Forschung am Prototyp soll künftig von „Levante“ unterstützt werden, einem neuen Supercomputer. Nach Angaben des Deutschen Klimarechenzentrums verfügt er über 800 Terabyte Hauptspeicher und ein 130 Petabyte großes Speichersystem. Die Rechenleistung am Zentrum werde damit in etwa verfünffacht.

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Datenbank vor Algorithmus

Auch bei Erdbeben geht es um Maschengrößen. Der Boden wird in Rechenzellen aufgeteilt – wo ist massives Gestein, wo Sand oder Flusssedimente? Alles entscheidende Parameter, wenn es darum geht, wie seismische Wellen sich ausbreiten, wenn unterirdische Spannungen sich plötzlich entladen. Daten gibt es viele. Das fängt an mit mehr als 1.000 Jahre alten Schriftstücken, in denen Geistliche von heruntergefallenen Dachziegeln berichten, und geht bis hin zu Messdaten aus dem heutigen Messnetz, erklärt Thomas Lege von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Die BGR war neben dem Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) federführend bei der Risikoanalyse. Wie schwer allerdings Gebäude betroffen sind, welche Häuser einstürzen und welche nicht, ist schwierig abzusehen. Da helfen auch Algorithmen nur bedingt. Zwar seien diese in den vergangenen Jahren immer besser geworden und würden es wohl auch weiterhin. Wenn er aber die Wahl hätte, den Algorithmus zu verbessern oder die Klassifizierung der Gebäude, würde er sich für die Gebäude entscheiden: „Weil ich damit den größeren Gewinn erzielen und präziser werden könnte“, sagt Lege. Das Schadenspotential hängt eben auch von der Bauart ab und die Deutschland-Karte dazu ist lückenhaft. Marco Pilz, Erdbebenrisikoforscher am GFZ ergänzt: „Es sind nicht die Erdbeben, die die Menschen töten oder verletzen, sondern es sind die Gebäude.“

Wissenschaftler: Die Werkzeuge sind nicht das Problem

In Zusammenhang mit dem Klima gibt es auf europäischer Ebene beispielsweise mit „Destination Earth“ ein Projekt, die Erde in digitalen Modellen zu erfassen, die Informationen international zu sammeln und zu teilen. Aus Sicht von Jungclaus ein Teil der Lösung, wenn es um benötigte Ressourcen geht. „So ähnlich, wie es wahrscheinlich nur noch wenige Computerzentren geben wird, die diese wirklich super tollen Modelle machen, wird nicht jedes Land sein eigenes Klimamodell haben.“ Fraglich ist aus seiner Sicht, wie genau die Berechnungen überhaupt noch werden müssen, zumindest dann, wenn es um die Konsequenzen geht, die daraus gezogen werden. Jüngst habe er eine Arbeit zum Meeresspiegelanstieg aus dem Jahr 1982 gelesen. „Da standen eigentlich schon fast genau die gleichen Zahlen drin wie die, die wir in dem Bericht jetzt Anfang August gesehen haben.“ Die Klimaforschung lieferte seit Jahrzehnten im Grundsatz vergleichbare Ergebnisse, es sei eigentlich alles gesagt. „Man kann sich nicht damit herausreden: Wir müssen noch bessere Werkzeuge oder bessere Modelle haben, damit wir eine genauere Antwort haben.“ Es stehe sehr viel im IPCC-Bericht, was überhaupt nichts mit Modellen zu tun hat, die Datenbasis sei schlicht besser geworden, siehe Klimasensitivität.

Die Belastungsprobe fürs Modell bleibt der Abgleich mit der Realität. Die Zukunft ändern wird auch die beste Prognose nicht, egal auf welcher Grundlage. Lege sagt es so: „Verhindern wird man es nicht können, aber man kann dann darauf vorbereitet sein.“ Ein Satz, der wohl für Naturkatastrophen und die Klimaentwicklung gilt. Mit dem Unterschied, dass der Mensch auf das Klima der Zukunft zumindest einen Einfluss hat. Das hat die Vergangenheit gezeigt und der IPCC-Bericht belegt.

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