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Berliner Stimmzettelchaos: Digital wählen ist nicht so einfach wie viele denken

Mit Wahlcomputern wäre das Berliner Stimmzettelchaos so wohl nicht passiert. Doch die Maschinen haben ihre Tücken.

Von Enno Park
3 Min.
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(Foto: Shutterstock)

Am Wahlsonntag waren in Berlin teilweise chaotische Szenen zu erleben. In mehreren Wahllokalen fehlten Stimmzettel oder lagen falsche vor, die für andere Bezirke vorgesehen waren. Menschen mussten teils stundenlang Schlange stehen, bis neue Stimmzettel geliefert wurden. Angeblich wurde das auch dadurch erschwert, dass zeitgleich der Berlin-Marathon stattfand und viele Straßen gesperrt waren. Berichten zufolge gingen in einem Wahllokal die blauen Stimmzettel für die Zweitstimme zur Abgeordnetenhauswahl aus. Den Wartenden wurde vorgeschlagen, dass sofort wählen könne, wer bereit sei, auf diese Zweitstimme zu verzichten, worauf durchaus einige Wähler:innen eingegangen sein sollen.

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Die Situation verschärfte sich dadurch, dass sich auch vor Wahllokalen, in denen alles normal lief, lange Schlangen bildeten. In Berlin wurde neben dem Bundestag auch noch über Parteien und Direktkandidat:innen fürs Berliner Abgeordnetenhaus, den Bezirksverordnetenversammlungen sowie über den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ abgestimmt. Das Ausfüllen der insgesamt vier Wahlzettel und das Desinfizieren der Wahlkabinen nach jedem einzelnen Wahlgang kostete schlichtweg Zeit.

Viele Menschen, die es es sich längere Wartezeiten nicht erlauben konnten oder wollten, gaben auf und verließen unverrichteter Dinge ihre Warteschlangen. Einige warteten weit über 18 Uhr hinaus. Wer zum Zeitpunkt, wenn die Wahllokale schließen, noch in der Warteschlange stand, sollte auch noch wählen dürfen – auch Stunden später. Teilweise wurden die fehlenden Stimmzettel so spät geliefert, dass die Menschen das Smartphone in der Hand nicht nur die 18-Uhr-Prognose, sondern auch die ersten Hochrechnungen bei ihrer Wahlentscheidung berücksichtigen konnten.

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Digital wählen

Derzeit wird die Frage diskutiert, ob diese Unregelmäßigkeiten dazu führen, dass die Wahl wiederholt werden muss. Und ob es besser gelaufen wäre, wenn die Wahl digitalisiert abgelaufen wäre. Der Gedanke klingt zunächst bestechend, da Wahlcomputer keine Stimmzettel benötigen, die falsch verteilt oder nicht geliefert werden könnten. Doch ist das wirklich eine gute Idee?

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Das Problem mit Wahlcomputern ist, dass sie nicht mit den Grundsätzen demokratischer Wahlen vereinbar sind. Neben den Grundsätzen, dass Wahlen frei, gleich, unmittelbar und geheim sein sollen, hat das Bundesverfassungsgericht auch festgelegt, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl ohne besondere Sachkenntnis überprüfbar sein müssen.

An dieser Hürde scheitern alle bekannten Systeme, denen nie ohne Weiteres angesehen werden kann, ob sie das Ergebnis zuverlässig ermitteln oder ob sie manipuliert sind – auch die mit einer Blockchain als Basis oder anderen ausgetüftelten mathematischen Beweisführungen. Die reine Behauptung, eine Wahl gehackt zu haben, kann ausreichen, die Legitimität einer Regierung in Zweifel zu ziehen und ein Land in eine Krise zu stürzen.

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Theoretisch müssen alle zusehen können

Stattdessen können bei Stimmabgabe und Auszählung mit Papierstimmzetteln theoretisch alle jederzeit zusehen, ob alles mit rechten Dingen zugeht. Trotzdem setzen einige Länder Wahlcomputer ein oder erlauben gar die Wahl über das Internet. Für letzteres wird Estland häufig gelobt, allerdings basiert deren Verfahren auf Preisgabe des Wahlgeheimnisses. Die Wähler:innen dort können überprüfen, ob ihre Stimme richtig gezählt wurde und die Regierung verspricht, auch ganz bestimmt nicht nachzusehen, wer wie gewählt hat.

Eventuell gibt es andere verpasste Möglichkeiten sinnvoller Digitalisierung zum Beispiel bei der Logistik der Stimmzettelverteilung. Dazu müsste aber erst einmal geklärt werden, was da genau falsch lief. Am Ende kann ein Paket Stimmzettel, das für die Logistik mit RFID-Tags versehen wurde, auch vertauscht oder vergessen werden, wenn das Lesegerät nicht korrekt verwendet wird.

Mittlerweile gab Berlins Landeswahlleiterin Petra Michaelis eine Pressekonferenz, in der sie mit Rücktrittsforderungen konfrontiert die Verantwortung an die Bezirksbürgermeister:innen weiterreichte. Die hätten genügend Stimmzettel erhalten. Wäre die Wahl digital abgelaufen und wäre es dabei zu Unregelmäßigkeiten gekommen, würde die Pressekonferenz nur geringfügig anders ablaufen.

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