Den Impuls zu dieser Überschrift, die man in einem Digitalmagazin wohl am wenigsten erwarten würde, hat mir ein alter Freund am Wochenende geliefert. Wir unterhielten uns über unsere Schulzeit, darüber, was wir heute beruflich machen und er kam zu dem Schluss, dass er rückblickend wohl alles anders machen würde. Wir hätten alle in Digitalberufe gehen sollen, denn „das sei die Zukunft!“ Ein vollmundiger Satz, der mich zum Nachdenken brachte und dem ich in Teilen gleich widersprach.
Natürlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass Digitalberufe für die kommenden Jahrzehnte wichtig seien. Die große Digitalisierungswelle in Wirtschaft und Gesellschaft liefert nahezu perfekte Jobaussichten. Das zeigen viele Arbeitsmarkt- und Berufsanalysen. Kürzlich erst hat die Personalberatung Robert Half einige Berufe identifiziert, in denen 100.000 Euro und mehr pro Jahr inzwischen sogar üblich sind.
Wer einen Digitalberuf für sich entdeckt, dem wird es in den nächsten Jahren sicherlich nicht schlecht gehen, und doch kann ein Volk von Programmierenden auch nicht die Lösung sein. In meinem Berufsleben hab ich die Erfahrung gemacht, dass man sich bei der Berufswahl nicht nur an Hypes am Arbeitsmarkt orientieren sollte.
In meiner Schulzeit war es beispielsweise sehr verpönt ins Handwerk zu gehen. Die Bezahlung war schlecht, viele Menschen waren prekär beschäftigt und gerade in Ostdeutschland gab es in den 90ern und frühen 00ern auch sehr viele Entlassungswellen. Wer ins Handwerk geht, der hat schlechte Jobaussichten, hieß es damals in der Berufsberatung.
Das Ende vom Lied ist ein heutiger Handwerkermangel. Wer wie ich in Berlin oder selbst in meinem mecklenburgischen Heimatdorf eine Handwerkskraft braucht, wartet bisweilen Wochen und Monate. Funfact: Ein anderer Mitschüler, mit dem ich bis heute sehr gut befreundet bin, ist Trockenbauer und er verdient rosig – obwohl das damals ganz und gar nicht so prognostiziert wurde. Das Gesetz von Angebot und Nachfrage lässt grüßen!
Karriere und Job: Setzt nicht auf Hypes!
Sich von Hypes am Arbeitsmarkt beeinflussen zu lassen, ist auf vielerlei Art gefährlich. Denn zum einen ist jeder Beruf wichtig. Was wäre beispielsweise eine Welt ohne Pflegerinnen und Pfleger? Was wäre eine Welt ohne Müllentsorgerinnen und Müllentsorger? Oder eben ohne Handwerkerinnen und Handwerker? In dieser Welt würde es schnell bergab gehen. Zum anderen ist es für die eigene Zufriedenheit fatal, etwas zu lernen, das im Zweifel gar nicht interessiert. Und das nur, weil die Bezahlung gut ist oder eben weil eine vermeintliche Sicherheit besteht.
Ich erinnere mich noch gut an meine erste Ausbildung in einer Behörde. Ein Job bei der Bundeszollverwaltung, das wäre es doch, so meine Eltern. Ich stimmte zu, bewarb mich, erhielt die Chance auf eine Ausbildung und ich zog sie durch. So sehr ich aber versuchte, mich in die Arbeitsrealitäten meiner Kolleginnen und Kollegen einzufinden, desto mehr brach ich aus und begann im Feierabend und am Wochenende anderen Jobs nachzugehen, die mich mehr interessierten. Ein Berufsleben in der Amtsstube wäre kein Leben für mich gewesen.
„Ein Leben in der Amtsstube wäre nichts für mich gewesen.“
Die Dinge, die ich am Wochenende machte, die Menschen, die ich neben der Ausbildung traf, sie inspirierten mich mehr: Medien und Startup-Welt, das Internet per se, dort fand ich kreative hochmotivierte Menschen, die spannende Projekte vorantrieben. Da war richtig Energie zu spüren. Das gefiel mir. Es war gut, dass ich damals meinen Interessen gefolgt bin. Heute bin ich zufrieden in meinem Beruf. Ich habe nicht nur Spaß, ich verdiene auch gutes Geld. Natürlich nicht so viel wie Programmiererinnen und Programmierer, aber für mich mehr als genug, um sorglos davon zu leben.
Macht lieber, was ihr wirklich wollt!
Mein Ratschlag deshalb: Macht lieber das, was ihr wirklich wollt. Und nicht das, was euch von Eltern, Lehrern oder anderen vermeintlichen Berufsberatern aufgrund einer Zeitaufnahme empfohlen wird. Wenn ihr Freude daran habt, Menschen zu helfen, geht in die Pflege. Wenn ihr Freude daran habt, eine Stadt am Laufen zu halten, geht in die Müllentsorgung. Wenn ihr Freude daran habt, mit euren Händen zu arbeiten, geht in das Handwerk.
Und wenn ihr programmieren wollt, tut auch das! Wir brauchen alle Berufe, alle sind wichtig. Und: Wer in etwas gut ist, hat Spaß daran, und wer Spaß an seiner Arbeit hat, wird meist auch in irgendeiner Weise erfolgreich sein.
Das ist der einzige Karriereratschlag, der wirklich zählt!