„Kein Kinderwunsch“: Wie sinnvoll ist es, seine Familienplanung in der Bewerbung offenzulegen?

Als Kim Nadine Herschmann sich nach einigen Jahren der Selbstständigkeit in ein Angestelltenverhältnis bewarb, war sie überrascht, wie viele Absagen sie erhielt. Die junge Frau war 30 Jahre und nicht unerfahren. Dass das mit ihrem Alter zu tun haben könnte, darauf kam die Redakteurin erst als sie im Freundeskreis nach ihrem Kinderwunsch gefragt wurde.
„Ich habe dann neben dem Punkt ‚verheiratet‘ auch die Info ‚keine Kinderplanung‘ im Lebenslauf aufgenommen“, erzählt sie. Plötzlich wurde sie zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. So wie Herschmann machen es viele Frauen.
Auf Linkedin hat die Nutzerin Riman Saleh kürzlich eine Debatte angestoßen. Die Doktorandin berichtet in einem Posting, dass Frauen in ihrem Umfeld in Bewerbungen erklärende Anmerkungen schreiben wie „Betreuung gesichert“, „Familienplanung abgeschlossen“ oder „kein Kinderwunsch mehr vorhanden“. Saleh schreibt, sie tun das „aus Angst, wegen ihrer Mutterschaft aussortiert zu werden.“
Der Beitrag ging mit knapp 1.500 Reaktionen viral. Viele Frauen kommentierten, auch Kim Nadine Herschmann ist darunter. Nutzerinnen und Nutzer sind entsetzt, viele geben jedoch auch zu, dass sie selbst persönliche Informationen in ihren Bewerbungsunterlagen herausgegeben haben, um ihre Chancen auf einen Job zu erhöhen.
Mütter besonders von Diskrimierung betroffen
Lena Hipp wundert das nicht. Die Professorin für Strukturanalyse der Universität Potsdam blickt auf einige Jahre an Forschung zurück. In einer Studie für das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) konnte sie nachweisen, dass Mütter seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden als Väter oder kinderlose Frauen und Männer.
Für die Studie wurden über 800 fiktive Bewerbungen auf reale Stellenangebote im Marketing- und Veranstaltungsbereich versandt. In diesem Berufsfeld arbeiten ungefähr gleich viele Frauen und Männer. Mütter mussten rund ein Drittel mehr Bewerbungen schreiben als kinderlose Frauen, um eine Einladung zu erhalten. Bei den Vätern gab es keine Unterschiede im Vergleich zu kinderlosen Männern.
Hipp beobachtet zwar, dass sich in der Arbeitswelt viel in Richtung einer gelebten Vielfalt und Gleichberechtigung bewegt, allerdings, so sagt sie auch, sei „noch lange nicht alles gut.“ Stereotype seien noch immer fest in den Köpfen verankert und damit Diskriminierung vorprogrammiert.
Auch hier fällt ihr das immer wieder auf: „Für Väter ist es total unerheblich, ob sie kurz oder lang in Elternzeit gehen. Das spiegelt sich nicht in verbesserten oder geringeren Einladungswahrscheinlichkeiten wider“, so die Forscherin. Bei den Frauen habe sie jedoch in parallellaufenden Forschungen „einen paradoxen Befund“ wahrnehmen können.
„Frauen, die nur zwei Monate in Elternzeit gehen, werden häufig als zu engagiert, zu wenig liebend und als Egoshooterin wahrgenommen. Sie sind deutlich seltener eingeladen worden als Frauen, die 12 Monate Elternzeit genommen haben.“
Natürlich gebe es zunehmend moderne Beziehungs- und Familienmodelle, allerdings zeigt sich in der Realität, dass doch meistens das tradierte Modell vorherrscht: „Er arbeitet in Vollzeit, sie geht in Elternzeit und danach in Teilzeit. Womöglich sogar in einem Job, der gar nicht mehr ihrem ursprünglichen Qualitätsniveau entspricht.“
Folgt man der Empirie, so Lena Hipp, ist es also durchaus sinnvoll, dass Frauen in Lebensläufen einordnende Informationen zu ihrer Familienplanung mitgeben. Allerdings könne das die stereotypen Denkweisen verstärken. Einem gesellschaftlichen Fortschritt kann das schaden.
Würde Kim Nadine Herschmann derartig persönliche Anmerkungen wieder in ihre Bewerbungsunterlagen schreiben? „Mit meinem heutigen Selbstbewusstsein und meiner gegenwärtigen Erfahrung, absolut nicht. Aber beides hatte ich damals nicht“, räumt sie ein.
„Aus heutiger Sicht würde ich für kein Unternehmen mehr arbeiten wollen, in dem ich aufgrund meines Geschlechts oder weil ich aufgrund einer Schwangerschaft ausfallen könnte, abgelehnt werde.“ Anderen Frauen rät sie deshalb, sich ebenfalls zu fragen: „Wenn man dann ein Kind bekommt, möchte man bei so einer Firma wirklich arbeiten wollen?“
Auch in der WZB-Studie von Lena Hipp lautet das Fazit, dass in Lebensläufen private Informationen wie Elternschaft oder Ehestand nicht mehr erwähnt werden sollten. „Damit wird das Prinzip der gleichen Jobchancen von Männern und Frauen konterkariert.“
Viele Eltern wollen Sorgearbeit sichtbar machen
Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass immer mehr Menschen ihre privaten Verhältnisse nicht mehr im Arbeitskontext verleugnen, sondern sogar offen nach außen tragen wollen. So hat kürzlich auf Linkedin noch ein anderer Viraltrend für Aufmerksamkeit gesorgt.
Tausende Mütter und Väter haben in ihre Lebensläufe den fiktiven Arbeitgeber „Unpaid Care Work“ hinzugefügt. Ein Platzhalter, der unbezahlte Sorgearbeit sichtbar machen soll, die vielerorts noch immer als Karrierekiller wahrgenommen wird. Dazu gehört nicht nur die Kindererziehung, sondern auch die Pflege von Angehörigen.
Mit-Initiatorin Franziska Büschelberger sagt: „Ich bin alleinerziehend und ich habe das schon immer angegeben, sowohl bei Linkedin als auch in Bewerbungen. Aber ich weiß, dass viele andere das nicht machen und noch immer empfohlen wird, Zeit, die man zum Beispiel mit kleinen Kindern zu Hause verbracht hat, im Berufskontext nicht anzusprechen.“
Wenn man bei Linkedin eine Station im Lebenslauf ohne konkrete Firma einträgt, wird daneben nur ein unscheinbarer grauer Kasten angezeigt. „Ich fand das schade, denn die Care-Arbeit, die ich eingetragen habe, ist ja Arbeit und Leistung, die aus meiner Sicht nicht versteckt, sondern als etwas Großes und Tolles gesehen werden sollte.“