Borderline-Syndrom: Neue Diga verspricht Hilfe per App

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung kann für Betroffene sehr belastend sein kann. (Bild: Shutterstock/Fizkes)
Mit der App Priovi ist ab sofort die erste digitale Gesundheitsanwendung (Diga) für Borderline-Patient:innen erhältlich. Eine gute Nachricht, denn Therapieplätze sind knapp – und viele Borderline-Patient:innen können von Suizidgedanken geplagt sein.
Diga sind digitale Anwendungen für iOS oder Android, die von Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen auf Rezept verschrieben werden können. Eine Zuzahlung der Patient:innen ist in der Regel nicht nötig. Möglich ist das durch das am 19. Dezember 2019 in Kraft getretene Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG), das den Weg für die Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) bereitet hat. Entwickelt wurde Priovi von der Hamburger Gaia AG.
Was ist die Borderline-Störung?
Borderline? Schon mal gehört, aber was ist das genau? Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (Borderline = Grenzlinie) ist eine psychische Störung, die zu impulsivem Verhalten und instabilen Stimmungen, Beziehungen und Selbstbildern führen kann. Betroffene der Borderline-Persönlichkeitsstörung können sehr unter der Situation leiden und erleben sich häufig als Opfer ihrer eigenen heftigen Stimmungs- und Gefühlsschwankungen.
„Betroffene fühlen sich innerlich zerrissen und leiden unter großen Ängsten vor dem Alleinsein. Dennoch haben sie massive Probleme im Umgang mit anderen Menschen. Dadurch gelingt es ihnen nur selten, stabile Beziehungen aufzubauen, was die ganze Problematik natürlich verschlimmert“, erklärt die Schematherapieexpertin Gitta Jacob, die die Therapie-App Priovi federführend mitentwickelt hat.

Gitta Jacob zählt zu den wichtigsten Protagonist:innen der Schematherapieszene in Europa und war als leitende Psychotherapeutin der Gaia AG maßgeblich an der Entwicklung von Priovi beteiligt. (Bild: Gaia AG)
Die Anspannung kann zu selbstschädigenden Verhaltensweisen in Form von Drogen- oder Alkoholmissbrauch oder gar Suizidversuchen führen.
Etwa drei Prozent der Bevölkerung leiden an der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Mehr als 60 Prozent davon sollen bereits mindestens einen Suizidversuch verübt haben, was die Wichtigkeit einer Behandlung verdeutlicht. Die ersten Anzeichen treten meist schon im Jugendalter auf.
Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung
Die Borderline-Störung wird oft als schwierig zu behandeln angesehen, aber mit einer Kombination aus Psychotherapie und gegebenenfalls Medikamenten können viele Menschen eine Verbesserung ihrer Symptome erleben.
Doch beides hat Haken:
- Therapieplätze sind knapp.
- Nicht alle niedergelassenen Psychotherapeut:innen sind dafür qualifiziert, die benötigte störungsspezifische Therapie anzubieten.
- Die störungsbedingte Angst der Betroffenen vor Nähe kann dazu führen, dass Borderline-Patient:innen Therapiesitzungen vermeiden.
- Und last, but not least kann jedes Medikament Nebenwirkungen haben. Psychopharmaka können in Krisen sinnvoll sein, laut Gaia helfen sie jedoch nicht langfristig gegen die Borderline-Störung und bringen zudem oft problematische Nebenwirkungen mit sich.
Die digitale Unterstützung mit der Diga Priovi will den Betroffenen ein ergänzendes Mittel an die Hand geben, das ihnen Ängste nimmt und zur Therapietreue beiträgt.
Was kann die neue Diga Priovi?
Priovi bietet therapeutische Techniken und Übungen an, die auf der sogenannten Schematherapie beruhen, einem anerkannten Verfahren zur Behandlung der Borderline-Störung.
Expertin Jacob erklärt: „Mit der Schematherapie baut Priovi auf einer Methode auf, bei der die wichtigsten und wirksamsten therapeutischen Prinzipien in einer sehr verständlichen Art und Weise zusammengeführt werden. Sie hilft Betroffenen, anhand verschiedener Selbstanteile besser mit ihren Emotionen umzugehen, soziales Miteinander zu lernen und sich Strategien für den Umgang mit Krisen anzueignen.“

Beispiel-Screenshots der Priovi-App. (Grafiken: Gaia AG)
Die Webanwendung kann sowohl auf einem Smartphone als auch auf Tablets oder Computern verwendet werden. Die Einmallizenz der Diga gilt für ein ganzes Jahr, sodass Nutzer:innen nicht, wie sonst üblich, nach 90 Tagen erneut eine Verschreibung beantragen müssen.
Mit der Zulassung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist die neue Diga als verschreibungsfähiges Medizinprodukt durch die gesetzlichen Krankenkassen erstattungsfähig.
Diga-Wirksamkeit muss bewiesen werden
Um als App im Diga-Verzeichnis aufgenommen zu werden, muss unter anderem ein medizinischer Nutzennachweis in Form einer Studie erbracht werden. Bei Priovi wurde die Wirksamkeit in einer einarmigen Prä-Post-Studie mit 153 erwachsene Personen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung untersucht. Nach den drei Monaten, in denen die Patient:innen Priovi genutzt haben, sollen sie von einer deutlichen Reduktion ihrer Symptome und einer Verbesserung ihrer Lebensqualität berichtet haben.
Im Rahmen einer randomisiert-kontrollierten, länger angelegten Studie werden im Folgenden weitere wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt, um das Programm dauerhaft in das Diga-Verzeichnis des BfArM aufzunehmen.
Stand 7. März befinden sich 49 Apps im Diga-Verzeichnis. 16 davon wurden dauerhaft aufgenommen, der Rest befindet sich noch im Status „vorläufig aufgenommen“.
Priovi-Entwickler haben schon andere Digas entwickelt
Entwickelt wurde Priovi von der Hamburger Gaia AG, die bereits sechs andere Diga auf den Markt gebracht hat, unter anderem eine der ersten beiden im Oktober 2020 zugelassenen Diga: Velibra gegen Ängste und Sorgen.
Neben Velibra und Priovi hat Gaia zudem folgende Diga im Programm: Elevida gegen Fatigue bei MS-Patient:innen, Deprexis gegen Depressionen, Vorvida zur begleitenden Therapie von Alkoholabhängigkeit, Optimune für Brustkrebspatient:innen und Levidex, ebenfalls für MS-Patient:innen.