ChatGPT hat bayerisches Abitur bestanden – im zweiten Anlauf
Mitarbeitende im Computerlinguistik, AI und Automations-Lab des Bayerischen Rundfunks haben der derzeit populärsten Sprach-KI ChatGPT die aktuellen Aufgaben des bayerischen Abiturs vorgelegt und die Antworten von verschiedenen Lehrkräften aus dem Großraum München korrigieren lassen. Das Ergebnis: Die KI ist jetzt eine Zweierschülerin.
ChatGPT verbessert sich im Abi in allen Fächern
Bereits im Februar hatten die Expert:innen des BR mit der Vorgängerversion ChatGPT 3.5 das gleiche Experiment gewagt, damals mit ernüchterndem Ausgang. Die KI unterpunktete in fast allen Fächern, egal, ob Deutsch, Mathematik, Ethik oder Informatik. Lediglich in Geschichte konnte sich das Programm mit ein paar harten Fakten auf neun Punkte (eine gute Drei) retten. Insgesamt war die KI durchgefallen.
ChatGPT 4.0 hat bei seinem erneuten Versuch enorme Fortschritte gemacht. In der Paradedisziplin Geschichte ist die KI noch besser geworden – obwohl es um ein durchaus analytisch forderndes Thema ging: Der Wandel der Gesellschaft vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, zum Beispiel im Zunft- und Verlagswesen, mit der Bedeutung der Eisenbahn und der Stellung der jüdischen Bevölkerung.
Bayerisches Abitur: ChatGPT löst auch analytische Aufgaben
Auch wenn sich die KI laut korrigierender Lehrkraft noch schwertut mit Abwägen und Beurteilen, hat es trotzdem für die Zwei gereicht. In Ethik verbesserte sich die Bewertung von vier Punkten auf zehn, und von den sehr schlechten drei Punkten (eine Fünf) in Deutsch, konnte sich ChatGPT ebenfalls auf zehn Punkte verbessern.
Immerhin musste dafür eine Parabel analysiert werden, was schon etwas mehr Denkleistung als pures Faktenwissen erfordert. Dabei war das Fazit im Februar noch: „Viel Gelaber, wenig Substanz“ – eine Taktik, mit der schon so manche:r Deutschschüler:in sich durchzumogeln versucht hat.
Auch in Mathe hat die KI eine glatte Zwei erreicht, der größte Sprung aber gelang in Informatik: von mageren zwei auf elf Punkte – ganz nah an die Eins.
KI: Läuft die Menschheit Gefahr, das Denken auszulagern?
Wie in allen gesellschaftlichen Bereichen werden auch im Bildungssystem künstliche Intelligenzen bald nicht mehr wegzudenken sein. Das kann man kritisch, sehen, weil Schüler:innen im derzeitigen Schulsystem darauf zurückgreifen können, um zum Beispiel Hausaufgaben erledigen zu lassen, wodurch am Ende der Lerneffekt ausbleibt.
Allerdings dürfen die jungen Menschen sich durchaus fragen, wieso sie Dinge in ihrem Kopf speichern sollen, die ohnehin permanent technisch abrufbar sind und die künftig auch in der Erwachsenenwelt intensiv genutzt werden. Läuft die Menschheit also insgesamt Gefahr, die Fähigkeit zu Denken abzugeben?
Bildung aus purer Lust am Wissen? KI könnte auch positiv beeinflussen
Was die KI-Entwicklung mit menschlichem Wissen anstellen wird, könnte verheerend sein, zumal auch das Wissen der Maschine kulturellen Prägungen der Mehrheitsgesellschaft unterliegt. Aber der Umbruch durch künstliche Intelligenz im Bereich Bildung bietet auch eine gewaltige Chance: Man stelle sich eine Schule vor, in der Schüler:innen nicht stumpf Fakten auswendig lernen müssen; in der Wissen nicht darauf ausgelegt ist, dass man gute Noten erzielt, die den Wert eines jungen Menschen bemessen sollen; wo Bildung nicht dazu da ist, dass sie später einen beruflichen Nutzen erfüllt – denn das alles kann ohnehin die Maschine.
Man stelle sich eine Schule vor, in der Leher:innen jungen Menschen die pure Lust an Bildung, am Können und Wissen vermitteln dürfen, einfach weil es Spaß macht, seinen Verstand zu gebrauchen – ganz ohne Bewertungsdruck. Bei all den negativen Zukunftsvisionen in Sachen KI wäre das doch mal eine schöne Utopie.