Christoph Bornschein im Changerider: „Rückblickend wird die Coronakrise der Moment der Umkehr gewesen sein“
Christoph Bornschein, Mitbegründer der Agentur TLGG, einer Agentur für das digitale Business, beschreibt „Lockdown eins“ eher als eine Phase der Krisenbewältigung, während nun in „Lockdown zwei“ die Produktivität zurückgekehrt zu sein scheint: Remote läuft einwandfrei. Doch wird es einen ‚Bounce-Back Effekt‘ geben? Werden wir zurückkehren zu alten Routinen und Arbeitsweisen, sobald das alles wieder möglich ist? „Auf der einen Seite gibt es Vorstände und Führungskräfte, die verstanden haben, welche Effekte nie wieder verschwinden werden. Ich glaube aber auch, dass es noch ganz viele Menschen gibt, für die diese Phase ein Warten auf das ‚alte Normal‘ ist.“ Er selbst war überrascht, wie viele Unternehmen sich dann doch durch eine Präsenzkultur auszeichnen wollen und genervt sind, die alte Kultur nicht leben zu können. „Viele Menschen empfinden die Zeit gerade eher als nervigen Zwischenzustand, anstatt sich darauf zu konzentrieren, was eigentlich der befreiende Teil davon ist und wie viel Wert es stiftet, wenn du Talente von überall in dein Unternehmen integrieren kannst“, so der CEO.
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Bornschein, auch gerne betitelt als Papst der digitalen Transformation, ist sich sicher, dass sich das Format ‚Messe‘ neu erfinden muss und damit auch die Art, wie Vertrieb funktioniert. „Es haben ja keine Messen stattgefunden. Schaut man sich Statistiken an, sagen fast 58 Prozent aller Befragten, dass sie keine Umsatzeinbrüche dadurch hatten“, so der Gründer. Doch nicht nur Messen als Marketinginstrument verändern sich. Auch der Tätigkeitsbereich für den „Man in the van“, also der Vertriebler, der herumfährt, wird sich nachhaltig verändern, so Bornschein.
„Erst wenn man Sachen 7 Mal sagt, sind sie auch angekommen“
Viele Unternehmen beschäftigen sich nun aktiv damit, wie Führung und Miteinander im Lockdown gut gelingt. Braucht es neue Interaktionsformate? Vor allem in der Kommunikation braucht es jetzt die Extrameile, um Mitarbeiter wirklich zu erreichen. Normalerweise, so Bornschein, manage er beim Herumschlendern im Büro – nun ist alles Anders: „Ins Büro gehen, eine Kaffeetasse in die Hand nehmen und relativ unstrukturiert mit Menschen reden – da passieren tolle Sachen. Das ist nicht ersetzbar durch eine Zoom-Konferenz. Alles, was man früher implizit gemacht hat, muss man jetzt explizit machen. Jetzt muss man dafür einen Call aufsetzten, weil man die Person sonst nicht sieht.“ Das Unternehmen hat verschiedene Fragenformate ins Leben gerufen, wöchentliche Videos geteilt und eine sehr „kleinteilige Kommunikation“ betrieben. „Ich bin da am Ende noch nicht angekommen. Es ist ermüdend, Sachen, die man selbst schon weiß, einfach nur zu kommunizieren, aber es ist nötig. Man muss Sachen sehr oft sagen, damit sie wirklich ankommen. Ich habe mir keinen Satz in der Krise häufiger angehört als: Erst wenn man Sachen sieben Mal sagt, sind sie angekommen. Kommunizieren, kommunizieren, kommunizieren!“
Der Gründer hat mit seiner Agentur auch eine kreative Lösung gefunden, um Eltern in der Lockdown-Zeit zu unterstützen: „Als Schulen und Kindergärten geschlossen waren, haben wir versucht, diese zu entlasten. Eine unserer Werkstudentinnen hat beispielsweise zu zwei unterschiedlichen Tageszeiten einfach mal remote etwas vorgelesen. Das hat super funktioniert und die Eltern hatten einfach mal ein bisschen Zeit für sich.“
„Was das über unseren Bildungssektor und seine Bereitschaft, sich zu modernisieren, gezeigt hat, ist schon sehr erschreckend“
Neben vielen Herausforderungen für Unternehmen musste auch die Politik sich zahlreichen Bewährungsproben stellen. Sie steht aufgrund ihres Krisenmanagements bis zuletzt immer wieder auch mal in der Kritik. Doch Jens Spahn hat aus Sicht des Agenturgründers bewiesen, wie gutes politisches Management funktionieren kann. „Natürlich kann man sagen, er hat zu spät Masken bestellt, aber er wusste ja auch immer nur einen Bruchteil mehr als wir. Die Kommunikation war gut, die Entscheidungen gut. Die Kritik am Corona-Management fängt da an, wo es föderal wird. Und da fängt Kritik in Deutschland ja immer an: Was genau haben eigentlich die Kultusminister über den Sommer gemacht, um das Winter-Schuljahr vorzubereiten, und warum haben sie nichts gemacht?“ Kaum ein Thema steht derzeit so stark in der Kritik wie das deutsche Bildungssystem in der Coronakrise. Immer wieder taucht die Frage auf: Wieso ist in acht Wochen Sommerferien nichts vorangegangen? Schule wurde zur Lotterie für Kinder, Chancengleichheit nahezu vernichtet. „Das ist total dramatisch und am Ende auch schuldhaft, weil man nichts getan hat, um das zu verhindern und digitalen Unterricht zu ermöglichen.“ Bornschein plädiert dafür, den Föderalismus nochmal zu überdenken. „Wofür braucht es 16 Kultusminister und 16 Bildungssysteme in einem Land? Ich finde auf der Bildungsseite und der Handlungsunfähigkeit beim Thema Bildung, die man nun schonungslos gesehen hat, keine Vorteile mehr“, so sein hartes Urteil.
„Kaum ein Konzern hat verstanden, wie es sich zu einem Portfolio von unterschiedlichen Wertschöpfungsmustern entwickeln kann“
Doch für Aufregung sorgt die Krise auch in der Automobilindustrie. Inwiefern wird sich diese Industrie innovieren oder neu erfinden? „Viele gingen davon aus, dass dieses Jahr der Peak beim Absatz von Autos kommen würde und 100 Millionen Autos verkauft werden. Jetzt muss man feststellen, dass dieses Jahr 70 Millionen Autos verkauft wurden und damit ganze 20 Millionen weniger als im Vorjahr.“ Das Kerngeschäft ist überraschend stark eingeschrumpft und damit wächst der Druck auf die Automobilindustrie. Konzerne müssen ihre Strategie anpassen – das alte Geschäft läuft unter Plan. Gleichzeitig drängt die Zeit, um das Thema Elektrifizierung voranzutreiben. „Dann fragt man sich, was kann man historisch am besten: Autos bauen und nicht Mobilitätskonzepte vorantreiben. Also voller Fokus darauf. Ob das eine gute Strategie ist, sei mal dahingestellt“, so Christoph Bornschein.
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Der Unternehmer selbst sitzt im Verwaltungsrat von Lichtblick, einem Unternehmen, das verstanden hat, wie wichtig es ist, sich zukünftig breiter aufzustellen. „Was du siehst, ist etwas, das man in der Zeitungskrise schon gesehen hat. Eines der größten Probleme von Unternehmen ist immer: Du hast einen Revenue Stream, der träge vor sich hin plätschert und gut funktioniert – in diesem Fall Autos verkaufen – und plötzlich muss ein Unternehmen Portfolios managen. Aus einem Unternehmen, das einen Revenue Stream managen kann, ein Portfoliounternehmen zu bauen, überfordert diese großen Firmen gewaltig. Das muss man ganz schonungslos sagen: Es ist echt viel Zeit ins Land gegangen, weil kaum ein Konzern verstanden hat, wie er sich zu einem Portfolio von unterschiedlichen Wertschöpfungsmustern entwickeln kann“, so die Analyse von Christoph Bornschein. Gleichzeitig schaut er dennoch positiv in die Zukunft – er spricht von einer natürlichen Marktbereinigung: „Wir werden irgendwann auf die Coronakrise zurückschauen und verstehen, dass das der Moment war, der uns zu der Umkehr bewegt hat, hin zu den digitalen Geschäftsmodellen. Mein Blick ist dort ganz, ganz positiv. Aus einer makroökonomischen Sicht könnte sich das auch als sehr heilsam darstellen.“
Abschließend spricht Christoph Bornschein noch sehr positiv über die politischen Veränderungen in den USA: „Ich möchte Joe Biden sehr, sehr gerne glauben, dass er die vier Jahre nutzen wird, um die Polarisierung des Landes zu überwinden, und das ist für uns Europäer gut und wichtig.“
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