GTA und Cyberpunk 2077: Sind wirklich Entwickler:innen und QA schuld?
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Die beiden Spiele „Cyberpunk 2077“* und „GTA: The Trilogy“ * verbindet mehr, als dass sie von Studios stammen, die eigentlich für sehr hohe Qualität stehen. Mit „The Witcher 3“* hat CD Projekt Red eines der beliebtesten Open-World-Spiele überhaupt entwickelt. Im Vorfeld der Veröffentlichung sah es so aus, als ob „Cyberpunk 2077“ diesen Standard nochmal heben würde – doch dann erschien ein Spiel mit unglaublich vielen Fehlern. Die drei Titel, die in „GTA: The Trilogy“ enthalten sind, haben Open Worlds, wie wir sie heute kennen, mitbegründet. Ihr Einfluss ist noch heute groß. Mit der „Trilogy“ aber hat Rockstar Games ein technisch unausgereiftes Spiel veröffentlicht, das in fast allen Aspekten schlechter als die Originale ist. Wie konnte das passieren? Wer ist schuld daran, dass Blockbuster-Spiele auf den Markt kommen, die so eigentlich nicht hätten veröffentlicht werden dürfen?
Schlechte Spiele versus fehlerhafte Spiele
Zunächst gilt es, eine wichtige Differenzierung vorzunehmen: Beide Spiele, beziehungsweise Editionen, sind in ihrem Kern keine schlechten Games. Freilich ist es schwer, festzumachen, was „schlecht“ ist. Doch ist diese Unterscheidung im Folgenden wichtig. Studios können etwa in der Entwicklung eines Spiels Entscheidungen treffen, die sich im Nachhinein als suboptimal herausstellen. Das kann etwa im Game-Design passieren, wenn die Designer:innen sich Spielmechaniken überlegen, die nicht gut funktionieren. In diesem Fall kann sich die Kritik an die Entwickler:innen richten, da sie sich auf Elemente eines Spiels bezieht, die auf bewussten Entscheidungen beruhen.
Solche Elemente gibt es auch in „Cyberpunk 2077“ und „GTA: The Trilogy“. Die größte Kritik gab es allerdings, zurecht, für die technische Umsetzung. Beide Spiele haben viele Bugs und Probleme in der Performance. Besonders „Cyberpunk 2077“ war zum Release auf einiger Hardware kaum spielbar, stürzte oft ab. Diese Mängel beruhten freilich nicht auf bewussten Entscheidungen von Entwickler:innen. Es sind Fehler, die im Laufe der Entwicklung entstanden sind und nicht ausgeräumt wurden. Die Schuld ist also nicht hier zu suchen. Das beliebte Narrativ von „faulen“ oder „schlechten“ Entwickler:innen trifft fast nie zu. Bei Spielen mit technischen Fehlern besonders oft nicht.
Die Unterschiede zwischen „Cyberpunk 2077“ und „GTA: The Trilogy“
Die Gemeinsamkeiten der beiden Spiele haben wir schon herausgestellt: Blockbuster-Studios, die eigentlich für sehr hohe Qualität bekannt sind – und auch über genug Budget verfügen sollten. Die Unterscheide sind aber umso interessanter. Die Entwicklung von „Cyberpunk 2077“ begann kurz nach der Veröffentlichung der Erweiterung „Blood and Wine“ für „The Witcher 3“, im Jahr 2016. Erstmals angekündigt wurde es bereits im Mai 2012. Von der ersten Erwähnung bist zur Veröffentlichung im Dezember 2020 vergingen also über acht Jahre. In dieser Zeit baute sich eine gigantische Erwartungshaltung auf – die von CD Projekt Red durch allerlei PR-Maßnahmen ordentlich befeuert wurde. Es ist bekannt, dass die Entwicklung des Spiels mit einigen Problemen zu kämpfen hatte. Mitarbeiter:innen mussten crunchen, um schließlich noch das Weihnachtsgeschäft 2020 bedienen zu können. Vorher war das Spiel etliche Male verschoben worden. „Cyberpunk 2077“ sollte der nächste große Blockbuster für CD Projekt Red werden. Eine weitere Erfolgsgeschichte. Stattdessen wurde der Release zum Desaster.
Anders verhält es sich bei „GTA: The Trilogy“. Das Spiel wurde nur wenige Wochen vor dem Release am 11. November angekündigt. Es handelt sich nicht um den nächsten großen Blockbuster-Titel für Rockstar Games. Das dürfte GTA 6 sein – auch wenn niemand weiß, wann das Spiel erscheinen wird. Und, besonders wichtig, das Spiel wurde nicht von Rockstar Games selbst entwickelt. Vielmehr waren es Grove Street Games, die damit beauftragt wurden. Zwei Jahre soll die Entwicklung gedauert haben. Zudem handelt es sich um ein Remaster, nicht um ein von Grund auf neu entwickeltes Spiel. Anzumerken ist aber, dass die Entwickler:innen das Spiel in einer neuen Engine veröffentlicht haben – keine sehr leichte Aufgabe.
Was wir selten wissen
Während über die Entwicklung von „Cyberpunk 2077“ einiges bekannt ist, wissen wir nicht sehr viel über den Verlauf von „GTA: The Trilogy“. Videospiel-Produktionen sind meistens in sich geschlossen. Mitarbeiter:innen stehen unter strikten NDAs, dürfen kaum etwas sagen. Wenn etwas an die Öffentlichkeit dringt, dann anonym und unter der Hand. Doch sind ein paar Überlegungen bei der Frage, wieso Spiele fehlerhaft veröffentlicht werden, sehr wichtig. Ein paar Beispiele:
- Wie sahen die Deadlines für die Meilensteine aus? Wie viel Zeit hatten die Entwickler:innen?
- Wie hoch war das Budget, mit dem ein Studio wie Grove Street Games arbeiten konnte?
- Welche ungeahnten technischen Probleme sind während der Entwicklung aufgetreten? Mussten Engines etwa gewechselt werden?
- Wird ein Spiel verschoben, damit mehr Zeit für Qualitätsmanagement ist? Oder damit noch mehr Features eingebaut werden können?
„Wieso hat QA das nicht gemerkt?“
Der letzte Punkt führt uns zu einer wichtigen Abteilung in jedem größeren Videospielstudio: die Quality-Assurance, kurz QA. Deren Aufgabe ist es, Spiele vor dem Release auf Bugs hin zu testen. Oft suchen Gamer:innen das Problem in dieser Abteilung, wenn ein Spiel mit vielen Fehlern veröffentlicht wird – zu unrecht. Freilich kann kaum ein Spiel, gerade ein so komplexes wie etwa „Cyberpunk 2077“, je ganz ohne Bugs ausgeliefert werden. Es wird immer Fehler geben, die QA nicht entdeckt hat. Dabei handelt es sich meist um solche, die unter seltenen und sehr komplexen Umständen auftreten.
Wenn ihr in einem Spiel jedoch einen groben und häufig auftretenden Fehler erlebt und euch denkt „Wieso wurde der nicht entdeckt?“, könnt ihr davon ausgehen, dass dieser durchaus entdeckt wurde. Mitarbeiter:innen in QA-Teams dokumentieren Bugs und Glitches sorgfältig und geben sie an die entsprechenden Abteilungen weiter. Die Quality-Assurance findet Fehler – beseitigt sie jedoch nicht selbst. Dafür sind die Programmier:innen zuständig. Die vielen Abteilungen eines Gaming-Studios stehen im besten Fall in engem Austausch.
Wieso bleiben die entdeckten Fehler dann also in einem Spiel? Darauf gibt es meistens eine Antwort: Es wurde entschieden, dass sie vertretbar sind.
An wem es liegt
Der Geschäftsleitung von Blockbuster-Studios und -Publishern zu unterstellen, ihnen wäre die Qualität der Spiele egal, ist sicherlich zu einfach. Langfristig gesehen ist es die Güte der Games, die die Spieler:innen hält. Doch gibt es einige Szenarien, in denen das Release-Datum wichtiger ist als die Qualität.
Unternehmen wie CD Projekt Red oder Take Two, zu dem Rockstar Games gehört, sind börsennotiert. Börsennotierte Unternehmen sind abhängig von den Anleger:innen. Und denen ist neben hohen Umsätzen wichtig, dass diese Umsätze auch im kommenden Quartal oder Geschäftsjahr hoch bleiben. Release-Daten sind daher nicht nur für Spieler:innen wichtig. Sie sind es vor allem für die Anleger:innen. Die wollen wissen, welche Spiele wann erscheinen – wann also der größte Umsatz gemacht wird. Ihr habt sicherlich schon mitbekommen, dass der Kurs eines Gaming-Unternehmens oft dann runtergeht, wenn ein Spiel verschoben wird. Genau das möchte die Geschäftsleitung verhindern.
Sowohl „Cyberpunk 2077“ als auch „GTA: The Trilogy“ sind im jeweiligen Weihnachtsgeschäft erschienen. Beide Spiele sind mit vielen Fehlern auf den Markt gekommen. In beiden Fällen dürfte es die Geschäftsleistung gewesen sein, die entschieden hat, dass diese Fehler hingenommen werden müssen. Nicht die Entwickler:innen, nicht QA. Freilich kann bezweifelt werden, dass den Menschen in leitenden Positionen immer bewusst war, wie fehlerhaft das jeweilige Spiel war. Aber schlussendlich sind sie es, die entscheiden, dass ein Spiel trotz sichtbarer Mängel veröffentlicht wird. In dem Wissen, dass zukünftige Patches diese Probleme ausräumen können – während das Spiel aber schon auf dem Markt ist und Umsatz macht.
Und nun?
Die Suche nach der Schuld ist also komplex. Sie mag an die Spitze von Unternehmen führen – aber auch da sitzen Menschen, die sich dem Druck des Marktes beugen. Das Signal muss also sein, dass es sich nicht lohnt, komplett verbuggte Spiele zu veröffentlichen. Dass die Qualität eines Games wichtiger ist als sein Release-Datum.
Das merken diese Unternehmen, merkt die Unternehmungsführung dann, wenn der Umsatz ausbleibt. „Cyberpunk 2077“ mag das Spiel gewesen sein, auf das ihr euch jahrelang gefreut habt, Rockstar Games das Studio, dem ihr stets vertraut. Schlussendlich können hoher Entwicklungsdruck, geringes Budget oder andere Umstände aber immer dafür sorgen, dass ein qualitativ unzureichendes Produkt auf den Markt kommt.
Eine gesunde Skepsis ist daher angebracht. Die Vorbestellung nicht zu tätigen, nicht der „fear of missing out“ nachgeben und eine Special Edition schon lange vor der Veröffentlichung kaufen. Stattdessen erste Tests und Spieler:innenberichte abzuwarten, zu beobachten, ob sich ein Spiel wirklich lohnt – das kann dauerhaft zu einem veränderten Fokus in der Veröffentlichung von Blockbuster-Games führen. Kein produktiver Weg ist es aber, die Schuld bei Entwickler:innen zu suchen und sie in den Sozialen Medien zu diffamieren. Denn kaum jemanden von ihnen dürfte es freuen, dass ihr Spiel mangelhaft auf den Markt gebracht wurde.
freilich
Man darf – und muss – ganz klar viele der Pannen beim Management suchen. Aktienkurs, Weihnachtsgeschäft, Jahresboni – vieles hängt da am Veröffentlichungsdatum eines Titels. Das steht ganz außer Frage und wird im Artikel auch schön dargestellt.
Aber die Entwickler deswegen komplett rausnehmen aus der Verantwortung? Das ist auch der falsche Ansatz. Ich entwickle seit 25 Jahren Software und war auch einige Zeit davon im Gamedevelopment tätig. Irgendwann – Wochen bis wenige Monate vor dem Release – wird dann ein Build gezogen und als Master/Goldmaster verwendet. Als die Verteilung noch per Diskette/CD/DVD lief, musste dieser Master einen recht ordentlichen Stand haben, da das Nachschieben von Updates irgendwo in der Spanne zwischen teuer und unmöglich war.
Heute sieht die Welt anders aus. Zwischen Goldmaster und Releasetermin liegen noch einige Wochen und man hat die Chance (da das ganze Spiel / Softwarepaket ja per Download kommt), noch ein Day-0 Patch nachzuschieben. Also wird ein paar Wochen gecrunched und dann wird alles gut. Theoretisch. Oftmals kommt hier nämlich auch die Selbstüberschätzung der Entwickler mit zum Tragen (Bugfixes dauern halt leider oftmals länger als initial neuen Code zu schreiben) und als Entwickler „will“ man ja auch, dass das Produkt richtig gut wird. Der Day-0 nähert sich, die Crunches werden intensiver, die 10-Stunden-Regeln werden schon lange gerissen (und mal ehrlich, wer kann nach 6-8 Stunden überhaupt noch klar denken bzw. produktiv arbeiten!) und so wird halt nur noch viel verschlimmbessert.
Klar, das Management müsste eigentlich wissen, dass auch die Beteuerungen der Entwickler („wir kriegen das hin“) unrealistisch und nichts wert sind. Aber wollen wir nicht alle das hören, was uns in einer Stresssituation – und ein paar Tage vor Day-0 ist das einfach eine Stresssituation – gerade gelegen kommt?
Mein Fazit: ja, das Management hat es – wider besserem Wissen – vergeigt. Die Entwickler sind aber auch nicht ganz unschuldig an solchen Schlamasseln.