Beziehungsprobleme? Diese App will Singles und Paaren helfen
„70 Prozent der Beziehungen überstehen das erste Jahr nicht“, sagt Katharina Wäschenbach, Gründerin und CEO des Startups Dearest im Video-Call. Das will sie ändern – und hat dazu zusammen mit Co-Gründer und COO Lukas Weisheit eine App entwickelt, die Menschen durch Aufklärung, Reflektion und Coaching beibringen will, bessere Beziehungen zu führen. Dabei spricht Dearest nicht mehr von Paartherapie, sondern von einer „Relationship Wellness“-Lösung.
Der Begriff Paartherapie ist laut den Gründer:innen mit vielen Stigmata verbunden, denken doch viele direkt an Ehepaare, die über 20 Jahre verheiratet sind und kaum noch miteinander sprechen können, ohne zu streiten. „Für die meisten ist es schon komisch, Paartherapie zu googlen“, sagt Wäschenbach. Hinzu kämen lange Wartezeiten und hohe Kosten mit rund 250 Euro pro Session, die aktuell den Zugang zur Paartherapie erschweren. Mit ihrem digitalen Angebot von Content und Coaching will Dearest diese Barrieren einreißen und Paartherapie allen zugänglich machen.
Gründerin ist selbst Paartherapeutin
Wäschenbach selbst kam bereits mit Mitte 20 mit dem Thema in Berührung, als sie mit ihrem damaligen Partner eine schwierige Phase hatte. Trotz Paartherapie hielt die Beziehung nicht, aber die Begeisterung für das Thema blieb. Inzwischen ist Wäschenbach, die einen Background in Marketing und PR hat, selbst ausgebildete Paartherapeutin. „Das Thema hat mich nie losgelassen“, sagt sie. Ihr Co-Gründer Lukas Weisheit kommt aus dem Startup-Umfeld.
Auch Lukas Weisheit hat einen persönlichen Zugang zu dem Thema. „Ich habe mir immer jemanden gewünscht, mit dem ich sprechen kann“, sagt er rückblickend über eine persönliche Krise. „Und zwar nicht aus einem Beziehungsthema heraus, sondern zur Trennungsbewältigung und aus Einsamkeit“.
Als sich die Gründer:innen Ende 2020 – Mitten in der Corona-Pandemie – kennenlernten, suchten beide gerade nach einer neuen Herausforderung. Zudem sahen sie eine Lücke im Markt: Viele in ihrem Umfeld fühlten sich einsam oder waren zunehmend unglücklich in ihren Partnerschaften, meist ohne zu wissen, wohin mit ihren Sorgen.
„Bei Beziehungsproblemen kann man als Freund nur begrenzt helfen.“ – Lukas Weisheit.
„Irgendwann gibt es einen Punkt, an dem es Sinn macht, sich professionelle Hilfe zu suchen“, sagt Weisheit. Bislang würden jedoch die wenigsten ernsthaft ein Beziehungscoaching in Erwägung ziehen, schon gar nicht als Single.
Dabei sollte Wäschenbach zufolge die Beziehungsarbeit bereits anfangen, bevor es Probleme gibt. Sie sagt: „Früher oder später gibt es in jeder Beziehung die ersten Probleme und Herausforderungen. Je früher das Paar beginnt, sich damit auseinanderzusetzen, desto stärker kann die Basis für eine gesunde Beziehung werden, an der beide wachsen können“.
Singles sind Verliebte in spe
Die im Oktober 2021 gelaunchte Dearest-App richtet sich auch und vor allem an Einzelpersonen und Singles im Alter von Mitte 20 bis Mitte 30. Singles seien schließlich „Verliebte in spe“, wie Matthias Brandt von Statista in einer neuen Studie zum Valentinstag schreibt. Seinen Zahlen zufolge sind 28 Prozent der Deutschen derzeit Single.
„Der Bedarf ist da. Viele wollen einfach mal mit jemandem über ihre Beziehungserfahrungen sprechen“, sagt Wäschenbach. Und ergänzt: „Um eine bessere Beziehungsgesundheit zu haben, geht es in erster Linie um dich. Das machst du im besten Fall niederschwellig, präventiv und nicht erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.“
Sag mir wie du dich fühlst
Ein großer Teil des Serviceangebots von Dearest ist es, Klient:innen dabei zu helfen, ihre Gefühle besser zu verstehen und zu artikulieren. „Viele haben das zu Hause nicht gelernt, sie haben keine Worte für ihre Gefühle fernab von ‚mir geht es nicht gut‘. Hier wollen wir unseren Klient:innen Tools und Inhalte mit an die Hand geben“. Zum Beispiel mit einem „Emotional Wheel“, bei dem man Adjektive vorgegeben bekommt, um sich besser auszudrücken.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Das Angebot von Dearest umfasst gratis Lernreisen, aber auch weiterführenden Content hinter einer Paywall – ein Freemium-Modell also. „Wir wollen ein tägliches Produkt werden, das Menschen dabei hilft, neue Routinen zu entwickeln“, sagt Wäschenbach. „Das können Reflektionsaufgaben sein am Abend oder Meditationen am Morgen.“
Zudem kann man über die App Coaching-Sessions mit einer oder einem der insgesamt sieben Therapeut:innen buchen. 99 Euro kostet eine solche Session, das Erstgespräch ist gratis. Derzeit sprechen vor allem Frauen auf das Angebot von Dearest an: Der Frauenanteil der laut Dearest inzwischen vierstelligen Zahl an Nutzer:innen liegt bei 70 Prozent.
Online-Dating als Problem
Es scheint ein Paradoxon zu sein: Auf der einen Seite boomen Dating-Apps wie Bumble oder Tinder seit Jahren – Trend: steigend. Auf der anderen Seite fühlen sich viele Menschen einsamer denn je, verstärkt durch die Corona-Pandemie.
Wäschenbach zufolge ist das Onlinedating selbst ein Problem, denn dadurch sei der Umgang mit Beziehungen schneller und oberflächlicher geworden. Zudem sei die heutige Generation der Millennials und Gen Z deutlich mobiler als ihre Eltern, was ebenfalls zu mehr Unverbindlichkeit und Unsicherheit beitrage. Durch schlechte Erfahrungen entstünde schnell ein Teufelskreis. „Wir sehen, dass es immer mehr ängstliche Bindungsverhalten gibt, die auch dazu beitragen können, dass Beziehungen nicht mehr so lange halten“, sagt Wäschenbach.
Doch Dearest will nicht nur romantische Beziehungen besser machen. „Die Pandemie hat gezeigt, dass es so viele Themen in Beziehungen generell gibt, wo Austausch und Hilfe gefragt ist“, sagt Weisheit. Das beträfe nicht nur Liebesbeziehungen, sondern auch Freundschaften, Eltern-Kind-Beziehungen oder Arbeitsbeziehungen.
Neue Fundingrunde läuft
Um Dearest auf den Markt zu bringen, konnten die Gründer:innen Anfang 2021 im Rahmen einer Pre-Seed-Runde bereits eine mittlere sechsstellige Summe einsammeln. Zu den Investor:innen der ersten Runde gehörten unter anderem der Personio-Co-Gründer Ignaz Forstmeier sowie Kristina Walcker-Mayer, die Geschäftsführerin des Krypto-Startups Nuri. Aktuell beschäftigt Dearest rund zehn Mitarbeiter:innen. Dieses Jahr will Dearest eine neue siebenstellige Fundingrunde abschließen, um weiter zu wachsen und das Produkt zu optimieren. Man kann schließlich immer an sich arbeiten.