DM-Chef will Karenztage: „Alles hat seinen Preis“ – warum das gefährlich ist

Für Leistungsverweigerer hat die deutsche Sprache unzählige blumige und auch böse Bezeichnungen: Sie sind Drückeberger, Taugenichtse, Faulpelze, Müßiggänger, Gammler oder Dünnbrettbohrer. Besonders herabwürdigend ist der Begriff des Schmarotzers. Kaum etwas bringt Spitzenkräfte in diesem Land mehr auf die sprichwörtliche Palme als Menschen, die nicht wie sie jeden Tag hart arbeiten. Dass dazu schon diejenigen zählen, die sich nicht auch krank zur Arbeit schleppen, zeigt, wie hart hierzulande in einigen Kreisen geurteilt wird.
Und so kommt es, dass auch der sogenannte Blaumacher dieser Tage wieder häufig umher geistert. Zuletzt hat DM-Chef Christoph Werner geunkt: „Wenn ich sage, die Folgen deiner Entscheidungen musst du selbst nicht tragen, dann ist es nicht verwunderlich, dass die Krankenstände in Deutschland höher sind.“ Werner zielt mit dieser Aussage auf die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ab, die Menschen schon ab dem ersten krankheitsbedingten Ausfalltag erhalten. Sie lade ein zum sogenannten Blaumachen.
Karenztag-Debatte zeichnet unterschiedliches Bild
Nicht nur DM-Chef Christoph Werner, sondern zuletzt auch Allianz-Vorstand Oliver Bäte oder die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer fordern deshalb den Karenztag zurück. Die Idee: Wenn der erste Krankentag weniger oder gar nicht bezahlt wird, gehen die Krankenstände herunter. Dafür gibt es auch historische Belege: Als die CDU-Regierung unter Helmut Kohl 1996 solch eine Gehaltssenkung auf achtzig Prozent beschloss, gingen die Fehlzeiten zurück. Und dennoch hat SPD-Kanzler Gerhard Schröder diese Regelung nach dem Regierungswechsel wieder kassiert.
Dass es Menschen gibt, die vom Krankfeiern nicht zurückschrecken, liegt wohl auf der Hand: Wer kennt nicht mindestens eine Person, die sich aufgrund akuter Unlust beim Arbeitgeber abgemeldet hat, weil die Aussicht auf bessere Stimmung zu Hause überwog. Und dennoch, so erklären es Kassen und Ärzteverbände, ist der vermeintlich hohe Krankenstand womöglich weniger auf Leistungsverweigerer zurückzuführen, als es Werner, Bäte oder Schnitzer lieb ist. Mit der Einführung der eAU 2022 sei schlicht die Datenlage klarer und die Dunkelziffer gesunken.
Zudem sind es hauptsächlich längere Erkrankungen, die für den Großteil der Fehltage verantwortlich sind, wie eine Auswertung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK zeigt. Demnach endeten 70,8 Prozent der Krankschreibungen des Jahres 2024 nach spätestens einer Woche. Trotz der Häufigkeit machten diese kurzen Krankmeldungen nur 23,2 Prozent aller Fehlzeiten aus. Im Gegensatz dazu verursachten die 3,3 Prozent der Krankmeldungen, die länger als sechs Wochen dauerten, immerhin satte 39,9 Prozent der gesamten Fehlzeiten.
Karenztag setzt alle unter Generalverdacht
Freilich sagen auch diese Zahlen nichts darüber aus, wie häufig Blaumacher wirklich zuschlagen, jedoch wird das auch immer im Verborgenen bleiben. Konkrete Zahlen dazu gibt es nicht und wird es naturgemäß nicht geben, da kein Übeltäter seine Übeltat verrät. Insofern bewegen wir uns im Mutmaßlichen, im Vagen, im Spekulativen – und damit müssen wir uns eingestehen, dass wir, was abschließende Urteile angeht, nicht im Zweifel gegen den Angeklagten plädieren sollten. Und das im Falle des Karenztags auch noch mit Repressalien.
Letztlich trifft es die finanziell Schwachen der Gesellschaft, die sich krank zur Arbeit schleppen werden, weil sie auf keinen einzigen Euro ihres ohnehin schon geringen Einkommens verzichten können. Das Abschreckungspotenzial dürfte für die normal verdienende Mitte wohl eher niedrig sein. Auch betroffen sind Menschen mit wiederkehrenden Beschwerden wie Migräne oder Menstruationsschmerzen, die nicht nur körperlich und psychisch leiden, sondern dann schlussendlich auch noch finanziell, für ihre unverschuldete Situation bestraft werden.