Hightech im Wald: Der Arbeitsalltag eines Digitalförsters
Als Martin Roth in den 1980er Jahren seine Laufbahn als Förster begann, bestand seine Aufgabe darin, den Wald so zu pflegen, dass sein Fortbestand für Jahrzehnte, ja sogar Jahrhunderte gesichert war. Heute, angesichts des Klimawandels, geht es eher um die Planung für eine ungewisse Zukunft. „Es ist zu einem Katastrophenmanagement geworden“, sagt Roth, für den die 3.000 Hektar Wald am nordöstlichen Ufer des Bodensees in Deutschland auch als Testgelände für Hightech-Lösungen dienen, was ihm in der deutschen Forstwelt den Beinamen ‚Digitalförster‘ eingebracht hat.
In unserer Online-Serie stellen wir über die kommenden fünf Wochen immer montags einen Beruf vor, der Zukunftspotenzial hat und den es mit den jeweiligen Aufgaben so bisher nicht gab. Den Anfang macht heute der „Digitalförster“.
Schnelligkeit und Effizienz: Nach einem katastrophalen Sturm beginnt die Uhr zu ticken: Die geschädigten Bäume müssen entfernt werden, bevor die Borkenkäfer kommen, die in toten Bäumen brüten und ganze Wälder verwüsten können. Während Roth früher zweieinhalb Stunden brauchte, um einen Hektar Wald zu Fuß zu erkunden, kann er jetzt mit Drohnen die gesamte Fläche von 3.000 Hektar in wenigen Tagen vermessen, sodass er geschädigte Bäume schnell ausfindig machen, die Eigentümer der betroffenen Grundstücke identifizieren und informieren und Informationen an die Arbeiter vor Ort weiterleiten kann.
Den Wald digitalisieren und die Maschinen vernetzen
Der Waldboden braucht Jahrzehnte, um sich zu erholen, nachdem er von schweren Holzerntemaschinen verdichtet wurde. Aus diesem Grund hat Roth alle Abholzungswege digital kartiert und Baumerntemaschinen mit hochpräzisen Satellitenantennen ausgestattet, damit die Maschinen jahrzehntelang exakt derselben Route folgen und sie im Chaos nach einem Sturm leicht wiederfinden können. Die GPS-Daten werden verwendet, um aufzuzeichnen, wie viel Holz an welchem Ort entnommen wurde – eine entscheidende Verbesserung in einem Wald mit vielen Besitzern.
Da er den Großteil seiner Arbeit jetzt auf einem Mobilgerät erledigen kann, verbringt Roth mehr Zeit im Freien: „Ich mache die digitalen Schritte draußen vor Ort, vor dem Hintergrund der Realität.“
Präzisere Angaben zum Holzertrag durch KI
Sein jüngstes Projekt ist die Kombination von Aufnahmen mit am Körper getragenen Kameras und KI. „[Normalerweise] markiert man die Bäume, sie werden gefällt, und man hat keine Ahnung, wie viel Holz man am Ende haben wird – wie viele Kubikmeter, welche Qualität, welche Baumarten“, erklärt er. Jetzt erkennt die KI, die durch seine Körperkamera „schaut“, automatisch die von ihm markierten Baumarten und schätzt die Menge des daraus gewonnenen Holzes, wobei sie die Informationen in Echtzeit an sein Smartphone sendet.
Rund die Hälfte der europäischen Baumarten sind für steigende Temperaturen und längere Dürreperioden ungeeignet. Deshalb hat Roth begonnen, mit neuen Arten zu experimentieren, sie in kleinen Mengen zu pflanzen und in seinem System zu verfolgen. Da sich ein Wald im Wandel befindet, gibt es Dutzende von Gebieten, die zu unterschiedlichen Zeiten bearbeitet werden müssen. Dazu kommt: Es gibt nicht genug Mitarbeiter:innen, um den Überblick zu behalten. „Entweder weiß ich es, oder der Computer weiß es, oder niemand weiß es und es ist verloren“, sagt Roth.
Die Expertise, die Roth in Sachen moderner Forstwirtschaft mithilfe von Technologie angesammelt hat, wird immer gefragter: Kolleg:innen holen seinen Rat ein und er hält Vorlesungen über Digitalisierung in der Forstwirtschaft an der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg. Er warnt jedoch davor, dass Technologie niemals einen Waldspaziergang ersetzen kann: „Ich sollte nie glauben, dass der digitale Zwilling Realität ist. Ich muss immer einen Realitätscheck durchführen.“