Data-Driven Design bedeutet, Design-Entscheidungen basierend auf sowohl nach qualitativen als auch quantitativen Methoden gesammelten Daten zum Beispiel über die Interaktion von Nutzern mit einem Produkt zu treffen. Tools für das Sammeln von Daten sind zum Beispiel A/B-Tests, Seitennutzungsdaten und Analytics, Support Logs oder Consumer Research. Produkte werden den Bedürfnissen, Zielen und Präferenzen ihrer Nutzer entsprechend gestaltet, und Designer haben maßgeblichen Anteil am Produkterfolg. Neben sehr objektiven Datensätzen, die mithilfe quantitativer Methoden gewonnen werden, geben qualitative Datensätze Aufschluss über Verhalten, Gefühle und persönliche Eindrücke der Nutzer.
Und was macht der Designer dann noch?
Als es Tools und Messinstrumente noch nicht in der heutigen Fülle gab, war es die Aufgabe von Designern, nach subjektivem Empfinden zu entscheiden, wie ein Produkt gestaltet werden sollte. Ob ihr Design wirklich so gut war, wusste man oft erst, nachdem das Produkt auf dem Markt war. Der Wert eines Designers wurde nach seinem gestalterischen Gespür und künstlerischen Talent bemessen – Erfolg hatte, wer verlässlich erfolgreiche Designs entwarf. Wenn heute gestalterische Entscheidungen auf der Basis von Daten getroffen werden, gibt es dann noch einen Platz für so etwas wie Gespür für gutes Design und gestalterisches Talent?
Designvermögen ist allerdings mehr als kreatives Können und Ratespiele, sondern basiert vor allem auf dem Erfahrungsschatz eines Designers. Dazu gehört zum Beispiel, wie erfahren er oder sie im Umgang mit Industriestandards und Best Practices ist. Entwickeln kann sich dieses Gefühl für gutes Design nur durch Ausprobieren, durch Trial-and-Error. Ein Sinn für gutes Design beinhaltet das Erkennen möglicher Schwierigkeiten genauso wie das frühzeitige Identifizieren möglicher Lösungen ohne zahllose vorangehende Tests und Erkundungen, Inkonsistenzen auf einen Blick zu sehen und einen gewissen Sinn für Ästhetik. Oder, wie Benek Lisefski es in seinem Artikel auf medium.com formuliert: „[…] the sum of all the tools you need to make great design decisions in the absence of meaningful data.“
Daten sind nicht alles
Trotz datenbasierter Designentscheidungen sollte ein Bewusstsein dafür, dass es nie allein um Klicks und Conversions geht, nicht verloren gehen. Durch die Änderung eines bestimmten Designs auf einer Website erhöht ihr vielleicht die Click-Through-Rate um 3 Prozent – verringert aber die Brand-Credibility des Auftraggebers, weil der neue Button einfach total lächerlich aussieht. Es geht nicht nur darum, einen catchy Button zu designen, den die User eher klicken als andere – eine einfach messbare Metrik –, sondern auch darum, ihn so zu gestalten, dass er zur Marke passt. Noch wichtiger: so, dass er bei den Nutzern die richtigen Erwartungen darüber, was als nächstes passiert, weckt. Design soll Klicks herbeiführen. Und Qualität und bestenfalls Vertrautheit und Vertrauen in und mit einer Marke kommunizieren. Diese Ziele gibt es, sie sind aber im Gegensatz zu Conversions und Klicks schwieriger zu messen.
Genau deshalb ist es wichtig, dass Designern abseits von Daten genug Raum für Entscheidungen gelassen wird. Schon mal einen Flug mit einer Billig-Airline über deren Website gebucht? Die Website ist voll von Buttons und Popups, Dringlichkeitssignalen und Knappheitsindikatoren. Das stresst und macht es den Nutzern schwer, zu finden was sie suchen. Aber: Mit Sicherheit gibt es Datensätze, aus denen hervorgeht, dass jeder Trigger weitere Konversionen bringt, sonst würde es ihn nicht geben. Würde danach gefragt, ob Nutzer Gefallen an einem Produkt finden oder was eine auf hohe Klickraten abzielende Gestaltung für eine Markenbotschaft sendet, käme man schnell zu dem Ergebnis, dass die Website der Airline aus UX-Sicht einfach nicht gut ist. Mit einer Billigairline verbindet niemand in erster Linie Vertrauenswürdigkeit oder Qualität, sondern niedrige Preise. Wird die Marke während des Buchungsprozesses als ein bisschen cheesy wahrgenommen, ist das ein in Kauf zu nehmender Trade-Off – solange trotzdem mehr Flüge, Mietwagen, Hotels und Extras gebucht werden. Bei Marken, deren Geschäftsmodell es nicht ist, möglichst günstig zu sein, funktioniert das nicht. Markenauftritte sollen zum Beispiel Qualität und Vertrauenswürdigkeit vermitteln, oder Exklusivität und Klasse.
Same same – but different
Interface-Design ist mittlerweile ein Einheitsbrei aus Designs, von denen bekannt ist, dass sie funktionieren. Warum solltet ihr auch das Rad neu erfinden, wenn es bereits Räder für fast jeden erdenklichen Use-Case gibt? Auftraggeber räumen Designern aus demselben Grund oft kein Budget für ausführliches Prototyping und Testing kreativer Lösungen ein. In der Konsequenz greifen die immer wieder auf die gleichen erprobten, aber auch wenig innovativen Lösungen zurück. Das führt immer mehr zu dem allgemeinen Eindruck, dass wer nach einem festgelegten Workflow arbeiten kann, auch die Funktion des Designers im Team ausfüllen kann. Die Folge: Ohne das Geschick und die Erfahrung eines professionellen Designers werden Interfaces mit der Zeit noch gleicher. Und langweiliger. Werden Entscheidungen nur noch auf Daten gestützt, traut sich keiner mehr an Experimente, das Risiko, Zeit mit Versuchen zu verschwenden, die am Ende vielleicht doch nicht funktioniert, ist angesichts der Datenlage, die bereits gangbare Lösungen aufzeigt, zu groß.
Die Qualität eurer Daten ist nur so gut wie die Qualität der Fragen dahinter
Was Studierende an Hochschulen in Grundlagenseminaren zu Empirischer Forschung lernen, gilt natürlich auch für Datenerhebungen zu Designfragen. Werden der falschen Zielgruppe die falschen Fragen zum falschen Zeitpunkt gestellt, kann das die Rückschlüsse, die aus einer Erhebung gezogen werden, drastisch verzerren. Daten sind eine Informationsquelle von (bestenfalls) mehreren, die nur so valide ist wie die Methoden ihrer Erhebung.
Data vs. Designempfinden
Wann sollten Designer sich auf ihr Gespür verlassen, wann Informationen nutzen, die sich aus Tests und Befragungen ergeben? Ihr müsst zwischen mehreren möglichen Designoptionen entscheiden? Nutzt A/B-Tests, vergleicht potentielle Lösungen und evaluiert, welche am besten performt. Bezieht dabei neben Views und Klicks auch Langzeitmetriken ein. Geht es um ästhetische und qualitative Entscheidungen: Verlasst euch auf euren Erfahrungsschatz als Designer. Die Gesamtheit der Faktoren, die Design und Qualität ausmachen, setzt sich aus vielen subtilen, zum Teil unterbewussten Entscheidungen zusammen, die sich in vielen Fällen kaum mithilfe von Test oder Befragungen erheben lassen. Als Designer verfügt ihr über die Expertise, ästhetische Entscheidungen fundiert nach eurem subjektiven Empfinden treffen zu können.
Ihr seid euch nicht sicher, wie die Nutzer mit eurem Produkt interagieren? Daten aus Nutzertests verraten es euch. Dabei sind Tests Nutzerbefragungen als Instrument zur Datenerhebung unbedingt vorzuziehen. Menschen sind soziale Wesen und neigen unbewusst oder bewusst dazu, mit ihren Antworten einer antizipierten Erwartungshaltung entsprechen zu wollen.
Reputation und Markenbildung? Zwei wichtige Punkte, die in euren Designentscheidungen keinesfalls außen vor bleiben sollten. Beides ist ad hoc schwierig in Datensätze zu fassen und deshalb unter Langzeitziel zu verbuchen. Klick- und Conversion-Raten auf der einen Seite, Markenbindung und Reputation auf der anderen, sind Ziele, die sich oft widersprechen, an dieser Stelle lohnt es sich aber, sehr genau abzuwägen. Die richtige Balance zwischen beiden Polen für eine Marke findet ihr nur durch Trial-and-Error heraus. Und indem ihr euch auf euer Gespür für gutes Design verlasst.
Übrigens: Eine nützliche Ressource, um eure Designs trotz Klickraten und verwandter Ziele nutzerfreundlich zu gestalten, ist dieses Worksheet.
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Super Artikel der voll ins Schwarze trifft vielen Dank! Hatte auch das Gefühl dass viele Apps und Webseiten immer ähnlicher und auch langweiliger werden von dem her ist es sehr bestärkend so einen Artikel zu lesen!
Thematisch absolut korrekt und uneingeschränkt nachvollziehbar und – vor allem – nachfühlbar. Erschreckenderweise aber sieht es ‚in der Realität‘ mittlerweile anders aus. Und das bekommt man als Designer ungebremst zu spüren, wenn man nicht für die handvoll Klienten arbeitet, die sich ihrer Außenwirkung/Reputation bewusst sind. Die Frage ist: Wie entwickelt sich das in (naher) Zukunft weiter? In heutigen Zeiten, in denen so viele Themenbereiche überschneiden und teils ungewollt miteinander kollidieren… ist die Gewinnmaximierung leider meist das einzige, was noch ausschlaggebend interessiert – weil sie von den Entscheidern verstanden wird.
Nun hege ich keine Allüren, hier zwingend Schwarz zu malen. Doch der Beruf des Designers wird in absehbarer Zeit eine noch einschneidendere Schrumpfung erfahren, als man das im Moment vielleicht noch ab- bzw. einzuschätzen vermag. Sicher, spezialisierte Aufgabenbereiche werden hier noch ein wenig länger überleben oder gar wachsen können. An sich aber sind wir einfach an der Schwelle einer neuen Zeit, in der noch ganz andere Bereiche – auch die des ‚klassischen‘ Designs – starke Wandlungen erfahren werden. Wandlungen, die durch die Komplexität der Systeme, in der wir leben, definiert werden.
So lange aber gilt natürlich: Einfach sein Bestes geben. Und dabei mit Leidenschaft agieren.