Diese Gründerinnen brechen Tabus – und treten vor die Vereinten Nationen

Es war ein medialer Aufreger: Die neue Kampagne von The Female Company „One Girl One Cup“ erntete auf Social Media einen riesigen Shitstorm, bei Betroffenen sind Tränen geflossen. Die Gründerinnen des Femcare-Startups haben mit einem Skandal gerechnet – doch der kam anders als erwartet.
Das Startup von Sinja Stadelmaier und Ann-Sophie Claus stellt Periodenprodukte her, nachhaltig, biologisch und mit einer starken Mission: Die Menstruation aus der Schmuddelecke herauszuholen. Kürzlich haben sie ihr neues Produkt, eine Menstruationstasse, gelauncht. Um diese zu bewerben, haben sie eine Kampagne der etwas anderen Art gestartet. Sie haben explizite Tutorials zum Benutzen der Menstruationstasse auf der Porno-Website Pornhub veröffentlicht. Die Begründung: Auf Social Media wäre das Tutorial als unangebrachter Inhalt gebannt worden.
Plagiatsvorwürfe statt Porno-Kritik
Ann-Sophie Claus schüttelt lachend den Kopf, als sie zwei Wochen nach dem Launch auf die Kampagne angesprochen wird. „Wir haben ja mit einem Shitstorm gerechnet, aber doch nicht so“, sagt sie. Kritik an Pornhub hätte das Team von The Female Company erwartet, sagt Claus. Mit Plagiatsvorwürfen, die die Debatte um den Medien-Coup tatsächlich bestimmten, rechneten sie dagegen nicht.
Konzipiert wurde die Kampagne zu der Menstruationstasse mit dem Titel „One Girl One Cup“ von der Werbeagentur Scholz & Friends. Schon in vorigen Kampagnen haben Scholz & Friends mit The Female Company zusammengearbeitet. Einen Tag nach dem Launch kam der Schock: Eine Frau aus der Kreativbranche veröffentlichte auf Instagram einen Beitrag, in dem sie die Idee zu „One Girl One Cup“ für sich beanspruchte – dafür allerdings weder entlohnt noch als Ideengeberin genannt wurde.

Die Kampagne „One Girl One Cup“ von The Female Company sorgt für Aufsehen. Allerdings anders, als erwartet. (Foto: The Female Company)
Die Vorwürfe erwiesen sich als falsch
Die Plagiatsvorwürfe verbreiteten sich schnell. Innerhalb weniger Stunden wurde das Instagram-Posting mehrere tausend Mal geliket und geteilt. Kreative sprachen von Ausbeutung, einer Frechheit, einer unhaltbaren Situation. Auf Nachfrage bei Scholz & Friends und The Female Company zeichnete sich allerdings schnell ein anderes Bild: Tatsächlich hatten sich zwei Frauen mit einer nahezu identischen Idee bei der Agentur um einen Job beworben. Es handelte sich um eine kreative Doppelschöpfung. Die Plagiatsvorwürfe erwiesen sich als falsch.
Trotzdem hat der Streit um die Kampagne Spuren bei Ann-Sophie Claus hinterlassen. „Natürlich ist das schade, dass unsere Kampagne dadurch so in Verruf geraten ist. Wir hoffen aber, dass wir die Situation für alle Beteiligten gut klären können.“
Doch wie kommt es überhaupt, dass eine Werbekampagne für Periodenprodukte so eine Reichweite auf Social Media entwickeln kann? Normalerweise findet Werbung zu Tampons, Binden und Co. schließlich kaum Beachtung. Wie hat es The Female Company geschafft, sich eine fast 70.000 Follower große Community bei Instagram aufzubauen, um über Monatshygiene zu sprechen?
In Indien gilt die Menstruation als „unrein“
Angefangen hat alles in Indien. Stadelmaier und Claus sind gute Freundinnen aus der Uni, nach dem Studium sind sie gemeinsam gereist. Und haben dabei Halt in Indien gemacht. Gemeinsam haben sie in gemeinnützigen Projekten gearbeitet, bei Familien vor Ort gelebt, die Kultur kennengelernt. Sie mussten mit Erschrecken feststellen: Kaum eine Frau in Indien hat Zugang zu Damenhygieneprodukten, die Periode ist ein riesiges Tabuthema. Während ihrer Periode werden Frauen in Indien isoliert, sie gelten als „unrein“, Mädchen können in dieser Zeit des Monats nicht in die Schule gehen.
Zurück in Deutschland stellen die beiden Frauen fest: Auch bei uns wird nicht gerne über die Regelblutung gesprochen. Tampons werden versteckt, Gespräche über die Periode finden im Grunde nicht statt. „Wieso nur?“, fragen sich Claus und Stadelmaier. Hat doch die Hälfte der Bevölkerung einmal im Monat mehrere Tage mit der Periode zu tun.
Claus sitzt im Berliner Büro von The Female Company, als sie über die Anfänge des Startups spricht. Sie trägt ein fliederfarbenes Kleid, strahlt, lacht. Dass sie jeden Tag mehr als zwölf Stunden arbeitet, sieht man ihr nicht an. In jedem Raum findet man die Produkte von The Female Company auf den Tischen, rosafarbene Pappkistchen mit roten Designelementen. Sie wirken fast wie Dekoration.
Erschreckend: Die meisten Tampons sind voller Chemie
„Wenn man anfängt, sich Fragen über die Menstruation zu stellen, macht man schnell erschreckende Erkenntnisse“, sagt Claus. „Junge Mädchen bekommen Periodenprodukte von ihren Müttern, wenige große Anbieter beherrschen den Markt. Und meist bleiben Frauen bei den immer gleichen Produkten, ohne zu hinterfragen, was sie da eigentlich nutzen.“
Die beiden Gründerinnen hinter The Female Company haben festgestellt: Die meisten Produkte, Tampons und Damenbinden sind voll von Chemikalien. Und die müssen auf der Packung nicht einmal ausgewiesen werden. Außerdem werden Periodenprodukte mit der Luxussteuer von 19 Prozent besteuert. Kaviar, Trüffel und Schnittblumen werden dagegen nur mit sieben Prozent besteuert. Missstände, die Claus und Stadelmaier unbedingt ändern wollten.
Die Mehrwertsteuer wurde gesenkt – dank dem „Tampon Book“
Missstände, die Claus und Stadelmaier tatsächlich geändert haben. Sie haben Hygieneprodukte frei von Chemikalien und Pestiziden aus reiner Bio-Baumwolle entwickelt, ohne Plastikverpackung und unter hohen sozialen Standards hergestellt. Mit ihrer populären Kampagne „The Tampon Book“ aus dem Jahr 2019 haben sie maßgeblich dazu beigetragen, dass die Mehrwertsteuer für Periodenprodukte zum 1. Januar 2020 tatsächlich auf sieben Prozent gesenkt wurde.

Mit dem „Tampon Book“ haben sich Claus und Stadelmaier für eine Mehrwertsteuersenkung eingesetzt. Mit Erfolg! (Foto: The Female Company)
Das klingt nach einer beispiellosen Erfolgsstory. Engagement und Unternehmertum gehen bei The Female Company Hand in Hand. Im Gespräch mit Claus wird aber schnell klar: Für den Erfolg musste das Team hart arbeiten und einige Rückschläge einstecken, angefangen bei der Mammutaufgabe, Tampons und Damenbinden überhaupt erst mal nach neuen Standards produzieren zu lassen.
„Was viele nicht wissen: Es gibt nur eine Handvoll Produzenten, die Tampons überhaupt herstellen“, sagt Claus. „Mit denen ins Gespräch zu kommen, war wirklich schwer. Und dann wollten wir auch noch alles anders machen. Die haben uns am Anfang überhaupt nicht ernst genommen.“ Bis sie ein marktreifes Produkt vorweisen konnten, verging also eine ganze Weile, eine Zeit harter Verhandlungen.
Die beiden Gründerinnen hatten auch Krisen
Doch nicht nur die Produktentwicklung gestaltete sich schwierig. Die beiden Freundinnen mussten – wie so viele Gründerinnen und Gründer – feststellen: Bloß weil man gut befreundet ist, heißt das noch lange nicht, dass man gemeinsam ein Unternehmen leiten kann. „Wir hatten nicht immer eine leichte Zeit“, erzählt Claus. „Natürlich gab es auch Unstimmigkeiten.“ Irgendwann seien die beiden Frauen sogar an den Punkt gekommen, sich zu fragen, ob sie nicht besser getrennte Wege gehen sollten, sagt Claus. Gemeinsam mit einem Coach mussten sie ihre Positionen im Unternehmen neu definieren, sich neu finden. „Jetzt sind wir stärker als zuvor.“
Mittlerweile haben Claus und Stadelmaier eine starke Brand, verkaufen in den großen Drogerieketten DM und Budni und erweitern ihre Produktpalette stetig. Noch in der zweiten Jahreshälfte 2020 sollen zwei neue Produkte auf den Markt kommen. Um was genau es sich dabei handelt, verrät Claus aber noch nicht. Sie sagt nur: „Wir heißen nicht umsonst The Female Company und nicht The Tampon Company. Wir möchten Frauen mehr als nur Menstruationsprodukte bieten.“
Mit „Pads for Girls“ versorgen sie Frauen in Indien
Die Pläne für ihre Company sind ambitioniert, wie alles angefangen hat, haben die beiden Gründerinnen aber nicht vergessen. Noch immer fühlen sich Claus und Stadelmaier Indien verbunden, noch immer wollen sie die katastrophalen Zustände für Menstruierende in Indien verbessern. Darum unterhalten sie das Projekt „Pads for Girls“: Mit jedem gekauften Produkt von The Female Company erhält eine Frau in Indien eine waschbare Stoffbinde, die aus Stoffresten hergestellt wird. Produziert werden die Stoffbinden in Mumbai von Frauen, die aus Prostitution und Menschenhandel befreit wurden. The Female Company ermöglicht ihnen einen fair bezahlten Job als Näherin.
Was das größte Highlight von Claus als Gründerin von The Female Company war? Mit ihrem Engagement, mit ihrer wichtigen Message, wurden die beiden Gründerinnen als politische Sprecherinnen zu den Vereinten Nationen eingeladen. Damit beweisen Claus und Stadelmaier: Wirtschaftlicher Erfolg und der Wunsch, die Welt nachhaltig zu verbessern, schließen sich nicht aus – sie bestärken einander.
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