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MIT Technology Review News

Dieser Rückenmarkstimulator gibt gelähmten Menschen eine bessere Kontrolle über ihre Hände

Die nicht-invasive Stimulation half den Betroffenen, Fähigkeiten ihres Oberkörpers wiederzuerlangen. Das von Onward Medical entwickelte Gerät könnte noch in diesem Jahr zugelassen werden.

Von MIT Technology Review Online
4 Min.
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Ein querschnittsgelähmter Proband platziert eine Kugel in einem Eimer. (Screenshot: Grégoire Courtine et al.)

Vor 14 Jahren stürzte die Journalistin Melanie Reid bei einem Sprung mit ihrem Pferd. Durch den Unfall blieb sie von der Brust abwärts weitgehend gelähmt. Schließlich erlangte sie die Kontrolle über ihre rechte Hand wieder, aber ihre linke blieb „nutzlos“, wie sie Reportern kürzlich auf einer Pressekonferenz erklärte.

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Inzwischen hat sie dank eines neuen nicht-invasiven Geräts, das das Rückenmark elektrisch stimuliert, auch die Kontrolle über ihre linke Hand wiedererlangt. Mit ihr kann sie ihr Haar zu einem Pferdeschwanz flechten, auf einem Tablet scrollen und sogar fest genug drücken, um das Schloss eines Sicherheitsgurts zu öffnen. Das mögen kleine Erfolge sein, aber sie sind entscheidend, sagt Reid. „Jeder denkt, dass man nach einer Wirbelsäulenverletzung einfach nur wieder laufen möchte. Aber wenn man Tetraplegiker ist, sind funktionierende Hände das Wichtigste“, sagt sie. Tetraplegiker sind Querschnittsgelähmte, bei denen alle vier Gliedmaßen betroffen sind.

Reid erhielt das ARCex genannte Gerät als Teil einer klinischen Studie mit 60 Teilnehmern. Alle hatten zwei Monate Physiotherapie, gefolgt von zwei Monaten Physiotherapie in Kombination mit Stimulation, absolviert. Die Ergebnisse, die heute in Nature Medicine veröffentlicht wurden, zeigen, dass die große Mehrheit der Teilnehmer von der Behandlung profitiert hat.

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Kraft und Funktion der Hände verbessert

Am Ende der viermonatigen Studie hatte sich bei 72 Prozent der Teilnehmer sowohl die Kraft als auch die Funktion ihrer Hände oder Arme teilweise verbessert, wenn der Stimulator ausgeschaltet war. 90 Prozent erlebten eine Verbesserung in mindestens einem dieser Bereiche. Darüber hinaus berichteten 87 Prozent über eine Verbesserung ihrer Lebensqualität.

Es ist nicht die erste Studie, in der untersucht wurde, ob die nicht-invasive Stimulation der Wirbelsäule gelähmten Menschen helfen kann, die Funktion ihres Oberkörpers wiederzuerlangen. Trotzdem ist sie wichtig, weil noch nie zuvor eine Studie in so vielen Rehabilitationszentren oder mit so vielen Probanden durchgeführt wurde, sagt Igor Lavrov, ein Neurowissenschaftler an der Mayo Clinic in Minnesota, der nicht an der Studie beteiligt war. Er weist jedoch darauf hin, dass die Therapie am besten bei jenen Teilnehmern zu funktionieren scheint, die sich unterhalb der Verletzungsstelle teilweise noch bewegen können.

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Die Studie war die letzte Hürde, bevor die Forscher, die hinter dem Gerät stehen, die behördliche Zulassung beantragen konnten, und sie hoffen, dass es bis Ende des Jahres in den USA zugelassen werden könnte.

ARCex besteht aus einem kleinen Stimulator, dessen Elektroden direkt unterhalb des Halses an der Wirbelsäule platziert werden – jenem Bereich, der für die Steuerung von Hand und Arm verantwortlich ist. Entwickelt wurde das Gerät von Onward Medical, das vom Neurowissenschaftler Grégoire Courtine von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne mitbegründet wurde. Er ist heute der Chief Scientific Officer des Unternehmens.

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Die Stimulation wird bei dem kleinen Prozentsatz von Menschen, die keine Verbindung zwischen dem Gehirn und der Wirbelsäule nach ihrer Verletzung mehr haben, nicht funktionieren. Aber bei Menschen, die noch eine Verbindung haben, scheint die Stimulation willkürliche Bewegungen zu erleichtern, indem sie die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Nerven ein Signal übertragen.

Tierstudien der letzten Jahrzehnte deuten darauf hin, dass die Stimulation die verbleibenden Nervenfasern aktiviert und im Laufe der Zeit das Wachstum neuer Nerven fördert. Deshalb blieben zumindest in den Tierstudien die Vorteile auch erhalten, nachdem der Stimulator ausgeschaltet wurde.

Keine Operation nötig

Der große Vorteil eines externen Stimulationssystems gegenüber einem Implantat besteht darin, dass kein chirurgischer Eingriff erforderlich ist, die Verwendung des Geräts also weniger aufwendig ist. „Es gibt viele, viele Menschen, die nicht an invasiven Technologien interessiert sind“, sagte Edelle Field-Fote, Leiterin der Forschungsabteilung für Rückenmarksverletzungen am Shepherd Center in Atlanta und Co-Autorin der Studie. Ein externes Gerät wird wahrscheinlich auch billiger sein als alle chirurgischen Optionen, obwohl das Unternehmen noch keinen Preis für ARCex festgelegt hat.

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„Wir haben es hier mit einem Gerät zu tun, das sich nahtlos in die Physio- und Beschäftigungstherapie integrieren lässt, die bereits in der Klinik angeboten wird“, sagte Erstautor Chet Moritz, Ingenieur und Neurowissenschaftler an der University of Washington in Seattle. Die Reha, die kurz nach der Verletzung stattfindet, ist entscheidend, denn dann ist die Chance auf Heilung am größten. „Wenn wir in der Lage sind, diese Funktion ohne eine Operation wiederherzustellen, könnte das für die meisten Menschen mit Rückenmarksverletzungen lebensverändernd sein“, fügte er hinzu.

Reid wünschte, sie hätte das Gerät schon bald nach ihrer Verletzung benutzen können, aber sie ist erstaunt, wie viele Funktionen sie nach all der Zeit wiedererlangt hat. „Nach 14 Jahren denkt man, na ja, ich bin da, wo ich bin, und daran wird sich nichts ändern“, sagt sie. Dass sie plötzlich wieder Kraft und Stärke in ihrer linken Hand hatte, „war außergewöhnlich“, sagt sie.

Onward entwickelt auch implantierbare Geräte, die stärkere, gezieltere Stimulationen abgeben können. Das Ziel dabei: Sie sollen auch bei Menschen mit vollständiger Lähmung wirksam sein. Das Unternehmen hofft, im nächsten Jahr einen Versuch mit diesen Geräten starten zu können.

Die Autorin des Textes ist Cassandra Willyard. Sie ist selbstständige Journalistin in den USA. Sie schreibt regelmäßig für die US-amerikanische Ausgabe von MIT Technology Review und deckt dort den Bereich Medizin ab.
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