Digital Leadership: Wie Unternehmen und neue Mitarbeiter sich mit Social Entrainment eingrooven können
Wenn dann die richtigen Kandidaten gefunden wurden und die Arbeitsverträge unterzeichnet sind, steht das Onboarding der Neuen an. Konrads Management-Kolumne gibt Tipps, wie neue Mitarbeiter mit Social Entrainment ihren Platz im Unternehmen finden können.
Unternehmen wollen den optimalen Kandidaten. Manager suchten dabei häufig nach neuen Mitarbeitern, die einer Vielzahl von Parametern und Anforderungen genügen. Außerdem sollen sich Kandidaten schnell an die Kultur anpassen und ins Unternehmen integrieren. Dabei werden die Unternehmenswerte gelehrt, der Neuankömmling schließt eine Bedarfslücke des Unternehmens. Nach diesem Verständnis bedeutet der Neubeginn, dass sich der Mitarbeiter als fehlendes Puzzle-Teil nahtlos in das neue Unternehmen einpassen lässt und tut, was von ihm erwartet wird. Der interne Rhythmus in Unternehmen geht vom Management aus, häufig im Command-and-Control-Stil. Im Falle einer geringen Fluktuation entstehen etablierte Teamstrukturen mit ähnlichen Charakteren. Das mittlere Management übersetzt die Vorgaben des Top-Management und wirkt gelegentlich als Puffer. Die Teams haben sich an den Takt angepasst – auch wenn er nicht ihrem eigenen Produktivitätsrhythmus entspricht.
Taktgeber im Wandel
Auf dieses System wirkt die VUCA-Welt. Für Unternehmen bedeutet das eine höhere Komplexität und Unsicherheit. Dies gilt auch für Personalabteilungen – und besonders für Recruiting und Onboarding: Die Fluktuation steigt, und der Fachkräftemangel erschwert das Recruiting. Die Herausforderungen der digitalen Transformation verändern Anforderungsprofile und Jobbeschreibungen. Alles gerät in Bewegung, und die digitale Transformation erfordert mehr Agilität und Beweglichkeit von Unternehmen. Da in dieser Situation die Begriffe Rhythmus und Synchronisation eine zentrale Rolle spielen, lohnt ein Blick in das Konzept des Social Entrainment, das 1986 von den Sozialpsychologen Joseph Mc Grawth und Janice R. Kelly entwickelt wurde (Time and Human Interaction: Toward a Social Psychology of Time). Ihnen ging es darum, Dynamiken menschlicher Interaktion in einem Zeitablauf zu beschreiben. Anleihen nahmen Mc Grawth und Kelly auch aus den Bereichen Natur und Musik. Sie unterschieden in ihrem Werk drei interne (Rhythmus, Mesh, Tempo) und eine externe Komponente (Pacer), aus denen die soziale Entität besteht:
- Der Rhythmus bezeichnet periodische oder regelmäßig wiederkehrende physische, psychische oder Verhaltensprozesse. Dazu gehört beispielsweise der Schlafrhythmus. Seine Auswirkungen sind bei Morgen-Menschen beziehungsweise Abend-Menschen zu beobachten.
- Ein weiteres Element ist das Mesh. Es vereinigt die individuellen charakteristischen Rhythmen wie beispielsweise Aktivitäten, Aufgaben, sozialen Interaktionen und Erholung. Diese Vernetzung geschieht unterbewusst. Sie ist so natürlich, dass sie uns nicht auffällt. Manche Menschen stehen beispielsweise immer zu einer bestimmten Uhrzeit auf. Wenn dies geschieht, fühlen sie sich den Tag über ausgeruht und wach.
- Pacer stellen externe Ereignisse oder Zyklen dar, die Einfluss auf Rhythmus, Mesh, Tempo oder auf alle drei Faktoren haben können. Diese externen „Schrittmacher“ wirken wie ein lauter Wecker, der den Schlaf abrupt unterbricht. Solche Schrittmacher lösen zeitliche Muster aus oder erfassen beziehungsweise modifizieren ihre regelmäßige Wiederkehr.
- Das Tempo ist das Resultat der vernetzten Rhythmen. Es bezieht sich auf zeitbasierte Ergebnisse: Arbeitstempo oder Arbeitsaufwand, zyklische Interaktions- oder Kommunikationsmuster, Veränderungsmuster in psychologischen Variablen wie Einstellungen etc.
In den folgenden Jahren erfolgte eine schrittweise Weiterentwicklung von McGrawth und Kelly von der Ebene des Individuums zur Organisation. Dafür muss eine Organisation allerdings flexibel und agil sein. Dann wird ein gemeinsames Einpendeln möglich. Das gilt besonders, wenn Mitarbeiter neu in einer Organisation beginnen. Hier wird es für Unternehmen zur Schlüsselfrage, wie ein gemeinsamer Rhythmus gefunden werden kann. Onboarding ist dann die Synchronisation verschiedener Rhythmen. Social Entrainment wird zu einem wichtigen Ansatz für die Personalabteilung und letztlich zu einem zentralen Anteil der Unternehmenskultur. Mitarbeiter stoßen nicht mehr als fehlende Puzzleteile in exakt passende Bedarfslücken und übernehmen passiv den Takt des Top-Managements. Stattdessen suchen agile Mitarbeiter den Gleichklang, um sich in das neue Unternehmen einzugrooven. Sie bringen ihre Stärken und Fähigkeiten ein und sind motiviert, von ihren Kollegen zu lernen. Dazu benötigen sie Freiraum, den eigenen Rhythmus einzubringen und mit dem Mesh des Unternehmens zu koordinieren. In diesen Freiraum bringen sie Reflexion und Empathie, Neugier, Technologieaffinität, nonlineares Denken und die Fähigkeit Mehrdeutigkeiten auszuhalten.
Gemeinsam eingrooven
Konrads Management-Kolumne gibt Tipps, wie Organisationen den gemeinsamen Rhythmus mit ihren Mitarbeitern erreichen können:
- Prinzipien: Statt starrer Regeln und Direktiven schaffen Prinzipien ein Rahmenwerk für Entscheidungen und Freiheit in der Ausführung. Mitarbeiter erleben, wie ihnen Vertrauen geschenkt und Verantwortung übertragen wird. Vorbei ist dann Command-and-Control, das die Eigeninitiative, Motivation und Energie des Mitarbeiters erstickt.
- Transformationale Führung: Ziel der Führungskraft ist es, Begeisterung und Eigeninteresse der Mitarbeiter an der Aufgabe zu wecken. Dazu vermittelt die Führungskraft Werte und Sinnhaftigkeit der Arbeit und unterstützt auf diese Weise die Mitarbeiter – ohne ihnen alle Details der Arbeit vorzugeben.
- Reziproker Groove: Mitarbeiter und Führungskräfte arbeiten in einem offenen Austausch und teilen neue Erfahrungen und Ideen. Dabei zählt allein der Wert der Idee, nicht die Dauer der Betriebszugehörigkeit. Führungskräfte blicken auf die Stärken des Mitarbeiters und unterstützen ihn bei seiner Weiterentwicklung und respektieren auch sein Tempo. Sie führen und entwickeln Mitarbeiter, lehren sie und lernen von ihnen.
- Offene Arbeitsatmosphäre: Die Struktur des Unternehmens ist durch flache Hierarchien und eine Open-Door-Policy gekennzeichnet. Sie bemühen sich um ein gesundes Vertrauensverhältnis zu den Mitarbeitern. Es herrscht Transparenz über Entscheidungen und Kriterien. Dabei spielt Wertschätzung ebenso wie konstruktive, fördernde Kritik eine zentrale Rolle. So entsteht ein von gegenseitigem Respekt geprägtes Verhältnis zwischen Mitarbeitern und Führungskräften.
Infolge der digitalen Transformation entwickeln Firmen heute Strategien für die VUCA-Welt. Sie suchen neue Mitarbeiter mit einem agilen Mindset. Dafür benötigen Firmen die richtige Umgebung – und die Möglichkeit zum Eingrooven.
*Beim Verfassen dieser Kolumne hat sich der Autor zur Musik von Groovin High eingegroovt und inspirieren lassen. Auch hier herzliche Empfehlung!