Wir brauchen endlich ein Digitalministerium!

(Foto: Andreas Rentz/Getty Images)
Die Notwendigkeit eines eigenen Ministeriums für den Bereich der Digitalpolitik ist in den Parteien weiterhin umstritten. Digitalpolitik soll Chefsache sein, so meinen einige, und im Kanzleramt entschieden werden. Da war es auch die letzten vier Jahre. Getan hat sich wenig. Digitalisierung wird sowohl in der alltäglichen Politik, als auch im Wahlkampf nicht großgeschrieben. Mittlerweile verspielen wir uns nicht mehr die Zukunft, sondern sind so weit hinterher, dass es eher ein Verschlafen der Gegenwart ist, die durch die Schockstarre und Hilflosigkeit hervorgerufen wird. Zufrieden ist damit keiner, anpacken will das Thema aber auch niemand.
Ein konkretes Beispiel, warum Digitalpolitik ein eigenes Haus benötigt, das sowohl fachpolitische, bürokratische, als auch inhaltliche Expertise bündelt und verteilt, ist die ID-Wallet. Aus einem Schaufensterprojekt des Bundeskanzleramtes wurde eine App erstellt, die noch schnell vor der Bundestagswahl fertig werden sollte. Eine App, mit der man seinen Personalausweis und seinen Führerschein digitalisieren kann. Eine tolle Idee. Dabei hat aber mal wieder niemand auf die technischen Details geschaut, und nachdem die App unterirdische Bewertungen erhielt, wurde sie wieder aus den App-Stores entfernt.
Erneut sind es dieselben Fehler, die in der öffentlichen digitalen Infrastruktur gemacht werden: Kein Blick nach links zu den anderen Schaufensterprojekten für digitale Identitäten, die momentan laufen, keine Interoperabilität, keine Verwendung ordentlicher Standards.
Dass Unternehmen solche Fehler machen, ist das eine, dass es strukturell im Jahr 2021 nicht auffällt, das andere. Gerade letzteres zeigt eine systemische Lücke in der Exekutive auf, die immer wieder virulent wird: Kein Ressort hat die Zuständigkeit, die Digitalisierung zu standardisieren und einen Überblick über die entstehenden Technologien zu behalten. Niemand nimmt den Querschnitt wahr.
Auch wenn die Staatsministerin für Digitalisierung im Dezember 2020 unter dem Titel „Personalausweis im Smartphone und mehr“ noch schreibt „Ganzheitliches Vorgehen notwendig“, scheint sie mit einem solchen ganzheitlichen Vorgehen jedenfalls immer dann überfordert, wenn es um technische Details geht. Das ist ja auch kein Wunder, hat sie doch kein eigenes Budgetrecht. Auch sonst hat man das Gefühl, wenn es um staatliche digitale Infrastruktur geht, geht es viel um Schaufenster und wenig um das Dahinter.
Wer in den letzten zehn Jahren Erfolg als Digitalpolitiker:in haben wollte, musste eigentlich nur den einen Tocotronic-Song auswendig können und an jeder Stelle wiederholen „Digital ist besser“.
Erst war es das Internet, dann Plattform-Business-Modelle, Crowdfunding, Crowdinvesting, künstliche Intelligenz und Blockchain jetzt kommen Quantencomputing und digitale Identitäten. Wer gut aufgepasst hat, dem wird nicht entgangen sein, dass Deutschland auf keinem dieser Felder bisher besondere Erfolge feiern durfte. Die Digitalpolitik stand aber immer als Lobbyist dieser neuen Technologien parat. Und das ist wichtig und gut so. Einzig: Es hilft nicht, um den Staat digitaler zu machen. Es hilft nicht, die kleinteiligen Prozesse zu digitalisieren, die schon analog kaum funktionieren.
Wenn wirklich etwas passieren soll, brauchen wir strukturelle Lösungen und eine kraftvolle Stimme, die mehr Gehör findet als alle digitalpolitischen Selfies zusammen. Ein Ministerium, das Prozesse auf den digitalen Prüfstand stellt, das mit Sachverstand prüft, steuert und fördert.
Die Digitalisierung ohne Steuerung weiterhin im „Es wird schon irgendwie werden“-Modus weiterzuführen, verbrennt Steuergelder, Innovationskraft, Wirksamkeit, Lebenszeit und den Glauben an die Kompetenzen der staatlichen Institutionen.
Man kann Digitalisierung ernst nehmen – oder es lassen.
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