Digitalisierung ist neben Klimawandel und Energiewende eines der Buzzwords in den aktuell laufenden Sondierungsgesprächen rund um eine neue Regierung für Deutschland. Neben der FDP, die ja schon quasi genetisch dafür sein muss, zeigen sich auf einmal auch Politiker der Union und der SPD ganz eifrig und beteuern, dass hier endlich mal mutige Schritte gemacht werden müssten.
Parteien, die seit 16 Jahren nicht digitalisieren, stehen erneut vor Regierungsbildung – Ausnahme: die Grünen
Der nicht mehr ganz junge Zuhörer solcher Floskeln fragt sich, wer denn eigentlich die letzten 16 Jahre regiert hat? Da finden sich die Union, die SPD und sogar die FDP – gut, letztere nur über vier Jahre, aber immerhin. Genau die beklagen nun, dass in Sachen Digitalisierung in Deutschland während der Merkel-Ära zu wenig passiert sei – und wollen es nun besser machen.
Halten wir fest: Sie haben natürlich recht. Wer sich schon mal in Holland in einem abgelegenen Strandpavillon bester Downloadraten erfreut hat, weiß, wie der Stand allein des Mobilfunkausbaus in Deutschland ist – furchtbar. Bloß, wieso sollten wir glauben, dass genau die Parteien, die schon in den letzten 16 Jahren in Sachen Digitalisierung nichts auf die Reihe gebracht haben, das jetzt in einer neuen Regierung besser machen werden?
CCC entwirft Maßnahmenkatalog für ein modernes und digitales Deutschland
Daran zweifeln offenbar auch die Aktivisten des Chaos Computer Clubs (CCC). Deshalb haben sie sich die Mühe gemacht, sämtliche Baustellen der deutschen Digitalisierung zu benennen und mit einem Maßnahmenkatalog zu hinterlegen. Den dürfen die Parteien gern für ihr kommendes Regierungsprogramm verwenden. Dann vergessen sie wenigstens nichts und die Formulierungen haben auch Hand und Fuß.
Die Vorschläge des CCC sind in die Bereiche Infrastruktur, Bildung, Verwaltung, Urheberrechte und Patente, Überwachung, IT-Sicherheit, Nachhaltigkeit, Außenpolitik, Tracking und Menschenrechte kategorisiert. Unter den Formulierungen finden sich handfeste Projekte, aber ebenso Grundsatzempfehlungen wie etwa das Verbot der Tötung von Menschen durch autonome Systeme. Damit findet sich sogar für die am wenigsten an konkretem Handeln interessierte Partei noch ein Textbaustein, den sie schmerzfrei und rein deklaratorisch hinschreiben und abnicken kann.
Mehr IT-Kompetenz auf allen Ebenen, quelloffene Software und Prozesse
Bei den konkreten Empfehlungen finden wir nichts, was digital-affine Menschen nicht in den vergangenen 16 Jahren bereits thematisiert hätten – nur die Politik wollte nie so recht mitspielen. So spricht sich der CCC etwa für ein Recht auf Reparatur aus, wie es das in anderen, auch europäischen Ländern bereits gibt. Ebenso schlagen die Computeraktivisten ein Verbot von Software wie den Staatstrojaner, respektive das Verbot der Verwendung von Haushaltsmitteln für den Kauf einer solchen Ausspäheinrichtung vor.
Ein wesentlicher Punkt ist die Quelloffenheit von Software, die im öffentlichen Umfeld verwendet werden soll. Ebenso sollen Hersteller verpflichtet werden, Software für Geräte, die sie selber nicht mehr pflegen wollen, als Open Source freigeben zu müssen. Mehr Open Source soll es auch beim Urheberrecht und bei den Patenten geben, wobei der CCC vorschlägt, eine Patentierung von DNA-Sequenzen gleich ganz zu verbieten. Wie, das gibt’s? Ja, es ist sogar möglich, sich Viren und Bakterien patentieren zu lassen.
Digitalbildung fest in der Allgemeinbildung verankern
Zudem schlägt der CCC vor, über alle staatlichen Ebenen endlich eigene IT-Kompetenz aufzubauen, als immer wieder Projekte mit fraglichem Nutzen und zu hohen Kosten extern einzukaufen, siehe zuletzt den digitalen Führerschein. Dazu müssten auch die Digitalbildung verstärkt werden und bis in die Schulen hinunter und in die Rechtsprechung hinauf zur Allgemeinbildung gehören.
Wer das „Regierungsprogramm“ des CCC liest, wünscht sich vielleicht, der CCC wäre eine der an den Sondierungsgesprächen beteiligte Parteien. Das bleibt leider nur ein Wunsch.