„Du oder Sie?“: So sollten Unternehmen mit ihrer Kundschaft sprechen
Ein Unternehmen, das den falschen Ton trifft, läuft Gefahr, potenzielle Kundschaft zu vergrätzen. „Das ‚Sie‘ wird immer reduzierter eingesetzt, das ‚Du‘ greift weiter um sich“, sagt die Sprachwissenschaftlerin Stefanie Stricker von der Universität Bamberg. „In diesem Punkt sind wir derzeit in einem Sprachwandel begriffen, der schon innerhalb einer Generation zu Änderungen führt.“
Als erstes große Unternehmen in Deutschland führte mutmaßlich die schwedische Möbelhauskette Ikea das Duzen „in etwa seit 2003“ ein, wie eine Sprecherin sagt. „Dies leitet sich ursprünglich von unserer schwedischen Herkunft ab. Das Ziel von Ikea ist es, nicht nur das skandinavische Design, sondern auch ein Stück Schweden in die Welt zu tragen.“ Auch bei Ikea hat das Duzen jedoch Grenzen. Im Kundenservicezentrum wird überwiegend gesiezt.
„Traditionell herrscht in der deutschen Sprache ja eine ‚Sie‘-Kultur, und im direkten Umgang unter erwachsenen Menschen dauert es in manchen Kreisen und insbesondere im Geschäftsleben bis heute oft ziemlich lange, bis man einander das ‚Du‘ anbietet“, sagt die Kommunikationsberaterin Kerstin Hoffmann, Autorin des in der Branche bekannten Blogs PR-Doktor. Die Frage nach der richtigen Kundenansprache wird ihr häufig gestellt.
Duzen als Teil der Corporate Identity
Apple duzt die Kundschaft seit 2009, Aldi folgte im vergangenen Jahr. „Du“ zur Kundin sagt auch Adidas. „Adidas ist besonders bei einer jungen Zielgruppe beliebt, für die das die natürliche Ansprache ist, und auch im Sport wird das Duzen gelebt“, heißt es bei dem Dax-Konzern in Herzogenaurach.
Bei Unternehmen wie Ikea sei das „Du“ „ganz bewusst Teil der Corporate Identity“, sagt Hoffmann. „Generell sind beispielsweise Umfelder mit junger Kundschaft, im Tech-, Mode- oder Sportbereich, im Startup-Umfeld per se unkompliziert.“
Doch kann sich keineswegs jedes Unternehmen erlauben, die Kundschaft zu duzen. Würde etwa eine Wohnungsgesellschaft per „Du“ über die nächste Mieterhöhung informieren, würde das von den Mieterinnen und Mietern mutmaßlich als ziemlich herablassend empfunden.
„Gerade im eher traditionellen Business-to-Business-Bereich rate ich Unternehmen, die Ansprache so zu wählen, wie sie auch in das persönliche Gespräch mit der Kundschaft passt“, sagt die PR-Beraterin. „Allerdings muss man dann aber auch locker genug sein, wenn eine Kundin das im direkten Kontakt aufgreift und beim Anruf duzt.“
Siezen wird immer weniger
Trendsetter sind die duzenden Firmen nicht, denn auf dem Rückzug ist das Siezen schon seit über 100 Jahren. Historisch ist das „Sie“ ein Erbe des mittelalterlichen Feudalismus, ebenso wie die Anreden „Herr“ und „Frau“, welche ursprünglich der herrschenden Schicht vorbehalten waren. Deutlicher noch als im Deutschen bringt der französische „Monsieur“ – „mein Herr“ – das ursprüngliche hierarchische Verhältnis des Untergebenen zum Herren zum Ausdruck.
„Zu den mittelalterlichen Adelsgesellschaften gehört eben eine bestimmte Etikette, ein besonders freundlicher Umgangston“, sagt die Sprachwissenschaftlerin Stefanie Sticker. „In diesem Milieu konnten sich die Höflichkeitsformen gut entwickeln, zumal sie in den das Deutsche am Ausgang des Mittelalters prägenden romanischen Sprachen bereits etabliert waren.“
Das Bürgertum übernahm im Laufe der Jahrhunderte die adeligen Umgangsformen, in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich das Siezen bis ins Familienleben hinein durchgesetzt. So war es im gutbürgerlichen ebenso wie unter materiell besser gestellten Bauersfamilien auf dem Lande üblich, dass Kinder ihre Eltern siezten. Akademiker siezten einander ohnehin, Studenten inbegriffen.
Regionale Unterschiede im Alltag
Bei der Sprachentwicklung gab und gibt es bis heute aber regionale Unterschiede. Das „Sie“ als übliche Anrede unter Erwachsenen hat sich beispielsweise auf dem Lande in Bayern und in Tirol nie ganz durchgesetzt. Dort müssen manche Urlauber aus nördlichen Regionen heute noch schlucken, wenn sie unvermittelt von Fremden geduzt werden.
Und es haben sich Mischformen entwickelt, darunter das „Hamburger Sie“ – die Anrede mit „Sie“ und Vornamen – und umgekehrt das „Münchner Du“ – Anrede mit dem Familiennamen bei gleichzeitigem Duzen. „Meier, komm mal her“, nennt die Bamberger Professorin Stricker ein Beispiel.
Wird das Siezen in absehbarer Zeit aussterben? Mutmaßlich nicht, auch wenn weitere Unternehmen auf den Duz-Trend aufspringen sollten. „Das ‚Sie‘ ist derzeit klar auf dem Rückzug, allerdings nur in bestimmten Bereichen“, sagt Stricker. „In offiziellen Kontexten siezt auch die jüngere Generation.“ dpa
Wer mich duzt, kann mich als Kunden vergessen!