Arbeiten, wo andere Urlaub machen? Das eine schließt das andere nicht aus. Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich am Flughafen in Las Palmas. Nur eine Woche zuvor der Blick aus dem Fenster: Regen, Menschen mit schlechter Laune, Deutschland halt. Kurz darauf der Blick ins Internet: günstige Flüge, Kolleginnen und Kollegen mit Bock – wir buchten eine Workation. Hola, Gran Canaria! Inzwischen ist das wieder möglich. Corona hatte uns lange fest im Griff. Wir sind geboostert, vorsichtshalber noch getestet und auch die spanischen Einreisebestimmungen erlaubten den Abflug. Hartnäckiger bei dem Thema sind hingegen oft noch Führungskräfte. Arbeiten, wo andere Urlaub machen? Das geht doch nicht. Arbeit gehört an den Schreibtisch. Direkt ins Büro. Dort, wo die Anwesenheit kontrolliert werden kann.
Workations sind genau wie Homeoffice meist nur eine Frage des Mindsets der jeweiligen Führungskräfte. Während Letzteres inzwischen schon alleine aus Wettbewerbsgründen um fehlende Fachkräfte vorankommt und zumindest hybride Arbeitsformen sich in der Regel durchgesetzt haben, gilt bei Ersterem weitestgehend noch blankes Entsetzen. Workations sind vor allem Selbstständigen vorbehalten. Digitale Nomaden perfektionieren seit vielen Jahren die ortsunabhängige Arbeit von überall auf der Welt und jonglieren die Aufträge ihrer Kundinnen und Kunden gekonnt, ohne dass die es überhaupt bemerken, wo sie gerade leben. Die Sache ist die: Auch Angestellte könnten das in Zeiten der Digitalisierung eigentlich leicht. Der Fisch stinkt meist vom Kopf her, heißt es im Volksmund. Wir lüften jetzt mal durch!
Workation ist eine Frage des Mindsets
Wir meint in diesem Fall das t3n Magazin. Vergangenen Sommer reisten eine Kollegin und ein Kollege für mehrere Monate durch Süd- und Osteuropa. Sie ist HR-Managerin, er ist Finance-Manager in unserem Haus. Dieser Tage sind wir als vier Redakteurinnen und Redakteure aufgebrochen, um zu sehen, ob und wie wir unsere Arbeit aus einer Finca in den kanarischen Bergen schaffen. Grundvoraussetzung war gutes Internet; bis auf wenige Ausnahmen hielt es unseren Anforderungen stand. Die morgendlichen Standup-Meetings waren die größte Herausforderung. Alle vier in einem Netz und in vier Videocall-Fenstern funktionierte nicht gut, aber muss ja auch nicht: Wir haben uns kurzerhand am Stehtisch getroffen und mit der deutschen Redaktion über ein Macbook die Themen debattiert.
Mit dem Aufkommen des Trends aus der New Work kamen schnellfeuerartig auch die Ressentiments der Kritikerinnen und Kritiker: Das sei ja alles alles viel zu komplex bezüglich der Steuern und Versicherungen. Die Wahrheit ist, dass die Recherche um die Bedingungen meist nur kurze Zeit dauert und eine Workation für wenige Tage noch keine Auswanderung darstellt. Steuerlich gilt in Deutschland beispielsweise, dass 183 Tage innerhalb der EU nicht überschritten werden dürfen. Erst dann gilt es, die Steuern und Sozialversicherungen in dem jeweiligen Land abzuführen. Und dann erst wird es kompliziert. Eine Woche in Las Palmas ist also rechtlich kein allzu großes Problem. Und krankenversicherungstechnisch brauchte es nur einen Anruf bei der jeweiligen Krankenkasse. In der Regel reicht eine erweiterte Auslandskrankenversicherung.
Ich sag es mal so: Wo eine Wille ist, ist auch ein Weg. Und wer nicht will, bleibt an Ort und Stelle verhaftet – bis auch dieser vermutlich unaufhaltsame Trend, genau wie das Homeoffice, irgendwann den Weg in den Mainstream findet. Doch mal ernsthaft: Warum nicht am Anfang der Speerspitze oder zumindest in zweiter Reihe stehen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diesen genialen Benefit bieten? Gerade kleine und mittelständische Unternehmen, die gegenüber den großen Konzernen gehaltstechnisch im Kampf um wertvolle Talente oft unterlegen sind, können hier wettbewerbstechnisch massiv aufholen. Und nicht nur das: Kolleginnen und Kollegen, die so viel Vertrauen von der Chefin beziehungsweise vom Chef bekommen, tun in der Regel auch ihr Bestes, es nicht zu verspielen. Der Versuch macht klug!
Unsere kanarische Finca hat uns ein erfrischend motivierendes Arbeitsszenario geboten. Pool und Jacuzzi sowie ein Grillplatz, eine Dachterrasse, ein Billard- und Kickertisch, ein blühender Garten, der uns morgens mit Südfrüchten für das Frühstück versorgte, sowie ein Hund, der mit uns auf dem Gelände wohnte, wirkten sich motivierend auf die Stimmung aus. Die provisorisch aufgebauten Arbeitsplätze am Esstisch waren nicht jedermanns Sache. Schnell kamen Erinnerungen an den Beginn der Pandemie hoch, als viele Berufstätige noch ihr geeignetes Setting suchten. Ein Fazit der Workation war, dass es vielleicht doch besser wäre, sich in einen nahegelegenen Coworking-Space einzumieten. Darüber sollten sich Reisende, die parallel remote arbeiten wollen, im Klaren sein: Was brauche ich, um produktiv zu sein?
Workation ist New Work par excellence
Unsere Workation-Experimente der letzten Monate haben inzwischen Kreise gezogen. Wir erarbeiten derzeit eine Guideline, die festlegt, wie so eine Arbeitssituation gestaltet sein muss: Wie viele Tage sind im Jahr möglich, damit es nicht zu Steuer- und Sozialversicherungsprobleme kommt? Wie wird diese Zeit im Anwesenheitsplan markiert? Sind An- und Abreisetage, an denen nur halbtags oder vielleicht gar nicht gearbeitet wird, Arbeits- oder Freizeit? Wie wird kommuniziert? Wie im Homeoffice auch, gilt es bei der Workation für klare Grundregeln zu sorgen, damit Missverständnisse gar nicht erst aufkommen. Mit den Missverständnissen kommt sonst meist die Skepsis. Und diese Skepsis kann zum jähen Ende so eines Benefits führen.
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Ein starkes Team wächst durch positive Erfahrungen zusammen. Unsere Workation hat zu diesen Erfahrungen geführt. Ich will jetzt nicht behaupten, das geht nur auf einer Auslandsreise, das geht natürlich auch im Büro, im Feierabend bei einem After-Work-Drink oder in einem Ferienhaus in Brandenburg. Aber es sind diese besonderen Erlebnisse, die dann eben doch einen Unterschied machen. Überhaupt gilt im Rahmen von New Work, dass Technologie, das Potential, freier zu arbeiten, entfachen soll. New Work soll zu mehr Selbstbestimmung führen und sowohl Berufstätige als auch Organisationen flexibilisieren in der Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten. Orts- und zeitungebundene Arbeit ist New Work par excellence. Wichtig ist, sich bewusst zu sein: Es braucht Vertrauen auf beiden Seiten. Ohne geht es nicht.
Verstehe auch nicht, wieso Arbeitgeber noch auf das alte Arbeitsmodell setzen. Die sollen einfach die ganze Belegschaft in Fincas unterbringen, dann wird alles viel viel besser.
Sagt mal, würdet ihr euer Dokument teilen, das ihr zum Thema Workation im eigenen Unternehmen erarbeitet habt? Es könnte ein grossartiger Anreiz für andere Arbeitgeber sein und da ihr schon so viele Erfahrungen mit Do’s und Dont’s gemacht habt, möglicherweise ein echter Benefit in der HR Runde …
Hallo Jochen, die Frage kam schon oft auf Linkedin. Ich habe mir das notiert. Gruß, Andreas