E-Sport: „Einstiegsdroge“ oder „enorme Chance“ für junge Menschen?
E-Sport wird populärer
Der E-Sport-Bund Deutschland (ESBD) geht davon aus, dass „knapp vier Millionen Menschen in Deutschland sich für E-Sport begeistern“. Er zählt inzwischen 350 E-Sport-Organisationen in Deutschland – Amateurvereine, Profiteams, Hochschulgruppen und Turnierveranstalter. „Das Thema E-Sport ist längst kein Nischenthema mehr. Wir sprechen hier über ein weltweites Phänomen, das Millionen von Menschen erreicht und begeistert“, sagte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) unlängst im Landtag in Hannover. „Der digitale Breitensport ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“
Und darum ist E-Sport auch immer wieder Thema in den Länderparlamenten von Kiel bis München. Erst am 6. Oktober hatte der Ausschuss für Inneres und Sport des niedersächsischen Landtags beschlossen, „die hohe Bedeutung von virtuellen Sportarten und deren Bedeutung für den Breitensport in Niedersachsen“ anzuerkennen, wie es in dem angenommenen Antrag von SPD und CDU heißt. Schon 2018 hatte die Regierungskoalition in Sachsen-Anhalt beschlossen, E-Sport zu fördern und sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass er – wie herkömmlicher analoger Sport auch – als gemeinnützig anerkannt werden und damit Steuervergünstigungen erhalten kann. Auch in den Landesparlamenten in Schleswig-Holstein, Bayern und Rheinland-Pfalz wurde das Thema diskutiert.
An den Anträgen und Beschlüssen in den Landtagen zeige sich, „dass die Lobbyisten des E-Sports ganze Arbeit geleistet haben“, kritisierte Pfeiffer. „Die Reklamesprüche der Computerspielindustrie wurden weitgehend übernommen.“ Pfeiffer nennt E-Sport einen „Leistungskiller“. Er kritisiert eine fehlende Auseinandersetzung der Politik mit den Erkenntnissen der empirischen Forschung. „Diese hat seit mehr als zehn Jahren etwas klar belegt: Die bundesweit wachsende Leistungskrise der männlichen Jugendlichen und jungen Männer beruht in hohem Maß auf einem Anstieg der Intensität und täglichen Dauer ihres Computerspielens.“
Verglichen mit den Daten einer 2007/2008 bundesweit durchgeführten Jugendbefragung, hat sich laut einer KFN-Erhebung in Niedersachsen der Anteil der männlichen Jugendlichen, die pro Tag mindestens 4,5 Stunden ausschließlich mit Computerspielen verbringen, von 2007 bis 2017 von 16 auf 24 Prozent erhöht. Bei den Mädchen sank der Untersuchung zufolge die Quote der Intensivspielerinnen von 4,3 auf 2,3 Prozent.
Leidet die schulische Leistung?
„Wenn man auch die Wochenenden und Ferien in die Berechnung einbezieht, verbringt danach jeder vierte 15-jährige Junge in Niedersachsen mehr Zeit mit Computerspielen als im Schulunterricht“, sagt Pfeiffer. Vor diesem Hintergrund sei es für ihn kaum überraschend, dass der Anteil der Jungen unter den Gymnasiasten in Niedersachsen zwischen 2013 und 2017 von 49 auf 42 Prozent sank, während der Mädchen-Anteil von 51 auf 58 Prozent stieg.
„Die Jungen dominierten dafür 2017 stärker als je zuvor an den Sonderschulen und Hauptschulen und stellten insgesamt drei Fünftel der Sitzenbleiber“, sagt Pfeiffer. Auch bei den Studenten gebe es wachsende Leistungsunterschiede zwischen den Geschlechtern. Der Großteil der Studienabbrecher sei inzwischen männlich.
Empirische Befunde, dass das – wie Pfeiffer behauptet – allein am Zocken liegt, gebe es zwar nicht, räumt er ein. Ein Blick in die USA legt das aus seiner Sicht aber nahe. Er zitiert in seiner Analyse eine Untersuchung von Wirtschaftswissenschaftlern der US-Universitäten Princeton und Chicago, wonach vor allem die Gruppe der 21- bis 30-jährigen Männer sich weniger fürs Arbeiten und mehr für ihre private Computerwelt inklusive Videospiele interessieren. „Diese Altersgruppe hat ihre Freizeit seit 2004 stark auf Videospiele und andere Freizeitaktivitäten am Computer ausgerichtet“, schreiben die amerikanischen Wissenschaftler. „Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Arbeitsstunden bei diesen Männern stärker zurückgegangen als bei älteren Männern – oder Frauen.“
Bildungsexperten betonen dagegen, dass die Leistungsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen nicht auf die eine Ursache zurückzuführen sind und vielfältige Gründe haben können – darunter das System Schule.
Und Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) sieht vor allem im E-Sport auch „enorme Chancen“, wie sie im Sommer sagte. „Er wird oft als professionelle und kommerzielle Aktivität wahrgenommen, hat darüber hinaus aber auch eine stark zunehmende Bedeutung für unsere gesamte Gesellschaft.“ Sie wolle eine große E-Sport-Veranstaltung nach Bayern holen. „Das Ziel hier ist, durch die Strahlkraft einer solchen großen Veranstaltung die gesellschaftliche Akzeptanz für den E-Sport in Bayern und in Deutschland zu steigern.“
Der ESBD weist Pfeiffers Kritik als „nicht sachgerecht“ zurück. In ihren Vereinen hätten „der gesunde und maßvolle Umgang mit Computerspielen“ und die Vermittlung von Medienkompetenz „oberste Priorität“. „Wenn jemand etwas über zwanzig Jahre ohne Evidenz behauptet, dann macht es das Argument nicht richtiger, sondern nur altbacken“, sagte ESBD-Präsident Hans Jagnow. E-Sport trainiere schnelle Reaktionen, die soziale Gemeinschaft und den sportlichen Wettkampf. „Wer das als vor-dem-Bildschirm-sitzen abtut, steckt mit dem Kopf als Digitalisierungsverweigerer noch im letzten Jahrhundert fest.“ dpa
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Die Gegenargumente bzw. das Gegenhalten des ESBD-Präsidenten sind die üblichen Todschlag-Argumente, wenn jemand etwas gegen PC-Spiele sagt, – besonders, wenn dieser Jemand schon älter ist.
Außerdem sind die meisten Spieler eher nicht in einem Verein organisiert, sondern treffen sich privat und oft anonym auf den Plattformen.
Ich werde mich mit Herrn Pfeiffers Sicht mal mehr beschäftigen, könnte ja was dran sein.
„[…]Er kritisiert eine fehlende Auseinandersetzung der Politik mit den Erkenntnissen der empirischen Forschung. „Diese hat seit mehr als zehn Jahren etwas klar belegt: Die bundesweit wachsende Leistungskrise der männlichen Jugendlichen und jungen Männer beruht in hohem Maß auf einem Anstieg der Intensität und täglichen Dauer ihres Computerspielens.“[…]“
„[…]Empirische Befunde, dass das – wie Pfeiffer behauptet – allein am Zocken liegt, gebe es zwar nicht, räumt er ein. Ein Blick in die USA legt das aus seiner Sicht aber nahe.[…]“
Ähm, also was denn nun?
Welche Relevanz/Kompetenz hat in der Diskussion eigentlich ein Kriminologe?
Koreaner und Chinesen sind beim eSport WESENTLICH weiter als wir deutschen Digitalverweigerer und gelten als ziemlich produktiv.
Als jemand, der in den letzten 10 Jahren vermutlich um die 15.000 Stunden in Computerspiele gesteckt hat (durchschnittlich 4 Stunden pro Tag, wenn ich mich nicht verrechnet habe) wage ich mal zu behaupten, dass ich eine recht fundierte Meinung zu dem ganzen abgeben kann. Wobei ich mich selbst nur 2 oder 3 Jahre als richtigen HardcoreGamer bezeichnet hätte.
In den letzten Jahren aber insbesondere auch in den letzten Monaten hat aus privaten Gründen mein PC-Konsum massiv abgenommen, ich versuche es aber noch weiter zu reduzieren.
(soweit zu meinen Referenzen)
Ich bin der Meinung, dass die Psychologen komplett recht haben. PC-spielen ist eine der gefährlichsten „Drogen“, neben Alkohol, die derzeit legal zugänglich sind. Natürlich gibt es auch positive Beispiele für angemessenen Umgang mit Zocken, aber das werden immer weniger.
Zocken ermöglicht Menschen ein schnelles und wiederkehrendes Glücks- und Erfolgserlebnis, dass oft ein Misserfolg in der echten Welt erträglicher macht.
Da zocken aber so viel Spaß macht, werden schnell grundlegende Bedürfnisse und ganz besonders auch Pflichten vernachlässigt. Man geht weniger raus, achtet weniger auf den eigenen Körper (Ernährung, Hygiene, Sport etc.)
Dem gegenüber steht das Argument, dass man ja online (manchmal auch offline) Freunde / Leute kennt. Viele sehen aber nicht, um wie viel schlechter solche Bekanntschaften gegenüber einer echten Bekanntschaft sind. Sie sehen nur, wie viel schlechter es wäre überhaupt niemanden zu haben.
Rückblendend überlege ich, was ich vielleicht hätte alles besser machen können, wenn ich mir nur ernsthaft genug mit meinem eigenem Leben beschäftigt hätte. Das habe ich aber nicht. Ich hatte einfach nur Glück, dass ich immer irgendwie mitgerutscht bin und daher jetzt trotzdem an einem Punkt gelandet bin, der absolut annehmbar ist.
Und das ist auch das, was ich am Zocken am meisten fürchte: Die einfache Möglichkeit sind nicht ernsthaft mich sich selbst und seinem Leben beschäftigen zu müssen. Und das ist auch das, was zu dem oben genannten Phänomenen führt, dass Jugendliche immer schlechter in der Schule etc. werden.
Klar, für 1 % Prozent aller Gamer ist es eine echte Chance. Richtig was aus sich zu machen. (siehe bspw. die derzeit laufende WM für LOL) Aber für den Rest eben nicht.
Wenn ich Gaming und einen Sport wie Handball miteinander vergleiche, dann frage ich mich immer, wie jemand ernsthaft behaupten kann, dass dort überhaupt etwas ähnlich wäre. Außer dem Wettbewerb.
Wir reden hier über ein Thema das unglaublich viele Facetten und auch Geschichten hat. Meistens bilden sich um erfolgreiche Spiele herum ganze Kosmen.
Aber mit Rückblick auf mein (zugegeben noch nicht sehr langes ) Leben wünschte ich mir, dass Computerspielen niemals den Zugang in mein Leben gefunden hätte. Ich hatte in den Momenten sicherlich viel Spaß, aber die Zeit die ich dadurch verloren habe, werde ich niemals wieder bekommen.
„Bildungsexperten betonen dagegen, dass die Leistungsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen nicht auf die eine Ursache zurückzuführen sind und vielfältige Gründe haben können – darunter das System Schule.“
Hmmm. Dann hätte man doch vielleicht lieber mit den Bildungsexperten reden sollen anstatt mit einem Fachfremden, der dann „einräumt“, dass es dann doch gar keine Belege für sein Gafasel gebe.
Dass er im E-Sport eine Suchtproblematik sieht, ist meiner Meinung nach angesichts von Gacha Games mit echten Casino-Mechaniken ein Witz. Die einarmigen Banditen versteckt hinter bunter Grafik kann sich jeder Jugendliche bequem aus dem App Store der Wahl ziehen. Um dagegen zu wettern, hätte er dann zumindest ein paar Belege, auf denen er seine Argumente aufbauen könnte.
Und: Nicht jeder will 60-Stunden-Wochen pushen, heißt noch lange nicht, dass es eine „Leistungskrise“ bei jungen Menschen gibt.
Medienkompetenz an Schulen zu vermitteln, das wäre doch mal ein Anfang, oder?