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MIT Technology Review Analyse

Europas Gegenentwurf zu Starlink: Was Iris2 können soll und wo es noch Ungereimtheiten gibt

Um unabhängiger von Elon Musk zu werden, will die Europäische Union ein eigenes Netz von Internetsatelliten aufbauen. Das Vorhaben steckt voller Ambitionen – und einigen Ungereimtheiten.

Von Alexander Stirn
9 Min.
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Starlink-Satelliten hinterlassen schon jetzt deutliche Spuren am Nachthimmel. Dabei sind sie nur die Vorhut. Foto: NSF’s NOIRLab / M. Lewinsky / Creative Commons Attribution 2.0

Es sollte eine große Geste sein, eine Rettungsmission: Nur wenige Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 schickte Tech-Milliardär Elon Musk Tausende Empfangsgeräte seines Internet-Satellitendienstes Starlink in das angegriffene Land. Für das ukrainische Militär eine hochwillkommene Lieferung, hatten die russischen Aggressoren doch große Teile der Infrastruktur – Mobilfunk, Internet, Satelliten – vernichtet oder gestört.

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Als die Ukraine wenig später allerdings sechs Unterwasserdrohnen losschickte, um die russische Schwarzmeerflotte auf der besetzten Halbinsel Krim anzugreifen und dabei auf Starlink zur Zielfindung setzte, verfehlten die Sprengstoff-U-Boote ihr Ziel. Musk hatte seinen Internetdienst rund um die von Russland annektierte Halbinsel absichtlich nicht aktiviert. Wie er sagt, aus Angst vor einer Eskalation des Krieges. In den folgenden Monaten schickte Starlink zwar weitere Empfänger in die Ukraine, zugleich deaktivierte Musk den Dienst allerdings an mehreren Frontabschnitten.

Die Episode zeigt: Sichere, zuverlässige und überall verfügbare Datenverbindungen sind heutzutage wichtiger denn je – und das nicht nur fürs Militär. Und die Kontrolle darüber in die Hände eines exzentrischen, impulsiven, unberechenbaren Multimilliardärs zu geben, ist keine Lösung.

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Ein ukrainischer Soldat richtet eine Starlink-Antenne ein.
Foto: Isar Aerospace / Florian Fechter

Das hat auch die Europäische Union erkannt und plant daher einen eigenen satellitengestützten Kommunikationsdienst. IRIS2 heißt die Konstellation oder auch „Infrastructure for Resilience, Interconnectivity and Security by Satellite“ (ausgesprochen: eiriss skwähr). Das Programm mit dem bürokratischen Namen soll Europas Sicherheitsbehörden und Militärs mit drahtlosen, verschlüsselten Kommunikationsmöglichkeiten ausstatten. Die Erwartungen gehen aber noch weiter: die Wirtschaft fördern; EU-Bürgerinnen und -Bürgern flächendeckend schnellen Internetzugang verschaffen; den Umbau der Raumfahrtbranche vorantreiben – hin zu mehr Wettbewerb und kommerziellen Ansätzen; Start-ups unterstützen; Europas Raketen nutzen; den Weg ebnen für mehr Nachhaltigkeit in der Raumfahrt.

Ein großer Wurf, eine große Aufgabe. Doch genau diese mannigfaltigen Ansprüche und Erwartungen drohen, zum größten Hindernis bei der Umsetzung zu werden.

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Noch ist vieles daran unklar, insbesondere in technischer Hinsicht. Dabei sollen Ende des Jahres, so der Plan, bereits die ersten Dienste an den Start gehen. Komplett einsatzfähig wird IRIS2 im Jahr 2027 sein – oder auch nicht. „Insgesamt ist das Projekt an vielen Stellen ambitioniert“, sagt EU-Raumfahrtpolitiker Niklas Nienaß (Bündnis 90 / Die Grünen). „Ob 2027 wirklich realistisch ist, dahinter würde ich ein großes Fragezeichen setzen. Aber lieber ambitionierte als zu langfristige Pläne.“

Sicher scheint: Anders als Starlink, das vom US-Raumfahrtunternehmen SpaceX betrieben wird und mit derzeit gut 5500 Satelliten den kompletten Globus abdecken will, wird sich IRIS2 auf das EU-Gebiet beschränken. Dadurch sind deutlich weniger Satelliten nötig. Sie sollen zudem auf sogenannten polaren Umlaufbahnen unterwegs sein, die über Nord- und Südpol führen. Die Bahnen der einzelnen Satelliten werden dabei von West nach Ost aufgefächert und diese überfliegen so die komplette EU-Region (und unweigerlich weite Teile Afrikas). Zudem ist denkbar, dass die europäischen Satelliten im Gegensatz zur Starlink-Konstellation, die ihre Bahnen in etwa 550 Kilometern Höhe zieht, auch deutlich höher unterwegs sein werden – zu einem kleinen Teil sogar im geostationären Orbit in 36 000 Kilometern Höhe. Die Signale brauchen dann zwar länger – was Geduld bei Kommunikation und Internet erfordern wird. Dafür kann die Konstellation nicht so einfach mit Antisatellitenwaffen außer Gefecht gesetzt werden. Damit niemand mithören oder die Datenverbindungen manipulieren kann, sollen zudem quantenkryptografische Systeme zum Einsatz kommen.

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„Beim Aufbau eines eigenen Satelliten-Datendienstes auf SpaceX zurückgreifen zu müssen, wäre für Europas Raumfahrt die ultimative Demütigung.“

Soweit der staatliche, auch „institutionell“ genannte Teil, von dem Militär, Sicherheitsbehörden und Grenzschützer profitieren sollen. IRIS2 soll aber mehr leisten: „Institutionelle Konnektivität ist etwas, das wir in der aktuellen Situation unbedingt brauchen“, sagt Niklas Nienaß. „Aber es kann nicht sein, dass die europäischen Bürgerinnen und Bürger Milliarden dafür ausgeben, ohne selbst etwas davon zu haben.“ Die Konstellation soll daher auch drahtloses Internet in jeden Winkel der EU bringen – vor allem dorthin, wo der Breitbandausbau stockt. „In vielen Regionen Europas, insbesondere in ländlichen Räumen Deutschlands, setze ich derzeit wesentlich mehr Hoffnung auf Satelliteninternet als auf terrestrische Lösungen“, sagt EU-Parlamentarier Nienaß.

Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 4/2024 von MIT Technology Review erschienen. Darin beschäftigen wir uns damit, wie man besser auf Katastrophen – vom Unwetter bis zur Pandemie – reagieren kann. Hier könnt ihr die TR 4/2024 bestellen.

Eine Public-private-Partnership, wie es neudeutsch heißt, soll das richten: 3,15 Milliarden Euro steuert die EU für Entwicklung und Aufbau der Konstellation bei, weitere 0,65 Milliarden Euro kommen von den Mitgliedsstaaten der europäischen Raumfahrtagentur ESA. Die Gesamtkosten des Projekts dürften aber bei etwa dem Doppelten liegen. Den fehlenden Betrag soll die Industrie aus eigener Tasche beisteuern. Im Gegenzug darf sie die von der EU mitfinanzierte Satellitentechnik kommerziell nutzen.

Wie das aussehen wird, muss sich erst noch zeigen. Denkbar wäre, dass die IRIS2-Satelliten neben der verschlüsselten, institutionellen Datenverbindung auf einer separaten Frequenz auch kommerzielles Satelliteninternet übertragen. Oder dass dafür eigene Satelliten genutzt werden – technisch basierend auf den IRIS2-Entwicklungen. Womöglich können private Unternehmen auf den Satelliten sogar eigene Nutzlasten installieren – gegen Bezahlung. Dabei muss es sich gar nicht um Internetdienste handeln. Eine europäische Satellitenkonstellation im niedrigen Erdorbit könnte für viele kommerzielle Anwendungen interessant sein, von der Früherkennung von Waldbränden bis hin zu Telemetriedaten für autonome Fahrzeuge, sollten sie eines Tages Realität werden.

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Mehr Freiheiten, mehr Startups

Ob all das so kommen wird, kann niemand mit Gewissheit sagen. Schon einmal hat sich die EU an einer Public-private-Partnership im All versucht und ist dabei krachend gescheitert: Galileo, das europäische Navigationssystem mit seinen derzeit 23 aktiven Satelliten, sollte gemeinsam von Staat und Industrie finanziert, entwickelt und betrieben werden. Am Ende mussten EU und ESA das Projekt mit Kosten von weit mehr als zehn Milliarden Euro alleine stemmen. „Ganz ehrlich“, sagt Nienaß, „die Sorge, dass das bei IRIS2 wieder passieren könnte, ist durchaus vorhanden.“

Allerdings hat die Industrie dieses Mal bei der Entwicklung und bei den technischen Details deutlich mehr Freiheiten. Zudem will die EU bewusst Start-ups mit ins Boot holen. Mindestens 30 Prozent der Aufträge über mehr als zehn Millionen Euro, die im Rahmen von IRIS2 vergeben werden, sollen an kleine Unternehmen und an Start-ups gehen. So will es die entsprechende EU-Verordnung.

Die Idee: Die Kleinen lernen von der Erfahrung der alteingesessenen Raumfahrtunternehmen und die Großen werden agiler, disruptiver, gehen mehr Risiken ein. Im Konsortium, welches das einzige ernstzunehmende Angebot für die IRIS2-Ausschreibung abgegeben hat und nun den Zuschlag bekommt, sind aber nur die alten Raumfahrt- und Telekommunikationskonzerne vertreten. „Wir haben im Parlament sehr für die Start-up-Klausel gekämpft, und ich bin froh, dass sie in der Verordnung steht“, sagt Nienaß, der für die Grünen-Fraktion die Verhandlungen geführt hat. „Ich fürchte aber, dass die Kommission das nun nicht streng genug umsetzt.“

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Dabei werden gerade im Bereich des Satelliteninternets innovative Ideen benötigt, um mit der US-Konkurrenz mithalten zu können: Für den Empfang der Starlink-Signale war bislang etwa eine etwa vier Kilogramm schwere Antenne mit den Abmessungen eines DIN-A3-Blatts nötig. Anfang Januar hat SpaceX allerdings sechs neuartige Satelliten gestartet, die als fliegende Funkmasten agieren. Sie senden Mobilfunksignale aus dem All, die von jedem LTE-fähigen Smartphone empfangen werden können – ganz ohne speziellen Chip. Eine erste Textnachricht hat SpaceX nur wenige Tage nach dem Start erfolgreich aus dem Orbit übermittelt.

Sechs Provider sind zu Beginn mit dabei, aus Europa einzig das Schweizer Unternehmen Salt. Noch sind die verfügbaren Bandbreiten gering, Musk spricht von sieben Megabit pro Sekunde, etwa die Hälfte eines veralteten Standard-DSL-Anschlusses – und das für den ganzen Satelliten. Nächstes Jahr will Starlink aber in der Lage sein, auch Sprache und Videos direkt aus dem All auf Smartphones zu übertragen.

Europa ist von solchen Fähigkeiten noch weit entfernt. Ob man mit den IRIS2-Satelliten auch direkt mit dem Smartphone, ohne zusätzliche Bodenstation, wird kommunizieren können, war bei Redaktionsschluss noch offen.

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