Massenentlassungen, nach nur einem Tag wieder deaktivierte neue Features und ein Anstieg an Hatespeech: Die Übernahme von Twitter durch Tech-Milliardär Elon Musk verläuft alles andere als reibungslos. Für viele Nutzer:innen ein willkommener Anlass, sich nach einer Alternative umzusehen.
Derzeit steht vor allem die quelloffene Twitter-Alternative Mastodon hoch im Kurs der Wechselwilligen. Aber Mastodon ist in Wahrheit nur ein Teil eines viel umfassenderen Konzepts: nämlich des sogenannten Fediverse.
Was ist das Fediverse?
Das Kofferwort Fediverse setzt sich aus den Bestandteilen „federation“, also Föderation, und „Universe“, sprich: Universum, zusammen. Gemeint ist damit ein Netzwerk untereinander verknüpfter Webdienste, die zwar alle unabhängig voneinander betrieben werden, aber über verschiedene Schnittstellen Informationen untereinander austauschen können.
Der Clou dabei: Wenn ihr auf einer Fediverse-Instanz einen Nutzernamen anlegt, könnt ihr euch damit über die Grenzen des jeweiligen Servers hinweg mit Nutzer:innen auf anderen Instanzen austauschen. Am Beispiel von Mastodon bedeutet das beispielsweise, dass ihr Nachrichten lesen und Personen folgen könnt, die auf anderen Servern beheimatet sind.
Da das Fediverse auf eine Vernetzung einer Vielzahl von unabhängig betriebenen Servern setzt, gibt es im Gegensatz zu kommerziellen Diensten wie Facebook, Twitter oder Youtube auch keine einzelne Instanz, die den Informationsfluss kontrollieren und etwaig unerwünschte Inhalte löschen kann.
Was gibt es außer Mastodon noch im Fediverse?
Wie bereits erwähnt ist Mastodon nur einer von vielen Diensten, die sich dem Fediverse zurechnen lassen. Mit Friendi.ca, Diaspora oder Socialhome gibt es im Fediverse auch gleich mehrere veritable Facebook-Alternativen. Pixelfed wiederum ist eine offene Alternative zum Bildernetzwerk Instagram. Mit Peertube gibt es außerdem auch einen Youtube-Ersatz.
Das ist allerdings längst nicht alles. Auch Dateihosting, Austausch von Musik oder Livestreaming ist als Fediverse-Software verfügbar. Allerdings muss an der Stelle erwähnt werden, dass nicht alle Dienste notwendigerweise dieselben Kommunikationsschnittstellen nutzen und dementsprechend Informationen miteinander austauschen können.
Immerhin wird das 2018 vorgestellte ActivityHub-Protokoll mittlerweile aber von fast allen Fediverse-Programmen eingesetzt. Das bedeutet beispielsweise auch, dass ihr auf Mastodon einem Kanal auf Peertube folgen könntet. Sobald der Kanal ein neues Video veröffentlicht, taucht der Clip dann auch in eurer Mastodon-Timeline auf. Der Vorteil gegenüber den klassischen sozialen Netzwerken liegt also darin, dass ihr nicht für jede Art von Aktivität ein eigenes Konto benötigt.
Worauf muss ich im Fediverse achten?
In der Vergangenheit hatten Facebook oder Twitter immer wieder Probleme damit, die Verbreitung von Fehlinformationen und Hassbotschaften einzuschränken. Wer deswegen ins Fediverse ausweichen möchte, könnte allerdings enttäuscht werden. Prinzipbedingt kann niemand alle im Fediverse verbreiteten Inhalte kontrollieren.
Ein Server kann zwar beispielsweise die Inhalte einer von Rechtsradikalen kontrollierten Instanz den eigenen Nutzer:innen vorenthalten, da sind diese Inhalte aber trotzdem. Gleichzeitig könnte es euch aber auch passieren, dass die von euch genutzte Instanz von anderen Servern gesperrt wird, weil ihnen bestimmte Inhalte anderer Nutzer:innen derselben Instanz nicht passen.
Im Fediverse solltet ihr noch gründlicher als sonst überlegen, was ihr eigentlich teilt. Löscht ihr einen Beitrag auf Facebook, dann wird der auch niemandem mehr angezeigt. Wenn ihr aber einen Beitrag im Fediverse löscht, obliegt es letztlich allen verbundenen Servern, ob sie die Löschung ebenfalls vornehmen. Wenn nicht bleiben die Inhalte weiterhin im Netz.
Auch in Sachen Privatsphäre müsst ihr aufpassen. Aus technischer Sicht hindert beispielsweise nichts die Betreiber:innen der von euch genutzten Mastodon-Instanz daran, eure Direktnachrichten mitzulesen. Das wiederum trifft aber auch auf die großen Social-Media-Anbieter zu. Letztlich solltet ihr daher immer überlegen, welche Nachrichten ihr über einen nicht per Ende-zu-Ende-Verschlüsselung geschützten Kanal schickt – völlig unabhängig davon, ob ihr im Fediverse seid oder nicht.
„Gleichzeitig könnte es euch aber auch passieren, dass die von euch genutzte Instanz von anderen Servern gesperrt wird, weil ihnen bestimmte Inhalte anderer Nutzer:innen derselben Instanz nicht passen.“
Das ist das alte Leid mit den geteilten Informationen und Daten: irgendwann verliert man die Kontrolle über die heraus gegebenen Informationen und muss noch restriktiver vorgehen, als das bei zentralen Instanzen gegeben ist.
Im Grunde riecht das bereits wieder nach den immer wieder auftauchenden grundsätzlichen Naivitäten der Codergemeinde. Besser wäre es, eine zentrale Instanz zu schaffen, in dem erfahrene Medienmacher in Verbindung mit öffentlich-rechtlichen Instanzen eine kontrollierte Medienumgebung schaffen, die den jetzt geltenden Regeln ausnahmslos unterworfen sind und auch so kontrolliert werden. Und das Ganze auf europäischer Ebene. Vom technischen Hintergrund her sind solche Medienanbieter längst in der Lage das aufzusetzen.
Technisch betrachtet ist das nicht das ganz große Riesending. Aber die redaktionelle Betreuung und Verwaltung der Beiträge kann dann ganz anders aufgefädelt werden und das ist das eigentliche Kernthema. Kommerzielle Anbieter, das kann man jetzt ja schon sehr deutlich erkennen, sind da massiv überfordert, auch wenn die angeblich massive Genies am Werken haben.
Das Gute am Fediverse ist doch, dass es eben *keine* zentrale Instanz und auch *keine* kontrollierte Medienumgebung gibt. Warum soll man das aufgeben?