Das Female-Empowerment-Duell im Changerider: „Wenn wir nichts tun, brauchen wir über 275 Jahre, bis wir echte Geschlechtergerechtigkeit hergestellt haben.“
„Fuck Female Empowerment“ – oder ist es der einzige Weg für Chancengerechtigkeit und Diversity? Diese Frage steht im Fokus der aktuellen Changerider-Folge. Für ersteres steht die Influencerin Celine Flores Willers. Magdalena Rogl hält dagegen, dass auch heute noch wahnsinnig viel Ungleichheit in der Arbeitswelt herrscht, insbesondere in den Führungsetagen. „Hier geht uns unglaublich viel Potential, auch Innovationspotential verloren. Deshalb engagiere ich mich so stark dafür, dass mehr Frauen die Chance bekommen, einen Weg zu gehen, wie ich ihn gehen konnte. Das stärkt unsere Zukunftsfähigkeit.“
Celine Flores Willers hat „einen kometenhaften Aufstieg als Linkedin-Influencerin hingelegt“, so Philipp Depiereux. Sie leitet große Konferenzen als Moderatorin und hat aktuell auch ihr eigenes Unternehmen gegründet. Mit The People Branding Company unterstützt sie Menschen beim erfolgreichen Aufbau ihrer eigenen Personal Brand, damit diese selbst eine größere Sichtbarkeit in sozialen Netzwerken erreichen. Im letzten Jahr hat sie auf Linkedin den Beitrag „Fuck Female Empowerment“ veröffentlicht, in dem sie den Punkt vertritt, dass sich Frauen letztlich selbst im Weg stehen. „Fakt ist, wir sollten Talente fördern – unabhängig von Geschlecht, von Hautfarbe oder Herkunft. Einfach auf Basis von Leistung. Mit dem Artikel will ich außerdem an Frauen appellieren, selbst aktiv zu werden und dies zu tun, was sie wirklich wollen. Denn wir müssen nicht dafür sorgen, dass wir mehr Frauen in Führungspositionen heben, sondern die Frauen müssen selbst dafür sorgen, dass sie dahin kommen.“ Und nicht jede Frau würde schließlich eine Führungsposition anstreben. Es sei auch völlig ok, eine Familie zu gründen und zu Hause bleiben zu wollen.
Magdalena Rogls Werdegang unterscheidet sich vom klassischen Karrierepfad. „Ich muss sagen, ich wäre heute nicht da, wo ich bin, ohne ‚female empowerment‘. Ich bin wahnsinnig dankbar und stolz, wie viele Menschen mich auf diesem Weg unterstützt haben und mir geholfen haben, Hindernisse zu überwinden.“ Rogl ist gelernte Kinderpflegerin und hat in diesem Beruf auch fünf Jahre gearbeitet. Mit 19 Jahren hat sie ihr erstes und mit 23 ihr zweites Kind bekommen und war mit 25 Jahren bereits alleinerziehend. Sie hat kein Abitur und kein Hochschulstudium. Dennoch hat diese persönliche Situation dafür gesorgt, dass sie einen zweiten Karriereweg eingeschlagen hat, der sie schließlich zu Microsoft geführt hat.
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„Ich war schockiert, wie viel Sexismus immer noch in der Wirtschaft vorherrscht.“
Rogl sagt selbst, dass sie keine geborene Feministin ist, aber mit dem Blick zurück sieht sie heute die Ungleichheit in der Arbeitswelt. „In dem gesamten pädagogischen Bereich gibt es kaum Männer. Das ist sehr schade, da es aus pädagogisch, psychologischer Sicht am besten für die Entwicklung des Kindes ist, wenn beide Geschlechter präsent sind.“ Ganz besonders hat sie es aber im Zuge ihre beruflichen Veränderung gespürt. „Ich habe dann sechs Jahre in einer Online-Redaktion gearbeitet und habe da sehr stark gemerkt, wie schwierig es für mich als junge Frau und gleichzeitig Mutter ist, Fuß zu fassen und ernst genommen zu werden. Und vor allem als ich versucht habe, mich beruflich weiterzuentwickeln und auf Jobsuche war, war ich schockiert, wie viel Sexismus immer noch in der Wirtschaft vorherrscht. In Bewerbungsgesprächen wurde ich gefragt, wie es denn für meinen Partner sei, wenn ich Vollzeit arbeite, ob der damit kein Problem hätte. Ich wurde gefragt, wer Schuld an der Trennung war, weil meistens sei ja die Frau die zickige – Situationen, wo man wirklich sprachlos dasitzt.“ Ähnliche Situationen gab es noch viele Male, die Rogl bewusst gemacht haben, dass wir noch einen ganz schön langen Weg zu gehen haben. Für sie ist ‚female empowerment‘ daher sehr wichtig. „Wir müssen die Privilegien, die wir, Celine und ich, haben, nutzen, indem wir dafür sorgen, dass noch mehr Frauen in diese Rollen kommen.“
Die Zahlen und Statistiken sprechen aus Rogls Sicht jedenfalls eine eindeutige Sprache: „Wir haben nur ein Drittel an Frauen im Bundestag, in den Dax-Vorständen sind 14 Prozent Frauen, über 60 Prozent der Dax-Vorstände sind komplett männlich. Wenn wir uns die Statistiken vom World Economic Forum anschauen, dann brauchen wir in Deutschland, wenn wir nichts aktiv dafür tun, noch über 275 Jahre, bis wir echte Geschlechtergerechtigkeit hergestellt haben.“ Rogl argumentiert daher, auch Richtung Willers, dass nur, weil man persönlich für sich keinen Sinn in ‚female empowerment‘ sehe, es nicht heißt, dass es das nicht brauche.
„Ich habe das Gefühl, dass die Bewegung in ein toxisches Extrem ausartet.“
Der Unterschied der beiden Frauen in diesem „Changerider-Duell“ liegt letztlich im Detail, denn vielen Punkten stimmt Willers durchaus zu. „Ein Punkt, der mir trotzdem wichtig ist“, so Willers, „ich glaube nicht, dass wir diese ‚female empowerment‘-Events brauchen, sondern wir brauchen einen Dialog, der die ‚alten weißen Männer‘, wie man sie immer so schön betitelt, mit ins Boot holt. Ich glaube nicht, dass eine Gruppe unter sich Sachen alleine lösen kann, wenn es denn diese strukturellen Probleme noch so extrem gibt. Ich habe das Gefühl, und das ist auch mein zentraler Kritikpunkt an der Bewegung, dass es in ein toxisches Extrem ausartet. Da bleiben plötzlich Menschen einer Gruppe unter sich, dabei müssen wir letztlich alle an einen Tisch kommen.“
Toxisch empfindet es Willers insbesondere deshalb, weil dieser „Hype“ Frauen unter Druck setze und ihnen das Gefühl gebe, sich zu Hause um die Familie zu kümmern, werde gar nicht mehr akzeptiert, es sei nicht genug – weshalb sich Frauen minderwertig fühlen würden. „Wir dürfen aber nicht vergessen, es gibt auch die Männer, die vielleicht gerne Hausmann und Vollzeit-Papa sein würden“, ergänzt Rogl. „Echter Feminismus steht dafür, dass es wirklich eine Chancengleichheit gibt – auch darin, Eltern zu sein.“
Wir müssen das Gespräch miteinander suchen, um alte Denkmuster aufzubrechen
Wie schnell sich Diskriminierungen im Alltag, vor allem auch unbeabsichtigt, einschleichen, musste auch Changerider-Initiator und Moderator Philipp Depiereux feststellen. Auf seiner ersten Interview-Fahrt fragte er Magdalena Rogl – ganz bewundernd –, wie die mittlerweile vierfache Patchwork-Mutter ihrer Karriere, ihre öffentlichen Auftritte, die großen Konferenzen dieser Welt und auch noch Familie und Alltagsleben unter einen Hut bringe. Rogl antwortete damals ganz direkt: „Keiner würde auf die Idee kommen, meinem Mann diese Frage zu stellen.“ Heute gibt er zu: „Es war Bestandteil meines Denkmusters.“ Mit ihrer Antwort habe Rogl ihn aber auch durch eine Veränderung gebracht. Rogl betont auch, dass sie wisse, dass es von 90 Prozent der Menschen wertschätzend gemeint sei. „Ich habe es früher auch als Kompliment gesehen, wenn ich als Power-Frau bezeichnet wurde, aber niemand würde auf die Idee kommen, zu sagen ‚der Power-Mann Philipp, der die tollen Changerider-Interviews macht.‘ Ich glaube, wir müssen uns gegenseitig dabei helfen, unser Denken zu verändern, und vor allem den Dialog suchen.“
Weitere Themen in diesem Changerider-Duell sind Erziehung und Bildung, warum das Thema Diversity gerade auch mit Blick auf Algorithmen und künstliche Intelligenz so wichtig ist („Diese Zukunftstechnologien werden bestimmen, wie unsere Welt, wie unsere Gesellschaft aussehen wird.“ – Rogl), wie auch die Partnerwahl die Frauenrolle manifestiert („Studien zeigen, dass sich Frauen Männer aussuchen, die gute Jobs haben, wohingegen das für Männer völlig irrelevant ist und Frauen darauf achten, was der Mann ihnen für ein Standard bieten kann.“ – Willers) und was man denn überhaupt tun kann („In Wirtschaft und Politik wird die Frauenquote nötig sein, damit wir die Gerechtigkeit erreichen.“ – Rogl. „Ich halte von Quote nichts. Es wird dann immer heißen, ihr seid hierher gekommen wegen der Quote. Das will ich mir nicht anhören müssen.“ – Willers).
Celine Flores Willers appelliert am Ende noch einmal dafür, Talente zu fördern, unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Hautfarbe. „Das ist unglaublich wichtig, denn ohne die ‚young talents‘ und ohne diverse Teams werden wir alle keine Zukunft haben.“ Einigkeit besteht bei der Wichtigkeit des Dialogs. Magdalena Rogl ergänzt: „Sprecht miteinander und vor allem: hört einander zu. Wenn wir immer nur selber reden, dann wiederholen wir nur das, was wir sowieso schon wissen. Wenn wir zuhören, haben wir die Chance, unser Bewusstsein zu erweitern. Außerdem muss man auch mal aushalten, dass es vielleicht andere Meinungen gibt, aber es gibt uns die Möglichkeit, unsere Meinung zu ändern oder neue Aspekte hinzuzufügen.“
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