Wissen ist Macht? Warum Fragen im Job wichtiger denn je sind

Zwei Typen von Menschen verhindern jede Innovation, jeden Fortschritt: Die, die sich nicht trauen, zu fragen. Und die, die schon alles wissen. Beide wurden als Kinder zu ihrer Haltung erzogen. Und beide strahlen eine Selbstverständlichkeit aus, die jeden Ansatz zur Veränderung vergiftet.
Doch wir benötigen mehr Fragen. Wir benötigen Menschen, die solche Dinge sagen:
- Ich kenne die Unternehmensgeschichte von Telefunken nicht. Was meinst du damit, dass es bei uns ähnlich laufen könnte?
- Wie funktioniert eigentlich eine KI?
- Ich habe heute noch gar keine Nachrichten gelesen, kannst du mir Kontext geben?
- Du, wenn ich ehrlich bin, verstehe ich den Zusammenhang zwischen Atomenergie und Klimaerwärmung nicht so richtig. Kannst du mir das erläutern?
Und so weiter. Doch warum fällt diese Neugierde so schwer?
Der Fluch der Souveränität
Zwei Gründe halte ich für zentral. Der eine liegt darin, wie Menschen ausgebildet werden. Der andere liegt darin, wofür sie Aufmerksamkeit und Anerkennung bekommen. Beginnen wir mit der Ausbildung.
Je nach Ausbildungsstätte passiert es, dass die „oben“, die mit den Antworten sind, und die „unten“, die mit den Fragen. Ist es umgekehrt, dann werden Fragen zur Prüfung des Wissens verwendet – und das kann unangenehm sein. Wer nicht alle Antworten hat, ist der Erniedrigung ausgesetzt. Das knüpft direkt daran an, dass Neugierde früher mal etwas Schlechtes war – auch wenn niemand sagen konnte, warum. Dass das niemand sagen konnte, ist wieder ein Teil des Problems. Doch wenn Neugierde lange genug unangenehm ist, dann hören Menschen auf zu fragen.
So baut sich innerlich die Haltung auf: Ich bin sicher vor Kritik und Erniedrigung, wenn ich alle Antworten habe. Und natürlich hat niemand alle Antworten. Also hilft nur eins: Souveränität. Und Souveränität bedeutet im Kern, Hoheitsrechte auszuüben – unhinterfragt Meinungen und Dinge, die man sich gerade plausibel ausgedacht hat, als Tatsachen zu benennen, gehört dazu. So wird das „ich habe es geschafft“ zu einem Fluch.
Antworten als Zwangsstörung
Natürlich gilt der Grundsatz, dass jede Frage eine interessante Frage ist. Anders gesagt: Es gibt keine dummen Fragen. Und doch ist jede Frage immer eine Selbstoffenbarung im Sinne des Psychologen Friedemann Schulz von Thun: Ich weiß das nicht, bitte sag mir das. In der Beziehung kann sie sogar eine Unterordnung sein: Ich weiß es nicht, ich vertraue darauf, dass du es weißt.
Das bringt uns zu den Fachexperten. Sie werden dafür angeheuert, dass sie Dinge können und wissen. Sie dürfen bei ihrer Arbeit neugierige Fragen stellen, das müssen aber gute, informierte Fragen sein. Sie müssen außerdem auch Antworten haben, Erfahrung, Wissen. Diese Haltung schleift sich bald überall ein. Der Druck in hohen Fachpositionen verändert Menschen. Irgendwann ist man es so gewohnt, dass es schwerfällt, dem eigenen Kind zu sagen, dass man eigentlich keine Ahnung hat, was genau in den Kondensstreifen am Himmel so drin ist (habe nachgeschaut: Eiskristalle, dann Wassertropfen). Also sagt man „Abgase“, was jetzt im Kern nicht falsch ist, aber doch ein falsches Bild erzeugt. Antworten als Zwangsstörung.
Am Ende ist die Selbstverständlichkeit des Auftritts der Faktor, der zum Scheitern führt. Denn wo keine Neugierde ist, da wird kein Wissen hinzugefügt. Und irgendwann reicht das, was man hat, einfach nicht mehr aus. Bis einer mal die Frage aller Fragen stellt: „Hä?“ – und alle in der Runde merken, dass niemand tief genug in der Materie steckt, um groben Unfug zu verhindern.
Neugierde: Fragen macht Freunde
Das Verrückte an dieser Kultur des Wissens ist, dass wir durch Fragen sympathischer wirken. Kompetent wirkt man durch gute Fragen, hört man immer. Aber ganz ehrlich: Wenn ich zugebe, dass ich leider die Koalitionsverhandlungen aus dem Blick verloren habe, dann wirke ich nicht kompetent, sondern ignorant. Und manchmal ist das okay.
Wer zugibt, etwas nicht zu wissen, nicht zu verstehen, nicht verfolgt oder noch nie davon gehört zu haben, der offenbart damit aber etwas, dass alle anderen Menschen teilen: Wir wissen nicht all die Dinge, die wir gern wissen wollen. Wir wissen auch nicht all die Dinge, die wir gefühlt wissen sollten. Und das geht allen anderen auch so. So kann uns unsere Neugierde verbinden: „Du hast das verfolgt? Großartig! Kannst du mich auf Stand bringen? Danke!“
Es ist dabei noch nicht einmal nötig, sich zu rechtfertigen. Ich weiß, dass du so viel mit der Familie, dem Job, der Konferenz, den Erkältungen und whatever um die Ohren hattest. Die Menschen um dich herum wissen das auch. Deine Neugierde gibt ihnen die Bühne, das Wissen, in das sie Zeit und Energie investiert haben, zu reproduzieren. Fragen macht Freunde. Und schlauer macht es auch.