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So funktioniert Ausbildung per Webinar in Coronazeiten: Die digitale Hebamme

IT-Spezialisten setzen ein Webinar in einer Stunde auf und liefern eine gute Performance ab. Aber was, wenn der Veranstalter das nie gemacht hat, nie vor der Kamera stand und auch noch Dinge präsentieren muss, die nicht am Bildschirm stattfinden. Ein Protokoll.

Von Frank Puscher
8 Min. Lesezeit
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(Grafik: Shutterstock)

Die Bitte kam nicht überraschend, die Dringlichkeit schon. Eine gute Freundin – nennen wir sie Michaela, denn sie heißt auch wirklich so – bat mich, ihr zu helfen, ein Webinar für einen Geburtsvorbereitungskurs aufzusetzen. Am 15. März hat das Land Nordrhein-Westfalen die Schulschließungen verordnet und aus dem gleichen Grund war ein Präsenzkurs mit den Schwangeren und ihren Partnern nicht mehr möglich. Aber die Geburt naht ja trotzdem.

Das Planungstreffen

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Wir trafen uns am Sonntag für ein erstes Planungsgespräch. Die Eckdaten: Das Seminar musste am kommenden Freitag und Samstag stattfinden. An beiden Tagen waren drei Zeitstunden und jeweils eine zehnminütige Pause eingeplant. Es sollte zwei Präsentatorinnen geben, die Hebamme und eine Trageberaterin, aber beide sollten sich abwechseln. Insgesamt wurde mit 15 Teilnehmern gerechnet.

Bis hierher gab es also kein Problem. Aber fast im Nebensatz sagte Michaela, dass auch das Anlegen der Tragetücher demonstriert werde und sie mit diversen Utensilien Dinge live präsentieren wollte. Für sie war das nichts Besonderes, bei mir löste es einen Schweißausbruch aus: Wie setzt man vor einer Webcam Dinge in Szene, die zwei bis drei Meter von der Kamera entfernt stattfinden? Die Kamera kriegt das hin, aber was ist mit dem Ton? Und welche Probleme bereitet der Wechsel im Setup, wenn er live geschieht?

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Die Lösung: Wir entschlossen uns, die „beweglichen Teile“ als Video vorzuproduzieren. Dafür war genug Zeit, und aufgezeichneter Ton macht weit weniger Mühe als Live-Ton.

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Der Ton macht die Musik und die Probleme

Am Montag wählten wir eine Software aus. Zoom fiel aus, weil es auf 40 Minuten limitiert war. Adobe Connect hatte eine grauenvolle Tonqualität und das Interface wirkte wenig intuitiv. Also blieben wir beim dritten Tool hängen: Clickmeeting aus Danzig. Bild- und Tonqualität waren gut – was ich im Hinterkopf auch mit dem Serverstandort in Verbindung brachte, ohne zu wissen, ob das stimmt – und die Software bot uns eine wichtige Zusatzfunktion: Sie verfügt über eine Integration von Youtube. Man kann also Videos auf Youtube hosten und dann in Clickmeeting abspielen.

Das nahm mir die größte Sorge – nämlich dass die vorproduzierten Videos bei manchen Teilnehmern nicht gut laufen könnten. In meiner täglichen Praxis habe ich es noch nie erlebt, dass ein per Screensharing gestartetes Video bei den Teilnehmern gut läuft.

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Dienstag, 17. März. Wir treffen uns zum ersten Videodreh. Ich bringe zwei Kameras und ein Smartphone zur Aufzeichnung mit sowie diverse Stative und Mikrofone. Die Aufzeichnung findet im Yogaraum der Hebamme statt. Fast unmöbliert, drei bis vier Meter hoch und Holzfußboden. Den Tontechnikern unter euch kräuseln sich jetzt vermutlich die Fußnägel.

Kragenmikro und MP3-Rekorder

Schnell war klar, dass kein Raum-Mikro funktionieren würde, zumal uns eine Hilfskraft fehlte, die eine Ton-Angel hätte bedienen können. Also fiel ich zurück auf mein bewährtes Interview-Setup: Michaela bekam ein Kragenmikro und einen kleinen MP3-Rekorder in die Hosentasche. Dadurch konnte sie sich frei bewegen. Jede Form des Headsets oder im Gesicht montierten Mikrofons fiel aus ästhetischen Gründen aus. Michaela wollte keine Technik im Bild haben, denn das passt nicht zum Thema.

Eine befreundete Yogatrainerin hat es mit Earpods versucht. Tatsächlich riss die Bluetooth-Funkstrecke aber mehrfach ab. Nicht schlimm, aber suboptimal.

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Die Kameras stellten wir instinktiv richtig auf. Eine Totale, ein Close-up sowie das Smartphone, das auf den Geburtsatlas zielte, an dem Michaela den Geburtsverlauf zeigen wollte. Die Kamera fürs Close-up stand zunächst zu weit auf der Seite. Das wäre für eine Doku ein gutes Bild gewesen, aber nicht für eine Aufnahme, in der Michaela ja direkt das Publikum anspricht. Am Ende waren Haupt- und Close-up-Kamera fast auf einer Achse.

Das wichtigste Learning bei der Aufnahme war die manuelle Fixierung von Schärfe und Belichtung. Ich wollte auf jeden Fall ein „Pumpen“ im Bild vermeiden.

Voraufzeichnung der Videos

Die Aufnahmen waren eine Katastrophe. Nicht aus technischer Sicht, sondern Michaela war extrem angespannt und fand sich selbst furchtbar. Auf ihren Wunsch hin drehten wir am Mittwoch das Ganze noch mal. Ich streute Scherze zwischendurch ein und wir brachen immer wieder ab, wenn sie zu ernst wurde. Allmählich wurde sie lockerer.

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Im Schnitt tat ich mich sehr schwer mit der Angleichung der Bilder der verschiedenen Kameras. Natürlich hätte ein manueller Weißabgleich das verhindern können, aber diese Option stand nur bei einer der Kameras zur Verfügung.

Der Ton bereitete hingegen überhaupt kein Problem. Nach etwas Online-Recherche und ein paar Versuchen mit den eingebauten Effekten von Adobe Audition stolperte ich über das Plugin Dereverb von Accusonus. Einfacher kann man Hall nicht wegmachen. Es gibt sicher noch bessere Werkzeuge, aber nicht für 50 US-Dollar.

Die Youtube-Videos müssen „öffentlich“ sein, können aber auf „nicht gelistet“ stehen. (Screenshot: Youtube/Frank Puscher)

Donnerstag war Livetest. Die fertigen Videos waren gut. Da Michaela den Kurs schon unzählige Male gehalten hat, war sie bei der Vermittlung der Inhalte sehr präzise. Von der Kamerapräsenz her gefiel sie sich immer noch nicht, aber sie nahm es grummelnd hin, als wir durch Dritte, die nicht an der Produktion beteiligt waren, bestätigen ließen, dass es funktioniert.

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Unser technisches Setup klappt überraschenderweise reibungslos. Auch im Livebetrieb will Michaela kein Mikro, also wählen wir wieder das Kragenmikro, diesmal per Kabel an den Webinar-Laptop angeschlossen. Als Kamera dient eine externe Microsoft-Webcam, die nach wie vor alle qualitativ akzeptabel eingestuft werden kann und den großen Vorteil hat, dass man sie auf einem Stativ montieren und im Zweifelsfall justieren kann, ohne das Setup zu gefährden.

Gleich geht’s los

Freitag 20.3. Es ist Live-Day. Michaela bekommt einen großen Monitor, auf dem sie die Webinar-Software sieht. Das ist ein Fehler, denn sie ist immer abgelenkt, wenn ich Dinge korrigiere oder Videos vorlade. Beim nächsten Mal bekommt sie auf dem Monitor eine Teilnehmer-Ansicht. Deren Ton kann ich mir dann auf den Kopfhörer legen und so das Endsignal kontrollieren.

Da das Seminar von 18 bis 21 Uhr geht, bereiten wir eine „Notfall-Beleuchtung“ vor. Das stellt sich im Nachhinein als unnötig heraus, da die normale Raumbeleuchtung ausreichend ist.

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Der Geburtsvorbereitungskurs startet pünktlich, nur eine Teilnehmerin hat Einwahlprobleme mit dem Smartphone, weil sie die Browser-Variante versucht hat. Sie wechselt auf den Laptop und alles läuft.

Wir sind live

Nach einer Begrüßung und Einführung in den Kurs startet Michaela das erste Video. Das entpuppt sich als großer Segen, denn das gesamte Team bekommt sieben Minuten Verschnaufpause und wir können Michaela versichern, dass alles gut läuft.

Wir haben Glück. Es kommt den gesamten Abend zu keinen technischen Problemen. Michaela merkt, dass für ihre Art, zu arbeiten, der Chat das wichtigste Werkzeug ist. Wir hatten uns im Vorfeld noch Gedanken über andere Interaktionsmöglichkeiten gemacht, aber das wird verworfen. Eine Umfrage oder ein Quiz bringen kaum Mehrwert. Dagegen freuen sich die Teilnehmerinnen über vorbereitete Checklisten, die sie per Mail bekommen.

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Einen kleinen Hänger gibt es nach dem dritten Video. In Clickmeeting muss man auf den Button „Schließen“ drücken und nicht einfach nur das Video anhalten und das Fenster wechseln. So sind beim nächsten Öffnen der Youtube-Ansicht klassische Recommendations von Youtube zu sehen. Das will man nicht.

Nadine (rechts) kontrolliert permanent das Endergebnis als zusätzliche Teilnehmerin. (Foto: Frank Puscher)

Angesichts der guten Erfahrung vom ersten Tag werden wir am Samstag etwas unvorsichtig. Kurz vor Start des zweiten Seminartages platziere ich meinen Schreibtisch, auf dem der Moderationsrechner läuft, um, um Michaela mehr Audiokabel und somit mehr Bewegungsfreiheit zur Verfügung zu stellen. In der Hektik stecke ich das Mikrofon danach falsch ein und habe bis zwei Minuten vor Seminarstart keinen Ton. Stress pur.

Zum Start läuft es wieder. Michaela ist viel lockerer vor der Kamera und beginnt, mit ihr zu spielen. Bei einer Atemübung flüstert sie fast ins Mikrofon. Sie hat komplett vergessen, dass darin ein Risiko liegen könnte, und das ist gut so. Die Rollenverteilung ist inzwischen glasklar: Sie macht den Content, ich sorge für die Übertragung. Und sie vertraut dem Setup.

Der zweite Tag beinhaltet nur noch ein paar kurze Videos zur Trageberatung. Der Rest passiert in klassischem Webinar-Stil. Als eine Teilnehmerin eine Frage zum Geburtsatlas hat, kann ich die Kamera etwas zurückziehen, um den Bildausschnitt zu vergrößern und Michaela erklärt es live.

Das Kamera-Setup für die Videos: Ein besserer Farbabgleich wäre hilfreich gewesen. (Bild: Frank Puscher)

Der Kurs endet pünktlich und ohne nennenswerte weitere Vorkommnisse. Das Feedback der Teilnehmerinnen ist überwältigend. Und zu allem Überfluss hat der Hebammenverband just in der Nacht von Freitag auf Samstag bekannt gegeben, dass die Kosten für Online-Beratung von den Kassen übernommen werden.

Michaela – die eigentlich von Haus aus eine kritische Einstellung zu allem Digitalen hat – ist infiziert. Sie überlegt, auf der Grundlage der vorproduzierten Videos einen vollwertigen Video-Kurs anzubieten.

Fazit

Auch mit recht überschaubarem technischen Setup lässt sich ein ansehnliches Ergebnis erzielen, wenn man sich vorher genau klar macht, was die Teilnehmer erwarten und im Idealfall bekommen. Und wenn man das Glück hat, die potenziellen Fallstricke frühzeitig zu sehen, findet sich ein Workaround.

Die wertvollsten Learnings

  • Vorproduzierte Videos entspannen das Team und bilden ein perfektes Backup für eine Situation, wenn ein technisches Problem auftaucht.
  • Es gibt wohl nicht die eine, beste Webinar-Software. Sie muss zum geplanten Content, zur Gruppengröße und zur Interaktionsrate passen.
  • Fixiert alle Kabel mit Tape, wenn sie keinen Fixierungsstecker haben. Die Profis arbeiten mit einrastenden Steckern (BNC, XLR) oder mit Schraubsteckern (etwa bei 3,5-Millimeter-Klinke).
  • Wenn die Speaker unsicher im Umgang mit der Kamera sind, fixiert einfach ein ausgedrucktes Foto eines netten Menschen oberhalb der Kamera. Den kann man dann „ansprechen“.
  • Abwechslung im Bild bringt ein lebendiges Ergebnis.

Die größten Fehler

  • Niemals kurz vor dem Live-Start das Setup ändern.
  • Den Speaker nicht auf das Moderationsdashboard schauen lassen.
  • Niemals die Kamera unter Augenhöhe des Speakers platzieren,
  • Die vorproduzierten Videos sollten nicht lauter sein als das Mikrofon-Level.
  • Die erste Voraufzeichnung versuchte Michaela ohne Script. Das funktionierte nicht, obwohl sie die Inhalte aus dem Effeff kennt.
  • Durch die Kompression der Tragevideos ging Kontrast verloren. Das hätte man durch bessere Kleidungsauswahl ausgleichen können.

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