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Interview

Kommunikationsexperte zum Fall Kliemann: „Gut gelaufen ist hier wenig“

„Krise ist niemals geil“, sagt der PR-Berater und Krisenkommunikationsexperte Lucas Neurauter über den Shitstorm, der letzte Woche über Fynn Kliemann hereingebrochen ist. Im Interview verrät er Tipps, wie es hätte besser laufen können.

Von Insa Schniedermeier
7 Min.
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Muss in der Krisenkommunikation noch einiges lernen: Fynn Kliemann. (Foto: Hauke-Christian Dittrich/ picture alliance)

„So leid es mir tut: Gut gelaufen ist hier wenig“, sagt Lucas Neurauter, gefragt nach seiner Einschätzung zur Causa Fynn Kliemann. Neurauter arbeitet als Kommunikationsexperte und Unit-Director bei Bettertrust, einer Agentur für Public Relations und Reputationsmanagement mit Hauptsitz in Berlin, Pressesprecher der Ames Foundation, die sich für den Schutz von Wildleben in Afrika einsetzt, und berät zudem Reality-TV-Stars in ihrer Außenkommunikation. Wir haben mit dem Krisenkommunikationsexperten darüber gesprochen, wie man es hätte besser machen können und was Gründer:innen und Unternehmer:innen für ihre eigene Pressearbeit daraus lernen können.

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t3n: Letzte Woche brach über Fynn Kliemann ein Shitstorm herein, als das ZDF Magazin Royale ein Video über seine teils unehrlichen Geschäftspraktiken veröffentlichte. Der Vorwurf: Betrug und Täuschung von Verbraucher:innen und Geschäftspartner:innen. Wie hast du das als PR-Berater und Krisenkommunikations-Experte wahrgenommen?

Der PR-Experte und Krisenkommunikator Lucas Neurauter. (Foto: Bettertrust)

Lucas Neurauter: Wenn ein Shitstorm über ein Unternehmen hereinbricht, richtet sich die Wut und Enttäuschung meistens auf eine Gruppe von Menschen, in der Regel auf das Management. Das sorgt für eine gewisse Anonymität, hinter der sich die Akteur:innen des Geschehens verstecken können. Richtet sich der Shitstorm jedoch an eine Einzelperson, dann wird die Sache persönlich.

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Fynn Kliemann ist ein großes Vorbild für viele Menschen – also ein Influencer, wie er im Buche steht. Seine Fans fühlen sich getäuscht, da Jan Böhmermann mit seinem Team ein Geflecht aufgedeckt hat, das das Gutmensch-Image ihres Idols über Nacht zu dem eines berechnenden Geschäftsmanns gewandelt hat. Ich hatte dabei sofort das Gefühl, dass wir diesen Fall wohl noch länger diskutieren werden. Als PR-Berater betrachte ich den Fall auch deshalb jetzt ganz genau.

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t3n: Kurz vor der Veröffentlichung des Böhmermann-Videos hatte Kliemann ein Statement auf Instagram veröffentlicht, in dem er auf die E-Mail mit einem Fragenkatalog des ZDF antwortete. War das smart?

Klares Nein. Aus mehreren Gründen. Zunächst war es erstmal ein absolutes No-Go, die Mail der Redaktion offen und ungeschwärzt auf Instagram zu zeigen. Meiner Meinung nach hinterlässt das einen kleinen Riss in der Pressefreiheit. Man kann Kliemann hier wohl unterstellen, dass er versuchen wollte, die Veröffentlichung der Recherchen hinter den Fragen durch eine Vorab-Veröffentlichung zu erschweren. Das ist mindestens schlechter Stil.

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Zudem unterstellt er Böhmermann, mit seiner satirischen Art auch wahre Aussagen so hinzustellen, dass sie von seinen Zuschauer:innen hinterfragt werden. In den ersten Tagen vor der Ausstrahlung erntete Kliemann so große Zustimmung bei seinen Fans. In Anbetracht der Tatsache, dass dann doch alles anders kommen sollte, war das kein kluger Schachzug, da so Vertrauen erst aufgebaut und ein paar Tage später wieder zerstört wurde. Ganz davon zu schweigen, dass er wohl besser als erstes mit seinen Anwält:innen hätte sprechen sollen.

t3n: Wie hast du seine unmittelbare Reaktion auf das ZDF-Magazin-Royale-Video wahrgenommen?

Fynn Kliemann gab sich bedrückt und bereit, Klarheit zu schaffen. Nachdem er jedoch schon in seinem ersten Video Aussagen getroffen hatte, die dann vom ZDF nachweisbar widerlegt wurden, war das Vertrauen in ihn hier schon enorm gesunken – was sich auch in den Kommentaren unter seinem Video bemerkbar machte. Den größten Fehler, den man in der Krisenkommunikation machen kann, ist es, Aussagen zu treffen, die in wenigen Minuten Recherchearbeit überprüft und – im Worst Case – widerlegt werden können.

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In der Öffentlichkeit falsche Informationen zu verbreiten, die dazu auch noch weitere Akteur:innen auf das Spielfeld holen, kann sehr schnell nach hinten losgehen. Denn diese werden dadurch fast schon dazu gezwungen, ihre Sicht der Dinge an die Öffentlichkeit zu tragen. Das kann im ersten Moment den Druck nehmen – jedoch nur temporär. So fiel die Antwort von About-You-Chef Tarek Müller, Co-Founder von About You, unter Kliemanns Instagram-Post entsprechend hart aus – und kostete ihn weiteres Vertrauen und Authentizität. Im Grunde genommen hat sich Kliemann in seinem Post mehr versucht zu rechtfertigen, als wirklich Klarheit in die Sache zu bringen – oder sich zu entschuldigen.

Fynn Kliemann versuchte mit seinem Instagram-Posting, sich zu rechtfertigen. (Screenshot Instagram / t3n)

t3n: Was denkst du über seinen aktuellen Post?

Kliemann steht gegenüber der Öffentlichkeit mit dem Rücken zur Wand. In seinem aktuellen Post versucht er, Sympathiepunkte zu sammeln, indem er sagt, „die meisten von euch mochten mich vor 4 Tagen mehr als heute.“ Er verspricht: Keine „überhitzten Aussagen“ und Antworten mehr. Ich gehe stark davon aus, dass er nun mit einem Team an einer Stellungnahme arbeitet, die die aktuell emotional aufgeladene Situation ins Gute wenden soll. Aus Sicht der Krisenkommunikation ist das der Weg, den er von Anfang an hätte gehen sollen.

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t3n: Was hätte Kliemann besser machen können?

Hier muss man ganz konkret entscheiden, aus welchem Blickwinkel man die komplette Situation betrachtet: aus Sicht der Öffentlichkeit oder aus Sicht der Krisenkommunikation.

Aus Sicht der Öffentlichkeit hätte Kliemann von Anfang an mit offenen Karten spielen und echte Antworten liefern sollen, die für seine Fans und Geschäftspartner:innen Klarheit schaffen.

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Aus Sicht der Krisenkommunikation hätte Kliemann ein Team aus Anwält:innen und Kommunikationsexpert:innen zusammenstellen müssen, die mit ihm Schritt für Schritt alle öffentlichen Anschuldigungen sammeln, durchgehen, bewerten und nachvollziehen. Im zweiten Schritt hätte Kliemann mit seinem Team ein öffentliches Statement entwerfen sollen, das auf alle wichtigen Punkte eingeht. So wären öffentlichkeitswirksame Aussagen entstanden, die sich gegenseitig nicht widersprechen und die ihm Zeit verschaffen, seine Angelegenheiten zu klären.

t3n: In der Krisenkommunikation gibt es eine Regel, die Politiker:innen gerne verwenden: „Don’t explain, don’t complain“ – was denkst du darüber?

Diese Maxime stammt ursprünglich vom ehemaligen britischen Premierminister Benjamin Disraeli und wird heute zum Beispiel noch von Queen Elizabeth gelebt. „Never complain, never explain“ ist sozusagen das britische Pendant zu „Kein Kommentar“. So ganz zeitgemäß finde ich das nicht mehr. Unsere Gesellschaft hat über die Jahre – auch durch den uneingeschränkten Zugriff auf Informationen durch das Internet – einen enormen Wissensdurst entwickelt. Wie der jetzige Fall Fynn Kliemann beweist, ist die Wahrheit oft nur einen Klick weit entfernt. Deshalb halte ich persönlich nichts von durchgehendem Schweigen. Wenn man selbst auf Informationen stößt, die man eigentlich gerne vom Betroffenen erhalten hätte, entsteht meist ein größerer Image-Schaden. Es gibt aber bestimmt Fälle, in denen man lieber erstmal gar nichts sagt und direkt den juristischen Weg geht.

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t3n: Gibt es eine Faustregel in der Krisenkommunikation, die man als Unternehmer:in oder Gründer:in beachten kann, wenn man in eine ähnliche Situation gerät?

Jeder Krisenfall ist unterschiedlich, weshalb es nicht den „einzig richtigen Weg“ gibt. Allerdings gibt es ein paar Dinge zu beachten, die im Verlauf der Krise über Sieg oder Niederlage bestimmen können.

  1. Keine Alleingänge, kein blinder Aktionismus: Für Betroffene ist eine Krise psychisch extrem belastend. Meistens entsteht so der Drang, sich ohne felsenfeste Strategie sofort zu äußern, um es hinter sich zu bringen. Ich rate dazu, Expert:innen mit einzubeziehen und einen Plan zu entwickeln, um größere langfristige Schäden zu vermeiden.
  2. Den Ist-Zustand analysieren: Zu Beginn einer jeden Krise gilt es, alle Materialien zu sammeln, die die Krise betreffen. Was genau wird mir vorgeworfen? Welche Vorwürfe sind gerechtfertigt, welche nicht? Habe ich Dokumente oder Daten, die mich im weiteren Vorgehen unterstützen können?
  3. Weitsicht: Oft ist eine Krise nur der Beginn eines langanhaltenden Dauerfeuers. Behörden, Geschäftspartner:innen – und in diesem Fall Fans – werden sich fragen: Wenn das jetzt schon rausgekommen ist, gibt es dann noch mehr? Deshalb sollte man sein Unternehmen oder sich selbst hier selbstreflektierend und akribisch unter die Lupe nehmen, um weitere Angriffspunkte frühzeitig zu identifizieren – und darauf reagieren zu können.
  4. Schnelligkeit: Im Zeitalter des Internets ist Geschwindigkeit ein entscheidender Faktor. Zu langes Schweigen wird von der Öffentlichkeit oft als Geständnis gewertet. Mit einem guten Team steht einer schnellen Reaktion nichts im Wege.
  5. Vorbereitung: In der Gastronomie sagt man „Mise en Place ist die halbe Miete.“ Vorbereitung ist also das A und O. Das lässt sich auch auf die Krisenkommunikation anwenden. Wenn also ein Fehler bemerkt wird, der weitreichende Folgen haben könnte, rate ich dazu, mich auf eine potenzielle Konfrontation mit der Öffentlichkeit vorzubereiten. Im Bestfall bleibt der Fehler unentdeckt, im Worst Case ist man bereits auf eine Reaktion vorbereitet.
  6. Krise ist kein Sprint, sondern ein Marathon: Eine Krise ist meistens nicht nach einer Woche vergessen. Es stehen Ermittlungen vieler Instanzen an, die Öffentlichkeit ist alarmiert. Ich rate dazu, sich und im beteiligten Team möglichst viele Ressourcen freizuräumen.
  7. Screening: Es gibt viele professionelle Tools, um das Geschehen in den Medien und in den sozialen Medien zu screenen und zu sammeln. Damit kann man die Krise gut monitoren. Zudem bahnt sich eine Krise häufig langsam an und kann so früh erkannt werden, bevor es eskaliert.

t3n: Hast du noch letzte Worte für unsere Leser:innen? 

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Oft wird im Krisenfall lediglich versucht, sich selbst zu verteidigen. Die Öffentlichkeit ist allerdings härter als jedes Gericht. Man sollte keine Angst vor einer Entschuldigung haben. „Es tut mir leid, ich habe einen Fehler gemacht“ hat in den meisten Fällen nie geschadet und kann langfristig sogar für Sympathiepunkte sorgen. Sich einen Fehler einzugestehen ist einer der wichtigsten Punkte in der Krisenkommunikation, so schwer es einem auch fällt. Was ich abschließend noch sagen möchte: Krise ist niemals geil.

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