Gefühlsausbruch im Job: HR-Expertin erklärt, wann es okay ist, Emotionen zu zeigen

Trends wie „Vulnerable Leadership“ und das wachsende Bewusstsein für mentale Gesundheit zeigen, dass es längst kein Tabu mehr ist, auch im Arbeitskontext Gefühle zu zeigen. Aber wie sieht es aus, wenn Menschen im Meeting oder Büro tatsächlich in Tränen ausbrechen? Auch das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes ein, erklärt die Beraterin Rachel Weaven gegenüber Business Insider. Sie spricht aus 20 Jahren Erfahrung im Personalwesen.
Unternehmenskultur und Grund für die Tränen
Weaven stellt fest, dass es vorwiegend von der Unternehmenskultur abhängt, wie andere Teammitglieder oder Führungskräfte darauf reagieren, wenn eine Person am Arbeitsplatz weint. „Wenn man sich in einem Unternehmen psychologisch sicher fühlt, Emotionen zu zeigen, und dies unterstützt wird, geht man als gestärkte Person daraus hervor, während es andere Unternehmen gibt, in denen man bestraft wird, wenn man Emotionen zeigt“, beobachtet sie. Relevant sei dabei auch, welcher Generation die Führungskraft angehört und wie erfahren sie im Umgang mit den Gefühlen ihrer Mitarbeitender ist.
Auch der Grund, aus dem jemand in Tränen ausbricht, sei ausschlaggebend: Die meisten Kolleginnen und Kollegen hätten beispielsweise Verständnis dafür, wenn eine Person weint, weil sie einen Trauerfall erlitten hat. Schwieriger sei es, wenn sie wegen eines arbeitsbezogenen Problems weint; das würden ihr viele negativ auslegen. Andere wiederum deuten die Tränen als Zeichen von Engagement und Leidenschaft, was wiederum für die weinende Person spricht. Weaven kennt die Situation: „Wenn Menschen sich für ihre Arbeit interessieren, können Emotionen zum Vorschein kommen.“
Das bestätigt eine Studie der Harvard Business School aus dem Jahr 2016. Zwar erscheinen laut der Studie Menschen oft als weniger kompetent, wenn sie negative Gefühle offen zeigen – und zum Beispiel weinen. Begründen sie diese allerdings mit Leidenschaft bei der Arbeit, dann schadete diese ihrem Ansehen weniger, als wenn sie Emotionen als Ursache oder keinen Grund nannten.
Weinen ist menschlich
Dabei ist Weinen keine Seltenheit: Eine Studie der Personalvermittlung Accountemps aus 2018 hat ergeben, dass 45 Prozent der Beschäftigten in den USA schon bei der Arbeit geweint hat. Auch Führungskräfte – genau gesagt Chief Financial Officers (CFOs) – wurden zu dem Thema befragt und zeigen sich größtenteils verständnisvoll.
Knapp ein Drittel von ihnen gaben an, dass Tränen ein Zeichen für Menschlichkeit sind und keinen negativen Einfluss auf die Karriereperspektiven haben. 44 Prozent finden gelegentliches Weinen am Arbeitsplatz okay – nur, wenn es zu oft passiere, könne es den Karriereaussichten schaden. Doch immerhin noch 26 Prozent legen Weinen als Schwäche und persönliche Unreife aus und halten entsprechende Gefühlsäußerung bei der Arbeit für unangebracht.
Beschäftigte sollten also aufpassen, vor wem sie weinen. Wer merkt, dass er oder sie von den Gefühlen überrumpelt wird, sollte laut Weaven möglichst den Raum verlassen und einen ruhigen Ort – etwa Pausenraum oder Toilette – aufsuchen, um sich zu beruhigen. Weaven beobachtet zudem, dass viele Beschäftigte eher nicht im Meeting weinen, sondern in kleineren Runden, etwa im Gespräch mit der Führungskraft, der Personalabteilung oder vor vertrauten Kolleginnen und Kollegen. Gerade bei Letzteren sei in der Regel kein Problem. Wenn es jedoch vor der Führungskraft passiert ist, lohnt es sich laut Weaven, noch einmal das Gespräch zu suchen und die Gründe zu erklären. Denn: „Je besser sie euch und eure Arbeitsweise kennen, desto besser können sie mit euch umgehen.“
In einer repräsentativen Umfrage von Xing aus dem letzten Jahr, die unter anderem dem Schweizer Online-Portal Organisator vorliegt, gaben übrigens 87 Prozent der Befragten an, dass sie besser mit Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten können, wenn diese ihre Gefühle zeigen. Je nach Kontext können Tränen am Arbeitsplatz also durchaus zu einem positiven Teamklima beitragen.