Warum uns Hashtag-Aktivismus wie #allesindenArm nicht weiterbringt

Kennt ihr das? Diese Sätze, die mit „Eigentlich bin ich“ beginnen? „Eigentlich bin ich kein Nazi, aber“ und nach dem Aber kommt dann rassistische Scheiße oder Sexismus direkt aus den 50ern oder irgendwas, das in jedem Fall den Teil davor komplett entwertet. Man möchte eigentlich niemand sein, ich möchte eigentlich niemand sein, der solche Sätze sagt, aber … Naja, here we go.
Eigentlich …
Eigentlich bin ich keine, die Aktivismus verurteilt. Egal, ob er auf der Straße stattfindet oder im Internet. Es ist wichtig, Flagge zu zeigen, zu widersprechen und nicht zu der ominösen schweigenden Mehrheit zu gehören, die zwar alles Gute gut und alles Böse schlecht findet, aber eben schweigt. Dementsprechend finde ich es auch wichtig und richtig, sich dafür einzusetzen, dass sich noch mehr Menschen gegen das Coronavirus impfen lassen, damit wir diese verdammte Herdenimmunität erreichen und ich endlich wieder nicht ins Schwimmbad gehen kann, weil ich Schwimmen nicht mag. Und nicht, weil mein Leben wegen einem blöden Virus eingeschränkt ist. Von den vielen, vielen geretteten Menschenleben mal ganz zu schweigen.
… aber!
Aber – hier kommt’s, das Aber. Momentan geht auf Twitter der Hashtag #allesindenArm steil. Darunter posten Ministerpräsidentinnen, Musiker, Unternehmen und auch viele sogenannte normale Menschen zwei, drei Sätze, die einem bestimmten Schema folgen:
„Ich heiße Erwin Lindemann, ich bin 66 Jahre alt und ich führe eine Herrenboutique in Wuppertal. Ich bin geimpft. Wissenschaft und Solidarität sind der Weg aus der Pandemie. Deshalb: Lasst euch impfen! #allesindenArm
Das twittern die eifrigen Menschen zuhauf und lehnen sich dann zufrieden zurück mit dem Gedanken: „So kommen wir aus der Pandemie, ganz bestimmt.“ Jedenfalls stelle ich mir das so vor. Allerdings stelle ich mir eben auch vor, dass die, die zum jetzigen Zeitpunkt trotz Möglichkeit nicht geimpft sind, das vermutlich absichtlich sind. Verschwörungsideologie, Misstrauen dem Staat gegenüber, Angst vor Christian Drosten – was auch immer die kruden Begründungen sein mögen.
Dass man diese Menschen nicht mit sachlichen Argumenten überzeugen kann, weil sie es nicht wollen, ist inzwischen bewiesen. Insofern ist es naiv, ernsthaft zu glauben, dass Schwurbi McSchwurbelface plötzlich das Licht sehen und den richtigen Schritt tun wird, nur weil ich – oder irgendein:e Promi – öffentlich twittere, dass ich geimpft bin. Naiv – oder wir haben es mit einem astreinen Fall von Pseudo- oder Hashtag-Aktivismus zu tun. Gut fürs eigene Gewissen, sonst für nix.
Aber: Diskussion statt Tweet
Das wiederum – und hier kommt dann noch ein Aber – soll nicht heißen, dass es uns allen egal sein sollte, ob oder wann sich jemand impfen lässt. Im Gegenteil. Eine Werbekampagne oder eine Gratisportion Schweinsbraten allein werden es nicht richten, es braucht die gemeinsame Anstrengung.
Aber eben dort, wo noch was möglich ist. Schließlich geben auch rund 33 Prozent der Nichtgeimpften an, diesen Zustand eventuell ändern zu wollen. Sprecht also mit eurem Umfeld, mit den Leuten, zu denen ihr eine emotionale Beziehung habt. Drückt auf die Tränendrüse, bestecht sie mit noch mehr Fleischgerichten, wenn es sein muss. Aber denkt doch bitte nicht, dass wir das Problem auf Twitter und mit Hashtags lösen.
(Und ja, ich bin mir der Ironie bewusst, dass ich einen Kommentar ins Internet schreibe darüber, dass Leute nicht nur ins Internet schreiben sollen, anstatt sich aktivistisch zu betätigen.)
1.) Wenn sich alle impfen lassen, für die es eine Impfempfehlung gibt, haben wir dennoch keine Herdenimmunität. Die ist laut RKI gegen Corona nicht realistisch, auch bei sehr hohen Impfquoten (siehe u.A. https://www.welt.de/politik/deutschland/article235020290/Coronavirus-Das-Wort-Herdenimmunitaet-haben-wir-gestrichen-sagt-RKI-Chef-Wieler.html). Das spricht keineswegs gegen das Impfen – doch wenn man sich hier entsprechend überheblich gibt, sollte man auch die Fakten zusammen haben und Argumente bringen, die in den im Artikel zu Recht angemahnten Diskussionen standhalten.
2.) Das Thema „Überheblichkeit“. Wer pauschal alle, die noch nicht geimpft sind, als „Schwurbi McSchwurbelface“ bezeichnet, sollte vielleicht lieber Comics texten als für t3n schreiben. Das ist eine genauso sinnlose Polarisierung wie der sympathischer Weise kritisierte Hashtag-Aktivismus. Es sei denn, Sie gehen davon aus, dass sowieso nur Menschen Ihren Artikel lesen, die Ihrer Meinung sind. Dann aber müsste man ihn gar nicht erst publizieren, weil es dann auch nur eine Fortführung des Hashtag-Aktivismus‘ innerhalb der eigenen Filterblase ist.
Polarisierung generiert Klicks, so ist das leider auch bei diesem Artikel.