Die riesige Milchstraße, die weitaus größer ist als die meisten ihrer Nachbarn, entstand aus der Verschmelzung kleinerer Galaxien und in mehreren Abschnitten. Ihre dicke innere Scheibe entstand erstaunlich bald nach dem Urknall. Erst sehr viel später – nämlich nach der Kollision mit einer Zwerggalaxie rund zwei Milliarden Jahre danach – entwickelte sich der Halo, der die Galaxie umhüllt. All diese Erkenntnisse entstammen einer Studie, die am 23. März 2022 im Wissenschaftsjournal Nature veröffentlicht wurde.
Untersuchung von Unterriesen erlaubt Altersbestimmung
„Wir sind jetzt in der Lage, einen sehr klaren Zeitplan für die früheste Zeit unserer Milchstraße zu erstellen“, sagt der Astronom Maosheng Xiang.
Er hat gemeinsam mit dem Astronomen Hans-Walter Rix fast 250.000 sogenannte Unterriesen untersucht. Das sind Sterne, die größer und kühler werden, nachdem sie den Wasserstoffbrennstoff in ihrem Zentrum aufgebraucht haben. Deswegen lassen sich über die Korrelationen zwischen den Temperaturen und den Leuchtstärken dieser Sterne Altersfeststellungen treffen. Über eine ganze Armada an Sternen lässt sich so nachvollziehen, wie im Laufe der galaktischen Geschichte Sterne mit unterschiedlichen chemischen Zusammensetzungen und Umlaufbahnen um das Zentrum der Milchstraße entstanden sind.
Xiang und Rix, beide vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, kamen auf diese Weise zu dem Schluss, dass die dicke Scheibe der Milchstraße vor etwa 13 Milliarden Jahren entstanden sein musste. Das sind nur 800 Millionen Jahre nach der Geburt des Universums. In der dicken Scheibe bildeten sich noch bis vor etwa acht Milliarden Jahren neue Sterne.
In dieser Zeit stieg der Eisengehalt der dicken Scheibe um das 30-fache an, da explodierende Sterne das sternbildende Gas anreicherten, schreiben die Astronomen. Dabei zeigten die ältesten Sterne die höchsten Eisenmengen. Diese Korrelation erlaubte es den Forschenden, das Alter der Sterne bis auf wenige Prozent genau zu bestimmen. Wichtig dabei: es gab keine Korrelation zwischen dem Eisengehalt und der Position eines Sterns zum Zentrum der Galaxis.
Galaktische Kollision auf vor 11 Milliarden Jahren präzisiert
Xiang und Rix konnten im Rahmen ihrer Arbeit eine Entdeckung präzisieren, die bereits 2018 bekannt geworden war. Seither wissen wir, dass eine andere Galaxie einst mit unserer zusammengestoßen war, was ihr die meisten Sterne in ihrem Halo bescherte. Der Halo einer Galaxie ist ein annähernd kugelförmiger Bereich, der größer ist als die Galaxie selbst und in dessen Zentrum die Galaxie eingebettet ist.
„Wir fanden heraus, dass die Verschmelzung vor 11 Milliarden Jahren stattfand“, sagt Xiang. Das ist eine Milliarde Jahre früher als bislang angenommen. Die Forschenden schließen das daraus, dass sie sehr viele Sterne fanden, die vor etwa elf Milliarden Jahren entstanden sein mussten. Das führen sie auf die Gaskollision der beiden Galaxien zurück.
Für diese Theorie spricht auch, dass die Astronomen Sterne gefunden haben, die im Halo der Galaxis liegen und über ihren Eisengehalt anzeigen, dass sie mindestens elf Milliarden Jahre alt sind. Laut Xiang und Rix handelt es sich dabei um sogenannten „Splash-Sterne“, die beim Zusammenstoß der Galaxien aus der dicken Scheibe geschleudert worden waren.
Übrigens: diese Kollision war nicht die einzige in der turbulenten Geschichte der Milchstraße. Sie war lediglich die heftigste und zeitigte daher die deutlichsten Auswirkungen. Insgesamt hat die Milchstraße – wie eine Studie aus dem Jahr 2020 zeigte – seit ihrer Entstehung zehn kleinere und fünf größere Verschmelzungen erlebt.
Milchstraße beruhigt sich: Ohne Gas keine Sternengeburten
Letztlich ging dann der dicken Scheibe vor acht Milliarden Jahren das Gas aus, weshalb sie aufhörte, Sterne zu bilden. Frisches Gas um die Milchstraße setzte sich daraufhin in einer dünneren Scheibe ab, aus der seither Sterne hervorgegangen sind. Dabei entstand etwa die 4,6 Milliarden Jahre alte Sonne sowie die meisten ihrer Nachbarn.
„Die Milchstraße war in den letzten 8 Milliarden Jahren ziemlich ruhig“, sagt Xiang. Wenn die dicke Scheibe vor 13 Milliarden Jahren tatsächlich bereits existierte, so der Astronom, dann könnte das James Webb Space Telescope (JWST) künftig ähnliche Scheiben in Galaxien entdecken, die 13 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt sind. Damit könnten wir alsbald tiefergehende Einblicke in die Entstehungsgeschichte von Galaxien erhalten, die ähnlich alt wie die Milchstraße sind.