Iskender Dirik: Das war das größte Fuck-up des Wix-Chefs
Kreative Menschen, die einen hohen Output haben, produzieren nicht nur mehr Erfolge als der Durchschnitt, sondern auch mehr Misserfolge. Aus dieser Beobachtung heraus entstand die Idee für das Format „My biggest Fuck-up“. Für den heutigen Artikel erzählt Iskender Dirik, General Manager bei Wix.com, der weltweit führenden Website-Creation-Plattform, von seinem größten Fuck-up. Der studierte Betriebswirt mit Masterabschluss in Daten- und Informationsmanagement hat in den 20 Jahren seiner Karriere nichts anderes gemacht, als im Digitalbereich zu arbeiten: Als Startup-Gründer, Manager/CEO und als Risikokapital-Investor.
Neben seiner aktuellen Tätigkeit bei Wix.com ist Dirik Venture Partner bei EQT Ventures und Mitgründer der Non-Profit Organisation 2Hearts, die sich für mehr Diversität in der Tech-Branche einsetzt.
t3n: Herr Dirik, was war in Ihrer bisherigen Karriere ihr „biggest fuck-up“?
Da gab es so, so viele. Aber bei dem Wort Fuck-up muss ich immer als erstes an mein erstes Startup denken, für das ich mich als junger Student persönlich verschuldet hatte.
Ich habe damals so sehr an meine eigene Idee geglaubt – nämlich einen B2B-Marktplatz für den Deutsch-Türkischen Handel aufzubauen. Ich war so verliebt in meine Idee, dass ich überzeugt davon war, dass die Kund:innen mir die Bude einrennen werden, sobald der Marktplatz online ist.
Ich habe mich 1,5 Jahr eingeschlossen, um das Konzept für den Marktplatz und die Marktplatz-Software zu entwickeln. Ich habe ein unfassbar komplexes Konzept und Portal entwickelt – und davor oder währenddessen mit keinem einzigen Menschen aus meiner Zielgruppe gesprochen. Wieso auch? Ich war doch überzeugt davon, dass jede:r meinen Marktplatz haben will.
Viele Jahre später habe ich erst gemerkt, dass ich unterbewusst Angst vor Ablehnung hatte – ich hatte Angst davor, dass ich jemanden aus meiner Zielgruppe frage, was sie:er von der Idee hält, und ich negatives Feedback bekomme. Das hätte wehgetan. Die Folge des Ganzen war, dass ich mich verschuldet habe und 1,5 Jahre Entwicklung in die Perfektionierung eines komplexen Produkts gesteckt habe, das am Ende niemand haben wollte.
t3n: Wann haben Sie gemerkt, dass da etwas schiefläuft? Gab es einen Schlüsselmoment?
Ja. Ich habe den Launch unseres Marktplatzes damals lange hinausgezögert – es gab immer noch das eine oder andere Feature, die eine oder andere Optimierung, die ich umgesetzt haben wollte, bevor wir launchen. Ich habe sogar schon Pressemeldungen geschrieben, noch lange vor unserem Launch. Alles sollte perfekt sein, wenn wir online gehen. Denn ich dachte ja, dass dann Massen an Kund:innen auf unsere Website kommen werden, weil sie nur auf ein Angebot wie unseres gewartet haben.
Dann kam nach circa eineinhalb Jahren der Moment, in dem selbst ich den Launch nicht mehr hinauszögern konnte. Wir gingen live. Und was passierte? Gar nichts. Null Nutzer:innen. Niemand kam. Was für eine Enttäuschung. Aber das war gar nicht mal der Schlüsselmoment. Der Schlüsselmoment war ein anderer.
t3n: Und zwar?
Um Unternehmen für unseren Marktplatz zu gewinnen, mussten wir raus und Sales machen. Und was haben wir gleich beim ersten Kundengespräch „in freier Wildbahn“ realisiert? Während wir versucht haben, simplen Kleinunternehmen eine jährliche Mitgliedschaft für einen komplizierten B2B-Marktplatz schmackhaft zu machen, hatte der erste Kunde, mit dem wir sprachen, damals noch nicht mal eine Internetverbindung in seinem Geschäft und noch keine E-Mail-Adresse. Er arbeitete auf Fax-Basis. Er konnte so gar nichts mit unserem Produkt und Wertversprechen anfangen.
Es waren tiefe Gräben zwischen unserem Produkt und der Realität des Marktes beziehungsweise unserer Zielgruppe. Und das haben wir gleich beim ersten Kundengespräch realisiert – das werde ich nie vergessen. Das tat weh.
t3n: Wie haben Sie das korrigiert?
Schlussendlich gar nicht, wenn ich ehrlich bin. Das Produkt war so weit entfernt von den echten Bedürfnissen des Marktes und unserer Zielgruppe, und das Timing auch so schlecht – nämlich viel zu früh – , dass es damals keine Chance gab, durch eine Korrektur das Startup zu retten. Die Korrektur war dann am Ende die Liquidation der GmbH.
t3n: Wie stellen Sie sicher, dass so etwas nicht wieder passiert?
Ich würde kein Startup mehr gründen, ohne vorher alles dafür zu tun, die Idee ausreichend zu validieren. Und das heißt vor allem: Mit der Zielgruppe zu sprechen, ihre tatsächlichen Bedürfnisse zu verstehen und herauszufinden, wie groß ihr Schmerz ist, den ich mit meinem Angebot lindern beziehungsweise beseitigen möchte.
Dann würde ich im zweiten Schritt versuchen, mit einem ersten rudimentären Produkt so schnell wie möglich meine Hypothesen „live“ am Markt zu validieren, auch wenn das Produkt weit entfernt von „perfekt“ und „ausgereift“ ist.
t3n: Wie stehen Sie zum Thema Fehlerkultur insgesamt?
Maximal positiv. Wer keine Fehler macht, probiert nicht genug und verlässt seine Komfortzone nicht. Das ist fatal. Wichtig ist, Fehler so schnell wie möglich zu identifizieren und seine Schlüsse daraus zu ziehen.
Bleiben wir mal bei meinem Fuckup-Beispiel: Es war ein Riesenfehler, so stark am Markt vorbeizuarbeiten. Mein Ziel hätte es sein müssen, so schnell wie möglich zu validieren, ob es ein Fehler war, zu glauben, dass es einen Markt für meine Produktidee gibt. Fehler, die schnell identifiziert werden, sind super. Fehler, die erst nach langer Zeit identifiziert werden, können da schon stärker wehtun und wie im Fall meines Beispiels vielleicht irgendwann nicht mehr korrigiert werden.
Deshalb kann ich jedem nur empfehlen, in einem nie endenden Trial-and-Error-Modus zu sein: Ideen schnell ausprobieren, schnell echte Ergebnisse generieren, schnell Fehler entdecken und schnell gegenlenken. Also alles recht schnell.
t3n: Was sollten unsere Leser:innen noch unbedingt wissen?
Verliert nicht zu viel Zeit mit schlauen Artikeln, in denen andere euch von ihren Fehlern erzählen, sondern geht jetzt raus und macht eure eigenen. Jeden Tag. Je mehr Fehler ihr macht, desto mehr probiert ihr, desto mehr Fortschritt macht ihr. Fehler sind fundamentaler Teil eines Lösungswegs. Also geht euren Weg, der mit besonders viel Fehlern gepflastert sein sollte, erkennt diese, zieht eure Schlüsse draus und ganz wichtig: Ermutigt jede:n in eurem Umfeld dazu, Fehler zu machen! Das ist ein Mindset, das erfolgsentscheidend ist. Habt ihr Kinder? Dann gebt das Mindset bitte auch an eure Kinder weiter. Es kann deren Leben, deren Resilienz und damit auch deren Psyche positiv verändern, und zwar maßgeblich.