Eine neue Klimastudie hat mehr als 200 Forschungsberichte einbezogen, um abzuschätzen, wann sogenannte Klima-Kipppunkte (CTP) entstehen könnten. In der Zeitschrift Science warnen die Autor:innen, von denen einige 2008 die erste große Arbeit über Kipppunkte veröffentlicht hatten, dass die sich selbst verstärkenden Rückkopplungen schon beginnen.
5 von 16 identifizierten Kipppunkten können demnach bereits bei einem Temperaturanstieg von 1,5 Grad ausgelöst werden. In der Vergangenheit wurden diese Punkte als stabiler angesehen.
Eisschilde schmilzen
Die Kipppunkte des Klimas sind als eine Rückkopplung des Klimasystems definiert, die sich ab einem bestimmten Schwellenwert selbst verstärkt. Die Forscher:innen des Clima Resilience Center der Universität Stockholm schreiben: „Diese Veränderungen können zu abrupten, unumkehrbaren und gefährlichen Auswirkungen mit schwerwiegenden Folgen für die Menschheit führen.“
Aus ihrer Analyse geht hervor, dass selbst eine globale Erwärmung von ein Grad Celsius – die wir bereits überschritten haben – kritische Kipppunkte auslösen kann. Als Beispiel fungiert das westantarktische Eisschild, das Beobachtungen zufolge möglicherweise einen Kipppunkt erreicht hat. Das Eis dort schmilzt, dadurch steigt die Temperatur im Wasser, wodurch noch mehr Eis schmilzt.
5 von 16 Kipppunkten bald erreicht
Die Studie definiert neun globale Kippelemente, die „wesentlich zum Funktionieren des Erdsystems beitragen“. Weitere sieben regionale Punkte tragen „wesentlich zum menschlichen Wohlergehen bei“. Die aktuelle Erderwärmung von 1,1 Grad über dem vorindustriellen Niveau liege bereits am unteren Ende der Schwellenwerte von fünf Kipppunkten.
Bei einem Anstieg auf 1,5 bis 1,9 Grad seien sechs Auslösungen wahrscheinlich. Das Papier nennt etwa den Zusammenbruch des grönländischen Eisschildes. Die 1,72 Millionen Quadratkilometer große Eismasse würde beim kompletten Abschmelzen einen Meeresanstieg von über sieben Metern nach sich ziehen. Das wäre das Ende quasi aller Küstenstädte. Dort leben über 600 Millionen Menschen.
Abruptes Auftauen der Permafrostböden befürchtet
Daneben zählt die Studie das Zusammenbrechen des westantarktischen Eisschilds, das Absterben von Korallenriffen und das „abrupte Auftauen“ von Permafrostböden auf. Das antarktische Eisschild ist etwa acht Mal größer als das von Grönland.
Co-Autor Timothy Lenton vom Global Systems Institute der Universität Exeter (UK) sagte, wenn man sich dazu entscheide, die Kipppunkte der Eisschilder passieren zu lassen, müsse man sich auf einen Anstieg des globalen Meeresspiegels um zehn Meter einstellen. Diese Veränderung könne jedoch viele Jahrzehnte dauern.
Korallenriffe sterben bereits
Ab der prognostizierten Erwärmung können sich die bereits absterbenden tropischen Korallenriffe nicht mehr erholen. Die Studie schätzt, dass rund 500 Millionen Menschen von den Riffen abhängen. Langfristige Veränderungen würde das Auftauen der Permafrostböden in Russland, Skandinavien und Kanada nach sich ziehen. Es setzt hohe Mengen Methan frei, das noch klimaschädlicher wirkt als CO2.
Ab 1,5 Grad befürchten die Wissenschaftler:innen massive Störungen der Meeresströmungen. Die Labrador-Konvektion ist etwa für die Erwärmung Europas zuständig. Veränderungen können zu so strengen Wintern führen wie die „kleine Eiszeit“ zwischen dem frühen 14. und Mitte des 19. Jahrhunderts.
Bei 2 Grad ist der Amazonas-Regenwald in Gefahr
Erstautor David Armstrong McKay betont jedoch: Selbst bei einer Erwärmung von 1,5 Grad hänge viel davon ab, wie lange diese Temperatur anhalte. Sollte es fünf oder sechs Jahrzehnte so heiß bleiben oder sogar noch heißer werden, sieht er schwarz. Er glaubt, dass wir bei 1,5 Grad noch nicht in einen „führerlosen Zug“ geraten.
Bei zwei Grad ist Lage schon dramatischer. Bei diesem Anstieg rechnet man etwa mit einem weiträumigen Absterben des Amazonasgebiets, der „grünen Lunge der Erde“.
Forscher:innen: Es ist noch nicht zu spät
McKay sagte: „Das bedeutet, dass die Menschheit die weitere Erwärmung immer noch kontrollieren kann und dass es sich immer noch lohnt, die Emissionen so schnell wie möglich zu reduzieren.“ Lenton hat die Hoffnung, dass die Menschheit ihre eigenen Kipppunkte definiere und nach Jahren der schrittweisen Veränderung nun dringende, einschneidende Maßnahmen folgen. Solche hatte kürzlich der Club of Rome in seinem aktuellen Report angemahnt – und zugleich konkrete Vorschläge unterbreitet.